Auf der Überholspur an die ETH
Informatikprofessor Mohsen Ghaffari ist mit 29 Jahren einer der jüngsten Professoren an der ETH Zürich. Dabei hatte er in seinem Heimatland Iran zuerst etwas ganz Anderes studiert.
Mohsen Ghaffari, gerade mal 29 Jahre alt, bittet in sein Büro. Der Iraner ist einer der jüngsten Professoren, die die ETH Zürich je gesehen hat. Seit Oktober 2016 ist er Assistenzprofessor für Informatik im Tenure Track. Sein kleines Reich im Backsteingebäude CAB an der Universitätsstrasse ist spartanisch eingerichtet: Neben dem aufgeräumten Arbeitsplatz steht ein helles Zweiersofa, die Wände sind bis auf ein paar Notizblätter und Formeln auf der Tafel kahl. Wie ist es, noch vor dem dreissigsten Geburtstag ein Professor zu sein? Ghaffari lächelt verlegen und überlegt. Die Frage ist ihm sichtlich unangenehm. «Um ehrlich zu sein, fühle ich mich nicht wie ein Professor», sagt er schliesslich. «Ohne den Titel ist es mir wohler. Ich sehe mich noch immer als Doktoranden und werde das wohl auch noch lange tun.»
Dennoch habe er sich schon die letzten Jahre gewünscht, Professor zu werden und zielstrebig darauf hingearbeitet. «Das ist ein natürlicher Schritt im akademischen Leben. Ich wollte immer ein Forscher sein und habe auch Freude an der Lehre.» Ghaffari forscht in der Theoretischen Informatik mit Schwerpunkt auf verteiltem Rechnen und Netzwerkalgorithmen. Seine Arbeiten verbinden mathematische Methoden aus Wahrscheinlichkeitstheorie und Graphentheorie mit Algorithmendesign und Analyse. Dabei schafft er auch Bezüge zu neuen Schwerpunkten im Bereich der Verarbeitung grosser Datenmengen und der sozialen Netzwerke.
Mit 13 Jahren an der Uni
Bis er 22 Jahre alt war, lebte Ghaffari im Iran. Seine Eltern sind Akademiker: der Vater ein Richter, die Mutter Schuldirektorin. Zwar interessierte er sich, beeinflusst von seinem Vater, auch für die Rechtswissenschaften, doch setzte er sich schon früh mit Informatik auseinander. Bereits mit 13 Jahren, als Ghaffari noch die Mittelschule besuchte, las er Fachbücher über Algorithmendesign und belegte an der Universität Urmia im Nordwesten Irans Kurse zum Thema. Doch als es ein paar Jahre später darum ging, ein Hauptfach für das Studium zu wählen, liess er sowohl Informatik als auch Recht links liegen.
Stattdessen wählte er Elektrotechnik an der Scharif-Universität für Technologie in Irans Hauptstadt Teheran. «Der Grund dafür war eigentlich blöd», sagt Ghaffari rückblickend. Im Iran sei Elektrotechnik das Fach mit dem meisten Prestige. Fast alle Studierenden, welche bei den nationalen Eignungstests für die Universität in den Top 100 landen, wählen dieses Fach. «Da spielt eine Prestige-Komponente mit. Ich folgte blind den anderen.» Mitten im Studium merkte er aber, dass sein Interesse doch der Informatik galt – und machte den Bachelor schliesslich in beiden Fächern. Den Umweg über die Elektrotechnik bereut Ghaffari heute nicht. «Ich war umgeben von den besten Studierenden des Landes. Von dieser kompetitiven Atmosphäre habe ich viel gelernt.»
Nach dem Bachelor wechselte Ghaffari ans Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA, wo er bis zum Abschluss seines Doktorats im Jahr 2016 blieb. Der Umzug in die USA fiel ihm schwer. «Das MIT war anfangs überwältigend. Ich war plötzlich unter so vielen herausragenden Forschenden, die ich bis dahin nur vom Namen kannte.» Doch mit der Zeit lebte er sich ein, und nach sechs Jahren fühlte sich das MIT an wie sein zweites Zuhause.
Keine Zeit für die Berge
Der Kontakt zu ETH-Absolventen am MIT hat ihn darauf gebracht, sich an der ETH Zürich zu bewerben. «Ich dachte, wenn diese Menschen an der ETH ausgebildet wurden, dann muss es eine sehr gute Schule sein», sagt Ghaffari. Die Bewerbung war erfolgreich. Im vergangenen Herbst verliess er die USA und zog alleine nach Zürich. Nun muss er sich erneut an eine neue Kultur und Sprache gewöhnen.
«Ich habe Höhen und Tiefen», sagt er und lehnt sich in seinem Bürostuhl zurück. Draussen lockt ein sonniger Frühlingstag. Er ist noch nicht dazu gekommen, seine neue Umgebung kennenzulernen. «In Massachusetts fuhr ich im Sommer jeden Samstag in die Berge. Hier in der Schweiz jedoch noch nicht», sagt der begeisterte Velofahrer und Wanderer. Er arbeitet viel, doch das tut er gerne. Nicht vorbereitet gewesen sei er hingegen auf die vielen Aufgaben, die man als Professor neben Forschung und Lehre erledigen müsse, wie administrative Arbeiten und das Treffen von tausend kleinen Entscheidungen. «Ich schätze es, dass ich mitreden und Einfluss nehmen darf. Doch das braucht viel Zeit.»
Dass er ein vergleichsweise junger Professor ist, sieht Ghaffari in der Betreuung von Doktoranden als Vorteil, weil es die Hemmschwellen senke. «Es ist schön, wenn Nachwuchsforschende sich wegen mir für ein Thema begeistern. Ich trage gerne dazu bei, dass ihnen die Doktorarbeit Spass macht.» Er sehe sich nicht als Vorgesetzten: «Von solchen Wörtern versuche ich mich fernzuhalten», betont er. Überhaupt sei gerade die Theoretische Informatik ein Fach, in dem die Hierarchien flach seien. «Gute Menschen leisten gute Arbeit. Es kommt ziemlich häufig vor, dass junge Forschende Probleme lösen, an denen die ältere Generation bereits seit Jahren arbeitet.»