Informatikunterricht – Quo vadis?

Juraj Hromkovic hat über 15 Jahre Erfahrung, wenn es darum geht, Kindern Informatik beizubringen. Er äussert sich dazu, wie der Unterricht seiner Meinung nach aussehen müsste.

Juraj Hromkovic

Zuerst möchte ich eine kurze Geschichte erzählen: Martha war ein unauffälliges Mädchen und galt nicht als besonders gute Schülerin. In der sechsten Klasse kam das Projekt «Programmieren in die Schule» auch in ihr Schulhaus. Martha legte begeistert los und war unglaublich schnell mit den Aufgaben fertig. Damit nicht genug – sie half den anderen Schülerinnen und Schülern beim Lösen der Programmieraufgaben und konnte sie sogar besser erklären als die Lehrerin. Im Unterricht war sie eine echte Hilfe. Beim anschliessenden Programmierwettbewerb nach 20 Unterrichtslektionen löste sie nicht nur alle Aufgaben korrekt, sondern auch drei schwere Zusatzaufgaben. Das schaffte bisher kein Kind – und so wurde Marthas Hochbegabung erkannt.

Hieroglyphen
Erste Schriften – wie Hieroglyphen – waren bereits «digital». (Bild: Colourbox)

An solchen Unterrichtsprojekten, wie wir sie entwickelten, haben schweizweit bisher rund 12‘000 Kinder an mehr als 200 Schulen teilgenommen. Und was haben wir dabei gesehen? Begeisterte Kinder, hoch motiviert durch ihre Erfolgserlebnisse, wenn sie selbständig eigene, funktionsfähige Produkte entwickeln konnten. Die Motivation war so gross, dass einige Lehrpersonen das Programmieren dazu einsetzten, um die Konzentration der Kinder zu fördern oder sogar Konzentrationsschwäche zu behandeln.

Selber kritisch denken

Es gibt also keinen Grund, Bedenken zu haben, wenn nun neu das Fach Informatik unterrichtet wird. Die Frage ist bloss: Wie kann ein Schulfach mit einem eher schlechten Image (siehe Blog von Bernd Gärtner), zu einem beliebten Fach werden? Es gibt viele Feinheiten, auf die man achten sollte, wenn man einen guten Unterricht von der Primarschule bis zur Matura entwickeln will. Meiner Meinung nach sind zwei Prinzipien massgebend, die miteinander verzahnt werden müssen:

Erstens brauchen wir mehr kritisches Denken an unseren Schulen. Kritisches Denken bedeutet, nicht nur darauf zu fokussieren, Fakten, Modelle oder Methoden zu erlernen, um am Schluss das Produkt «Wissen» zu haben. Vielmehr geht es um die Prozesse, wie Wissen erzeugt wird und wie man eigene Ideen entwickelt. Im Vordergrund stehen für mich das Sammeln von Erfahrungen, die Versuche, Probleme zu lösen und Sachinhalte zu verstehen. Es geht darum, Hypothesen zu formulieren und zu überprüfen; um die kreative Arbeit an Ideen und darum zu testen, ob sie funktionieren. 

 

«Der erste grosse Schritt der Digitalisierung war die Erfindung der ersten Schriften.»Juraj Hromkovic

Zweitens sollten wir uns wieder mehr am Konstruktivismus von Jean Piaget orientieren. Der Schweizer Entwicklungspsychologe war überzeugt, dass die Entwicklung und das Lernen von Kindern aus ihrer persönlichen Interaktion mit der Umgebung entstehen, dass Schüler und Schülerinnen selbstständig und aktiv Bedeutungen und Zusammenhänge herstellen sollten. Der Informatikunterricht ist geradezu prädestiniert für konstruktivistisches Lernen!

«Digital» ist schon alt

Nur wenige wissen, dass die Wurzeln der informatischen Denkweise mehr als 5000 Jahre alt sind. Wer ist sich schon bewusst, dass ‚digital‘ bedeutet, Information als Folge von Symbolen darzustellen? Der erste grosse Schritt der Digitalisierung war die Erfindung der ersten Schriften vor Jahrtausenden. Und mit der Digitalisierung entstand auch sofort das Problem der Datensicherheit, das heute so zentral geworden ist.

Es ist wichtig, diese historische Dimension zu vermitteln, weil die Kinder und Jugendlichen von heute die zukünftige Informatik beeinflussen können. Zudem erlaubt die historische Perspektive, die Informatik im Kontext der ganzen Wissenschaft zu verstehen. Damit werden auch die Grundkompetenzen in Sprache und Mathematik gefördert. In unserer Lehrmittelreihe «Einfach Informatik» für die 5.-9. Klasse nutzen wir diesen historischen Ansatz. Kinder und Jugendliche lernen damit nicht nur die Anwendung der Konzepte, sondern auch, wie sie eigene Lösungswege hervorbringen und die Konzepte verbessern können. Das erzeugt Erfolgserlebnisse.

Und was wird jetzt aus dem Informatikunterricht?

Ausser den fachlichen und didaktischen Aspekten gibt es beim Thema Informatikunterricht natürlich auch eine politische Dimension. Die Gesellschaft davon zu überzeugen, ein neues Fach einzuführen – auch wenn es attraktiv und notwendig ist –, war nicht einfach. Der Weg Schülerinnen und Schüler, die Lehrpersonen, die Eltern und die Politik zu überzeugen, dass Informatik unbedingt mehr unterrichtet werden muss, war lang und steinig. Nun stellt sich die Frage, in welche Richtung sich der Informatikunterricht entwickelt. Ich hoffe sehr, dass Kinder und Jugendliche nicht nur darin unterrichtet werden, wie sie digitalen Technologien nutzen sollen. Das ist ein wichtiger Aspekt, aber – meiner Meinung nach – nicht der zentrale.

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