Den Jüngsten die Weltsprache beibringen
ETH-Informatiker Bernd Gärtner erklärt, warum sich schon die Kleinen mit Informatik befassen sollten.
Informatik gehört zur Allgemeinbildung. Nehmen wir dies ernst, so hat das grundlegende Konsequenzen. Zum Beispiel sollten wir die Informatik unseren Kindern so vermitteln wie andere allgemeinbildende Fächer. Mathematik gehört selbstverständlich dazu. Denn wer würde schon wollen, dass sein Kind nicht zwei und zwei zusammenzählen kann? Für mich ist es ebenso wichtig, dass unsere Kinder nicht als Informatik-Analphabeten aufwachsen.
Viel mehr als Computer und Bildschirme
Einige mögen irritiert sein: Informatik ist sicher wichtig, aber warum schon für die Kleinen? Ich glaube eines der Missverständnisse ist, dass viele bei Informatik zuerst an Computer und Bildschirme denken. Für mich ist Informatik aber etwas anderes: Es ist eine Denkschule, die mir hilft, Probleme auseinanderzunehmen und in einzelnen Schritten zu lösen. Wenn ich eine Lösung vor Augen habe, muss ich sie genau durchdenken, denn eine kleine Variation kann alles verändern. Funktioniert die Lösung, frage ich mich, ob es noch einen einfacheren oder schnelleren Weg gibt. Das ist es, was algorithmisches Denken ausmacht. Und Algorithmen bestimmen – egal, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht – zunehmend unsere Welt.
Algorithmisches Denken ist kreativ – es regt den Geist an und fördert das Teamwork. Eigentlich alles, was wir uns auch vom Unterricht unserer Kinder wünschen. In Kursen, die wir am Departement geben, beobachten wir, wie Kinder selbständig komplexe Muster programmieren oder kleine Computerspiele entwickeln - das ist Kreativität pur!
Wo sind die Lehrmittel?
Informatik als Schulfach wird langsam Realität, dank jahrelanger Überzeugungsarbeit von Informatikerinnen und Bildungsexperten. Doch es ist fast paradox: Die fortschreitende Digitalisierung hat diesen Prozess zwar beschleunigt, führt aber auch dazu, dass echte Informatik oft zu kurz kommt. Nur weil Klassenzimmer mit Computern ausgestattet sind und der Umgang mit Anwenderprogrammen ein Thema ist, lernt noch niemand Informatik. Mathematik lernt man ja auch nicht, indem man einen Taschenrechner benützt! So positiv die Entwicklungen in der Schule sind, muss sich die Informatik doch ihren Platz als eigenständiges Grundlagenfach erst noch erobern. Ein grosses Problem dabei: Gerade für die Kleinen fehlen geeignete Lehrmittel.
«Und genau darum geht es: Möglichst kein Talent zu verlieren, nur, weil es in unserm Kulturkreis noch immer das Stereotyp gibt, dass Frauen weniger Informatik-affin seien als Männer.»Bernd Gärtner
Viele Eltern und Lehrpersonen haben Hemmungen, wenn es um Informatikunterricht geht, weil sie sich vorstellen, dass die Kinder dann noch mehr vor Bildschirmen sitzen, als sie dies ohnehin schon tun. Für guten Informatikunterricht braucht es aber gar keine Computer. Das externe Seite Kinderlabor, das ich 2009 als unabhängige Non-Profit-Organisation mitgegründet habe, setzt genau hier an. Wir verleihen an Lehrpersonen Informatikkisten mit Unterrichtsmaterial, das sich für Kinder zwischen 4-8 Jahren eignet. Als «Taschenrechner» liegen einfache Bodenroboter bei, mit denen die Kinder spielerisch das Gelernte umsetzen.
Eine universale Sprache lernen
Die frühe Beschäftigung mit Informatik hat viele Vorteile. Tatsächlich lernen kleine Kinder Sprachen müheloser als wir Erwachsenen. Gehört es nicht zur Allgemeinbildung, dass Kinder jene Sprachen lernen, die weltweit am meisten «gesprochen» werden? Nun, dazu gehört heute die Sprache der Algorithmen! Und noch einen entscheidenden Vorteil können wir bei uns im Kinderlabor erkennen: je früher Kinder mit Informatik in Kontakt kommen, desto weniger spielt das Geschlecht eine Rolle. 5-jährige Mädchen programmieren munter drauflos und sind gleich talentiert wie ihre Kollegen. Und genau darum geht es: Möglichst kein Talent zu verlieren, nur, weil es in unserm Kulturkreis noch immer das Stereotyp gibt, dass Frauen weniger Informatik-affin seien als Männer.
Wie gesagt, Informatik gehört zur Allgemeinbildung. Das bedeutet nicht, dass alle Informatikerinnen und Informatiker werden müssen, aber es bedeutet, dass wir alle die gleiche Sprache sprechen, die Relevanz der Informatik verstehen und unabhängig vom Geschlecht den gleichen Zugang haben.
Informatiktage 2018
Am 1. und 2. Juni beteiligt sich die ETH Zürich bereits zum dritten Mal an den Informatiktagen und öffnet ihre Türen für Jung und Alt. Exklusive Führungen, Live-Demos, Vorträge und Programmierworkshops – unter den rund 20 Veranstaltungspunkten ist für jeden etwas dabei. Auch das Kinderlabor wird mit einem offenen Atelier für Kinder ab ca. 4 – 8 Jahren und einem Kurs für Lehrpersonen vor Ort sein.
Alle Veranstaltungen finden im Gebäude CAB an der Universitätsstrasse 6, 8006 Zürich statt.