Bewusster Umgang mit Fliegen
Die ETH Zürich strebt bewusstes Fliegen an, um den Zielkonflikt zwischen internationaler Forschungstätigkeit und Klimaschutz zu entschärfen. In einem partizipativen Prozess haben sich die ETH-Einheiten nun Reduktionsziele für flugbedingte CO2-Emissionen gesetzt.
Das Dilemma ist bekannt: Internationale Vernetzung und Zusammenarbeit sind für Forschende matchentscheidend, doch Flugreisen belasten das Klima. «Die ETH Zürich ist der Nachhaltigkeit verpflichtet, gleichzeitig sind Internationalität und bestmögliche Entwicklungschancen für die Forscherinnen und Forscher das unverzichtbare Fundament ihres Erfolgs», sagt Ulrich Weidmann, Vizepräsident für Personal und Ressourcen der ETH Zürich, «Das ein klassischer Zielkonflikt».
Über 50 Prozent der gesamten CO2-Emissionen der Hochschule stammen von Flugreisen. Technische Lösungen, um den Luftverkehr bald emissionsfrei zu gestalten, liegen in weiter Ferne. Für Weidmann ist klar: «Die ETH Zürich hat auch diesbezüglich eine gesellschaftliche Vorbildfunktion, ihr Verhalten – und ihre Haltung – werden aufmerksam beobachtet». Deshalb lancierte Weidmann im April 2017 eine Initiative zur Reduktion von Flugreisen. Ende 2018 hat die Schulleitung die umfangreichen Vorarbeiten der Departemente genehmigt und die ETH-weite Umsetzung des Flugreisen-Projekts auf Jahresbeginn 2019 beschlossen.
Neues Selbstverständnis in Sachen Fliegen
Nur: Wie gewinnt man weltweit vernetzte Forschende in weitgehend autonomen Departementen für diese Idee – und das an einer Hochschule mit expliziter Internationalisierungsstrategie? Nicht mit Direktiven von oben, das war Susann Görlinger von Anfang an bewusst. Sie ist Co-Leiterin der Mobilitätsplattform, der Drehscheibe für nachhaltige Mobilitätsthemen an der ETH Zürich. Das Flugreisen-Projekt, das Görlinger verantwortet, ist ein Schwerpunkt der Plattform. Ziel ist ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Fliegen.
«Eine solche Kultur kann sich nur etablieren, wenn wir die Zielgruppen ernsthaft involvieren», sagt Görlinger. Dabei wolle man weder moralisieren noch das Fliegen diskreditieren. Es geht vielmehr darum, sich innerhalb der Hochschule mit der Problematik auseinander zu setzen. Dazu verfolgt die ETH Zürich einen Bottom-up-Ansatz, der auf Partizipation und Eigenverantwortung basiert. Die Schulleitung hat die Departemente zwar aufgefordert, Ansätze zur Reduktion von Flugreisen zu erarbeiten – feste Zielvorgaben gab es jedoch nicht. «Man kann selber bestimmen, was man wie beitragen will. Wir schreiben nichts vor und verbieten auch nichts», hält Görlinger fest.
Umdenken findet statt
Dennoch fielen die Einwände zahlreich und teilweise heftig aus. Zunächst. «Es gab anfangs viele Missverständnisse und vereinzelt grossen Widerstand, aber auch viel und wachsende Unterstützung», erzählt Görlinger. Anderthalb Jahre und zahlreiche Workshops später machen nun alle Departemente und Zentralen Organe mit: Sie haben sich für die Jahre 2019 bis 2025 zu Reduktionen von 3 bis 20 Prozent verpflichtet. Im Mittel beträgt das Reduktionsziel rund 11 Prozent.
Und sie haben Massnahmen für die Umsetzung definiert: Diese reichen von Videokonferenzen über interne CO2–Steuern als Lenkungsabgabe bis hin zu Anreizsystemen fürs Zugfahren oder konkreten Reisempfehlungen wie der Vermeidung von Kurzstrecken- und Businessflügen. Zudem hat die Mehrzahl der Departemente beschlossen, ihre flugbedingten Emissionen zu kompensieren. Diese Kompensation ist jedoch kein Ersatz für die reale Reduktion und wird dieser nicht angerechnet – es handelt sich um eine zusätzliche Massnahme und Übergangslösung.
Solides Monitoring-System
Eine Forderung der Departemente, die sie im vorangehenden Prozess einbringen konnten, war ein effektives Monitoring, damit jede Professur ihre Emissionen laufend überprüfen kann. Gemeinsam mit der Mobilitätsplattform erarbeiten sie daher eine Datenbasis für die Jahre 2016 bis 2018, die fortan als Referenzperiode dienen wird. Sie umfasst alle von der ETH Zürich bezahlten Flugreisen von Mitarbeitenden, eingeladenen Gästen sowie neu von Studierenden im Rahmen des Curriculums.
Seit Monatsbeginn lassen sich die flugrelevanten Daten direkt in der Ressourcen- und Finanzplattform der ETH Zürich erfassen. Die verschiedenen Einheiten wie beispielsweise die Professuren erhalten monatliche Auszüge ihrer flugbedingten CO₂-Emissionen.
Der Startschuss für die CO2-Reduktion ist Anfang 2019 gefallen. Nach drei Jahren wird evaluiert. Der ETH-weite Veränderungsprozess wird zudem in einer Dissertation analysiert. «Soweit der Plan – nun müssen wir ihn umsetzen», sind sich Görlinger und Weidmann bewusst. Was sie dabei motiviert: Es gibt bereits viele nationale und internationale Universitäten und Organisationen, die ebenfalls aktiv geworden sind und sich für den ETH-Ansatz interessieren. «So kann auch die Gesellschaft von unseren Erfahrungen profitieren», sagt Weidmann.
Dieser Beitrag ist in leicht veränderter Form zuerst im Magazin Globe erschienen.