Kleine Schritte zum Frieden
Viele kleine, lokale Schritte können nachhaltiger zum Frieden führen als grosse Träume vom perfekten Staat. Diesem Grundsatz folgt ein innovativer Ansatz der Konflikt-Mediation, den eine kenianische Mediatorin und ein ETH-Forscher entwickelt haben.
Sie nannten sie Dadahad, einen «Menschen, der in der Mitte steht» oder eine «Person, zu der beide Seiten Zugang haben». Dekha Ibrahim Abdi war eine Lehrerin und Schulvorsteherin in Wajir, einer Region in Kenias Nordosten, die an Somalia und Äthiopien angrenzt. Ihr Engagement für die Konfliktschlichtung und die Friedensvermittlung veränderte die Menschen und Gemeinschaften, mit denen sie arbeitete.
Dekha lebte in einer nomadischen Gesellschaft mit islamischer Religion. In ihrer Region entzündeten sich regelmässig Konflikte, wenn in der Trockenzeit die Ressourcen und der Zugang zu Land und Wasser knapp werden oder wenn Wahlen stattfanden und die politische Macht neu verteilt wurde. In diesem Kontext verlaufen die Konfliktlinien in der Regel entlang traditioneller ethnischer Clan- und Verwandtschaftsstrukturen und überschreiten oft die Landesgrenzen, die ihrerseits ein künstliches Erbe der Kolonialzeit sind.
Dekha Ibrahim Abdi war Mediatorin. Eine Mediatorin überbrückt die Kommunikation zwischen den Konfliktparteien und unterstützt deren wechselseitiges Verständnis durch Dialog und Diskussion. Sie ist Zeuge der Diskussion und bereitet den Weg vor, dass die Parteien ihren Streit selber beilegen. «Was auch immer das Ergebnis einer Mediation ist, es ist so oder so das Eigentum der beteiligten Menschen. Schliesslich schlägt die Mediatorin weder selber die Lösung vor noch wirkt sie als Schiedsrichterin», sagt Simon J. A. Mason, Leiter des Mediation Support Teams am Center for Security Studies der ETH Zürich.
Frieden im elementarsten Sinn
Auf die Frage, was sie an der Mediation motivierte, antwortete Dekha jeweils: «Meine Mutter und ich wurden in eine gewaltsame, unsichere Gesellschaft hineingeboren. Ich wollte Frieden im elementarsten Sinn von Sicherheit. Ich wollte, dass meine Tochter auf ein bürgerliches Recht zählen kann, das sie tatsächlich schützt.» Für ihre Art und Weise, wie sie mittels kooperativer Prozesse zur Beilegung gewaltsamer Konflikte beitrug, erhielt Dekha Ibrahim Abdi 2007 den Right Livelihood Award, der auch als alternativer Nobelpreis gilt. Sie starb 2011 an den Folgen eines Autounfalls.
Ich wollte den Frieden in dem elementarsten Sinn von Sicherheit.Dekha Ibrahim Abdi
Simon Mason hat jahrelang mit Dekha Ibrahim Abdi zusammengearbeitet. Das neue Buch «Mediation and Governance in Fragile Contexts: Small Steps to Peace» ist das Ergebnis dieser Zusammenarbeit und beruht auf insgesamt sechs Tagen Interviews mit Dekha. Gemeinsam haben Mason und Dekha einen innovativen Ansatz entwickelt, um Friedensmediationen zu reflektieren und anzuleiten, und die in Situationen stattfinden, in denen Menschen gewaltsame Konflikte erleben und die Erfahrung machen, dass die staatlichen und nichtstaatlichen Führungs- und Regierungsformen (Governance) unsicher und ungenügend sind.
Nachhaltige Lösungen statt überstürzte Perfektion
Weil sich viele Mediationsansätze, die in sicheren und stabilen Staaten Nordamerikas und Europas entwickelt worden sind, nicht eins-zu-eins auf fragile Kontexte übertragen lassen, verbindet ihr Ansatz gezielt die lokale, gender-, kultur- und konfliktspezifische Innen-Perspektive mit der akademischen, Aussen-Perspektive, die auf weltweit vergleichenden Methoden beruht.
Charakteristisch für ihren Ansatz ist, wie der Name «Short-, Medium-, and Long-Term Linkages (SMALL) Framework for Peace» schon sagt, dass sie unterscheiden, welche Massnahmen kurz-, mittel- und langfristig zu treffen sind, um eine stabile Governance und nachhaltigen Frieden zu schaffen. Mediation ist dabei die kurzfristige Massnahme, um einen akuten Konflikt mittels einer ausgehandelten Vereinbarung zu schlichten.
Um jedoch zu langfristig stabilen, staatlichen Rahmenbedingungen beitragen zu können, sind mittelfristige Massnahmen wie die Einrichtung von «lokalen Friedenskomitees» wichtig. In diesen tauschen die Konfliktparteien regelmässig Ansichten und Ideen für Massnahmen und politische Reformen aus, und sie können schnell Mediationsteams zusammenstellen. Darin sind sowohl Vertreter der traditionellen und der modernen Führungsstrukturen vertreten.
«Viele kleine Schritte, die lokal verwurzelt sind, und die mit mittel- und langfristigen Initiativen zum Aufbau eines zuverlässigen Staates verbunden sind, führen nachhaltiger zu Frieden und guter Governance als Massnahmen, die in Eile und mit dem Fernziel eines ‹perfekten› Staates ergriffen werden», fasst Mason zusammen.
Literaturhinweis
Dekha Ibrahim Abdi, Simon J. A. Mason. Mediation and Governance in Fragile Contexts: Small Steps to Peace. Lynne Rienner Publishers, 2019.
Weitere Informationen zum Buch sowie Audio Clips von Dekha Ibrahim Abdi gibt es unter: www.mediation-governance.ethz.ch .