Was denkt die Bevölkerung über die Verantwortung der Konzerne?
Welche Meinung hat die Bevölkerung, wenn es um die Verantwortung von Schweizer Unternehmen im Ausland geht? ETH-Forschende haben diese Frage untersucht und konnten zeigen, dass die Konzernverantwortungsinitiative viel Zustimmung geniesst.
In gut zwei Wochen behandeln National- und Ständerat gemeinsam die Konzernverantwortungsinitiative. Zur Debatte steht, ob Unternehmen mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz die Menschenrechte und Umweltstandards bei ihrer Geschäftstätigkeit im In- und Ausland per Gesetz einhalten müssen und künftig auch für Schäden, die sie im Ausland verursachen, vor Schweizer Gerichten haftbar gemacht werden können. Letzteres wird ein zentrales Thema sein, wenn das Parlament über einen Gegenentwurf zur Initiative entscheidet.
Eine Untersuchung von Politikwissenschaftlern der ETH Zürich gibt nun Aufschluss darüber, welche Einstellung Schweizerinnen und Schweizer zur weltweiten Verantwortung von Unternehmen gegenüber Mensch und Umwelt haben. Im November 2018 hat ein Team von Thomas Bernauer, ETH-Professor für Politikwissenschaft, über 3000 Schweizerinnen und Schweizer dazu befragt. Die Studie ist Teil des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Wirtschaft» (NFP 73), in dem Bernauer und sein Team das Zusammenspiel von freiwilligen und staatlich verordneten Massnahmen in der Umweltpolitik mit Bezug zum In- und Ausland untersuchen.
Rund 70 bis 80 Prozent des ökologischen Fussabdrucks, der durch den Konsum in der Schweiz entsteht, entfällt auf das Ausland, weil dort viele Güter produziert werden, die man hier konsumiert . «An der Konzernverantwortungsinitiative interessiert uns, inwiefern Schweizerinnen und Schweizer eine stärkere Umwelt- und Sozialregulierung der Geschäftstätigkeit von Schweizer Unternehmen im Ausland unterstützen», sagt Bernauer, «und ob hier freiwillige Massnahmen des Privatsektors politische Forderungen nach mehr staatlicher Regulierung abschwächen könnten.»
Zustimmung zu strengen Gesetzen
Laut der Befragung stimmen Schweizerinnen und Schweizer einer strengen Gesetzgebung in diesem Bereich mehrheitlich zu: So befürworten zwei Drittel der Befragten, dass der Staat die Tätigkeit von Unternehmen im Ausland stärker beaufsichtigen und regulieren sollte. Mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) findet, dass freiwillige Massnahmen der Unternehmen im Ausland nicht ausreichen. Auch die Konzernverantwortungsinitiative selbst kommt bei der Bevölkerung an: Auf einer Skala von 1 («total dagegen») bis 7 («total dafür») geben 65 Prozent der befragten Personen einen Wert von mindestens 5 («dafür») an.
Dementsprechend meinten 60 Prozent, dass sie die Volksinitiative an der Urne annehmen würden, 18 Prozent würden sie ablehnen. Bei Frauen, höher Gebildeten, Befragten mit niedrigerem Einkommen oder aus der italienischsprachigen Schweiz fällt die Zustimmung höher aus, ebenso bei jenen, die regelmässig an Abstimmungen teilnehmen oder politisch links stehen.
«Zum Zeitpunkt unserer Befragung im November 2018 war die Volksinitiative tendenziell mehrheitsfähig», schliesst Bernauer, «das Ergebnis an der Urne dürfte dennoch knapp ausfallen, denn unsere Daten stellen eine Momentaufnahme dar, die sich bis zum Abstimmungszeitpunkt ändern könnte. »
Wie Argumente die Meinungen verändern
Die Politikwissenschaftler analysierten auch, wie sich die Einstellungen der befragten Personen verändern, wenn sie neue Informationen erhalten. Dazu teilten sie die Befragten zufällig in Gruppen ein, die jeweils mit verschiedenen Argumenten konfrontiert wurden. So erhielten die Gruppen beispielsweise nur Pro-Argumente, nur Contra-Argumente oder beide Argumentationen.
Dabei zeigte sich, dass wenn Unternehmen starke freiwillige Massnahmen ergreifen, die Unterstützung für die Konzernverantwortungsinitiative sinkt. Der vorhergesagte Ja-Stimmenanteil bewegte sich in diesem (hypothetischen) Szenario in einem Bereich zwischen 50 und 55 Prozent.
Die Diskussionen zur Unternehmensverantwortung werden auch international geführt – namentlich in der UNO, OECD und EU. Bisher hat jedoch kein Land ein Gesetz, das Unternehmen für Auswirkungen auf Mensch und Umwelt im Ausland haftbar macht, wie dies die Konzernverantwortungsinitiative vorschlägt. Bernauer fragte deshalb auch die Meinung der Bevölkerung ab, wie ein allfälliges neues Gesetz gestaltet werden sollte, um das Handeln von Unternehmen im Ausland zu regulieren.
Dazu legten die Forschenden den Versuchsteilnehmenden in drei Runden jeweils zwei Politikvorschläge zur Auswahl vor. Es zeigte sich, dass die Befragten die jeweils strengere Politik vorzogen: Ein Politikvorschlag, der Unternehmen vorschreibt, dass sie öffentlich Bericht erstatten müssen, erhielt beispielsweise mehr Zustimmung als ein Vorschlag, der sie zu regelmässigen Gesprächen mit den Behörden verpflichtete. Am höchsten fiel die Zustimmung für einen Politikvorschlag aus, in dem Unternehmen für allfällige Schäden an Mensch und Umwelt im Ausland haftbar würden.
Grundsatzentscheid: Reicht Freiwilligkeit?
In Bezug auf die internationale Entwicklung ist das Ergebnis ebenfalls deutlich: Die meisten Befragten finden, die Schweiz solle die Einführung neuer Massnahmen nicht davon abhängig machen, was andere Staaten tun – ein ähnliches Meinungsbild hat Bernauer schon für die Klimapolitik identifiziert (vgl. Zukunftsblog vom 7. März 2019).
Die Studie von Bernauers Team zeigt, dass der öffentliche Druck auf Wirtschaft und Politik, sich mit dem Thema globale Unternehmensverantwortung auseinanderzusetzen, stark geworden ist. Dies zwingt vor allem politische Akteure zu Grundsatzentscheiden, nach welchem Modell – freiwillig oder gesetzlich vorgeschrieben – man globale Unternehmensverantwortung fördern oder einfordern soll.
«Die starke Nachfrage nach staatlicher Intervention und Zustimmung für die Konzernverantwortungsinitiative sind Indizien dafür, dass in der Bevölkerung ein Handlungsbedarf wahrgenommen wird», sagt Bernauer, «solange der Privatsektor nicht mit starken freiwilligen Massnahmen in diesem Bereich punkten kann und kein Gegenentwurf vorliegt, könnte die Initiative beim momentanen Stand der öffentlichen Meinung eine Mehrheit finden.»