«Ich bin nicht der klassische Nerd»
Anna Maria Feit hat während ihres Doktorats in Helsinki die französische Tastatur mithilfe von Algorithmen optimiert. Nun erforscht sie an der ETH Zürich, wie Nutzer, Computer und Algorithmus zusammenarbeiten können, um die Texteingabe zu verbessern.
Im April 2019 wurde in Frankreich ein neuer Standard für Computertastaturen eingeführt. Ein Standard, der nun auf die Tastaturen von Millionen Menschen übertragen wird. Die neue Tastatur zu verdanken haben die Franzosen zu einem grossen Teil Anna Maria Feit. Die ETH-Postdoktorandin hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Texteingabe so einfach wie möglich zu gestalten.
Feit ist vor dreissig Jahren im deutschen Saarland zur Welt gekommen. In Saarbrücken, quasi vor der Haustüre, studierte sie Informatik. «Ich war schon als Kind an Mathematik interessiert, löste gerne logische Rätsel.» Ihren ersten Computer wünschte sie sich zur Kommunion. Doch sie betont: «Ich bin nicht der klassische Nerd.» Sie habe sich für Informatik entschieden, weil ihr Mathe zu abstrakt gewesen sei, Informatik sei greifbarer.
Ihren Bachelor hatte Feit 2012 in der Tasche, ein Jahr später den Mastertitel. In ihrer Masterarbeit erforschte sie, wie man Text mit dem Piano eingeben kann. «Ich wollte herausfinden, wie man die Geschwindigkeit, mit der Pianisten spielen, für die Interaktion zwischen Mensch und Computer nutzen kann.» Nach ihrer Masterarbeit wurde ihr Betreuer Antti Oulasvirta an die Aalto Universität in Helsinki berufen. Feit hatte die Faszination an der Texteingabe längst gepackt, sie wollte unbedingt weiter an deren Optimierung forschen und bei Oulasvirta doktorieren. Also zog sie mit ihrem Freund, den sie während ihres Studiums in Saarbrücken kennengelernt hatte, in die finnische Hauptstadt.
Fokus auf den Menschen
Während ihres Doktorats in Helsinki fand sie heraus, dass kein Tipp-Kurs und auch keine zehn Finger nötig sind, um schnell und effizient zu tippen. Vor allem aber entwickelte die Informatikerin einen Algorithmus, mit welchem die Schrift- und Sonderzeichen optimal auf verschiedenen Tastaturen verteilt werden können. Im Auftrag der französischen Regierung optimierte sie zusammen mit einem internationalen Team so die französische Tastatur. «Mit dem alten Standard war es zum Beispiel unmöglich, Grossbuchstaben mit Akzenten einzugeben», sagt die Forscherin. Dadurch gehe die Sprache verloren. Mit dem neuen Tastaturstandard ist dies nun möglich, und die Texteingabe effizienter und ergonomischer.
Auf das Gebiet der «Human Computer Interaction» (HCI) gekommen war die Postdoktorandin bereits in einem Semesterprojekt mit Antti Oulasvirta. «Das Feld hat mich von Anfang an fasziniert.» Es sei eben mehr als nur trockene Informatik. «HCI öffnet einem Türen zur Psychologie, der Kognitionswissenschaft und dem Design.» Diese Interdisziplinarität und der Fokus auf den Menschen, den Nutzer der Informationstechnologie, begeistern Feit.
Und das Thema Texteingabe sei im Zeitalter der Digitalisierung zentraler denn je. «Wenn Schülerinnen und Schüler ihre Abschlussprüfungen am Computer absolvieren müssen, müssen sie mit Tastaturen umgehen können.» Und das sei mit Smartphones, Smart TV und Virtual Reality nicht mehr selbstverständlich. Jugendliche hätten heutzutage oft keine Tastatur mehr zu Hause.
«Der Norden ist familienfreundlicher»
Nach ihrem Doktorat zog Anna Maria Feit im Sommer 2018 mit ihrem Partner und ihrer halbjährigen Tochter nach Zürich. Nach vier Jahren in Finnland wollten die beiden Informatiker wieder zurück nach Zentraleuropa, in die Nähe ihrer Eltern und Grosseltern der kleinen Tochter. «Ich bin froh, wieder näher bei meiner Familie zu sein.» Und, dass sie die Leute wieder verstehe. Sie absolvierte in Helsinki zwar einen Sprachkurs, doch für mehr als «Supermarkt-Finnisch» reichte es nicht.
Zürich habe gegenüber Helsinki deshalb Vorteile. Am kulturellen Leben teilzunehmen zum Beispiel sei sprachbedingt deutlich einfacher. Doch es gibt auch Nachteile. «Ich empfand Finnland als familienfreundlicher.» Der längere Elternurlaub sei das eine, die Infrastruktur, die im Norden stärker auf Familien mit Kindern ausgerichtet sei, das andere. «Die Schweiz ist da eher konservativ, die Rollen klassischer verteilt», meint Feit.
Obwohl es auch hier ein Umdenken gebe, seien ihr Partner und sie eher untypisch für die Schweiz: Sie teilen sich die Elternzeit auf und arbeiten gleichermassen 80 Prozent. Vormittags besucht die Kleine die Kinderkrippe im ETH Zentrum, nachmittags kümmert sich ein Elternteil um sie. «Das ist nur möglich, wenn man die Unterstützung seines Arbeitgebers hat, was in der Schweiz leider nicht selbstverständlich ist.»
Aus Interessen getrieben
Trotzdem seien ihr Partner und sie noch in der Findungsphase. Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen sei eine Herausforderung. «Aber ich bin überzeugt, dass es einen Weg gibt – vor allem, wenn Mann und Frau Verantwortung in beiden Bereichen übernehmen.» Wie dieser Weg aussehen könnte, versucht die 30-Jährige momentan herauszufinden. «Es gibt noch immer wenige Frauen in der Forschung und insbesondere in der IT-Branche.» So fehlen ihr oft die Rollenvorbilder und auch die Unterstützung anderer Frauen.
Was Anna Maria Feit vermisst, möchte sie dafür anderen jungen Frauen weitergeben. In Deutschland engagiert sie sich seit Kurzem als Mentorin für Schülerinnen. Auch ihrer Tochter möchte sie später vermitteln, dass Frauen in technischen Berufen erfolgreich sein können und dabei nicht auf eine Familie verzichten müssen.
Dieser Ehrgeiz und Kampfgeist begleitet Feit schon ihr Leben lang – auch in ihrer Karriere. Ihre Master- und ihre Doktorarbeit beendete sie mit Auszeichnungen. Doch verbissen ist sie nicht. «Ich bin aus Interessen getrieben und schaue stets, wohin mich das führt.»
Ihr Interesse an der Informatik und die Faszination für die Interaktion zwischen Mensch und Computer haben sie an die ETH Zürich in die Gruppe von Informatikprofessor Otmar Hilliges geführt. Die erste Erfahrung mit Zürich machte sie fünf Jahre zuvor bei einem Besuch in der SRF-Sendung «Aeschbacher», in welcher sie ihre Piano-Tastatur vorstellte. «Damals wusste ich noch nicht, dass ich hierher zurückkommen werde.» Doch sie sei froh, an der ETH gelandet zu sein. «Die Studierenden hier sind erste Sahne! Dank den vielen klugen Köpfen und der guten Infrastruktur fällt es leichter, Forschung zu betreiben.»
Nutzende einbeziehen
Inspiriert von der Arbeit mit der französischen Tastatur beschäftigt sich die Saarländerin zurzeit vor allem mit der Frage, wie man Algorithmen in die Optimierung menschlicher Interaktion mit dem Computer einbeziehen kann. Die Herausforderung daran: Jede Nutzerin, jeder Nutzer ist einzigartig, hat unterschiedliche Ziele, Fähigkeiten und Erfahrungen mit Computern.
Algorithmen und künstliche Intelligenz unterstützen uns schon heute bei diversen Aufgaben: Sie sagen voraus, welches Wort wir eingeben, welchen Film wir schauen und was wir essen möchten. «Ich glaube aber, dass viele dieser Algorithmen nützlicher wären, wenn sie mehr auf den Menschen hören würden, dessen Leben sie beeinflussen.»
Feits Ziel ist es deshalb, den Nutzenden eine Möglichkeit zu geben, die Algorithmen zu steuern und deren Funktionsweise zu beeinflussen. Dies könne einerseits durch direkte Interaktion mit dem Algorithmus geschehen, andererseits sammle der Algorithmus selbständig Informationen. So könne er sich dem Nutzenden und seiner Situation anpassen.
Wie das in der Praxis funktioniert ist noch unklar, das Forschungsgebiet in der HCI eher neu. Langweilig wird es Anna Maria Feit so schnell also nicht.