Der Selbstversorger vom Balmeggberg
Anton Küchler versorgt sich auf seinem Hof weitgehend selbst mit Lebensmitteln, Wasser und Wärme. Der ETH-Umweltnaturwissenschaftler lebt in einer Gemeinschaft auf dem Balmeggberg nach den Prinzipien der Permakultur.
In schweren Arbeitsschuhen und Handwerkerhosen steht Anton Küchler mitten im Wald. Mit einer Hacke schlägt er ein tiefes Loch in den steilen Hang am Balmeggberg. Eine Wurzel ist in die Fassung der Wasserquelle hineingewuchert, sodass das Wasser auf seinem Hof knapp geworden ist. In einem Rohr fliesst es zum Haus und wird in die Armaturen in Küche und Bad gepumpt. So hat er genug Wasser zum Kochen und Duschen – wenn jetzt nicht diese Wurzel wäre. Die Gästetoilette hingegen bleibt das ganze Jahr trocken: Hier wird nicht gespült, sondern mit Laub bedeckt und kompostiert.
Diesen Lebensstil hat Küchler bewusst gewählt: «Ich hätte keine Lust, in einem Dorf oder einer Kleinstadt zu leben. Ich mag das Extreme», sagt der 41-Jährige, der an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert hat. Vor 13 Jahren haben er und seine Frau Simone das Haus im Berner Emmental gekauft. Obwohl die beiden mittlerweile getrennt sind, leben sie weiterhin gemeinsam mit ihren beiden Kindern Silvan (13) und Ronja (11) auf dem Hof. Drei weitere Erwachsene, zwei Männer und eine Frau, vervollständigen die Gemeinschaft. Hinzu kommen temporäre Helfer und Gäste, die für Kost und Logis mit anpacken.
Die Natur stärken statt ausbeuten
Denn das Leben hier bedeutet viel harte Arbeit. Die Bewohner richten sich nach den Prinzipien der Permakultur. Das bedeutet, dass man sich an den erneuerbaren Ressourcen orientiert, die an einem bestimmten Ort verfügbar sind. Diese dienen der Selbstversorgung mit Essen, Wasser, Strom, Wärme oder Baumaterial. Die Ökosysteme sollen gestärkt und in ihrer Produktivität gesteigert werden. Denn: «In ein paar Jahrzehnten werden die fossilen Reserven den steigenden Bedarf nicht mehr decken können», warnt Küchler. «Langfristig müssen wir uns mit dem versorgen können, was wir vor unserer Haustüre haben. Dazu gehören viel Wissen und soziale Organisation.» Menschen auf der ganzen Welt haben sich der Permakulturbewegung schon angeschlossen – und es werden immer mehr. Es ist ein Gegenentwurf zur Globalisierung: Jeder Mensch und jede Gruppe beginnen, die Ressourcen in der unmittelbaren Umgebung nachhaltig zu nutzen.
Die Balmeggbergler sind darin schon geübt, nicht nur, was das Wasser aus der Quelle und die Komposttoilette angeht: Sie beziehen ihren Strom über die Solaranlagen der Nachbarn. Brennholz zum Heizen und Kochen stellen sie selber her, Sonnenkollektoren auf dem eigenen Dach sorgen für warmes Wasser und eine Kläranlage reinigt das Abwasser. Auch beim Essen setzen sie zu einem grossen Teil auf Selbstversorgung. Im Sommer wächst im Garten Gemüse; was zu viel ist, lagern sie für den Winter ein. Die Tomaten gedeihen geschützt in Gewächshäusern, sogar Pilze werden gezüchtet. «Etwa ein Drittel unserer Lebensmittel – viel Gemüse, Eier, aber auch Fleisch – stammt aus eigener Produktion», sagt Küchler. Milch, Käse und Getreide bezieht die Gemeinschaft von den Nachbarn oder von Bauern im Tal. Der Rest, zum Beispiel Teigwaren oder Reis, wird im Laden gekauft.
«Die Idee, so zu leben, hatte ich schon früh», sagt Küchler. Aufgewachsen ist er in einem Einfamilienhaus in Sarnen im Kanton Obwalden. Der Vater ist ein Schweizer Jurist, die Mutter stammt von den Philippinen und hat am MIT in Boston studiert. Die Umweltkatastrophen der 1980er-Jahre hinterliessen bei Küchler einen bleibenden Eindruck. Besonders gut erinnert er sich an den Nuklearunfall von Tschernobyl: Er geschah zwei Tage vor seinem neunten Geburtstag. Auch der Grossbrand von Schweizerhalle, die Golfkriege sowie Diskussionen um das Ozonloch und die Klimaerwärmung liessen seine Sorge um die Umwelt wachsen. «Ich wusste, dass ich mich beruflich engagieren möchte.»
Einsteigen statt Aussteigen
Deshalb entschied er sich für das Studium an der ETH, während dessen er in einer WG mitten in der Zürcher Altstadt lebte. Nach dem Diplom folgten acht Monate Zivildienst auf Bauernhöfen. Eine prägende Zeit, in der er merkte, dass der Lebensstil zu ihm passt – nicht nur in der Theorie. Er sehe sich nicht als Aussteiger: «Es war eher ein Einsteigen ins Leben.» Gemeinsam mit seiner Frau Simone stiess er zufällig auf das 300 Jahre alte Haus mit sechs Hektaren Land und Wald. Die beiden beschlossen, die Chance zu packen. Küchlers Eltern unterstützten den Kauf finanziell. «Auch wenn sie es sich nicht vorstellen konnten, was wir hier oben eigentlich machen», sagt er.
Dabei hat Küchler viele Eisen im Feuer. Einer wachsenden Zahl von Interessierten bringt er in Kursen bei, wie sie selbst Permakulturprojekte umsetzen können. Als Kursraum dient eine grosse Jurte neben dem Hof. In drei weiteren können die Gäste übernachten. Neben solchen Tätigkeiten haben alle Bewohner des Hofs einen festen Job: Simone Küchler arbeitet als Kindergärtnerin und Musiklehrerin. Anton Küchler führt ein Büro als selbstständiger Nachhaltigkeitsberater und Permakulturdesigner. In dieser Tätigkeit entwickelt er beispielsweise eine Genossenschaftssiedlung im Nachbardorf Trubschachen, die er nach den Prinzipien der Permakultur plant. «Sie richtet sich an Menschen, die Landwirtschaft zu einem Teil ihres Lebens machen wollen, ohne gleich einen eigenen Hof zu übernehmen», sagt Küchler. Ein weiteres Projekt ist ein Generationenhaus mit 20 Wohnungen in Langnau, das aus lokalem Holz und weitgehend ohne Metall, Plastik oder Leim gebaut werden soll. Mit Sonnenkollektoren und einer Photovoltaik-Anlage können sich die Bewohner teilweise selbst mit Wärme und Strom versorgen. Aussenraum und Fassade sollen Nistmöglichkeiten und Nahrung für Wildtiere bieten.
Vor Kurzem ist Küchler aus Afrika zurückgekehrt. In Tansania hatte er an einem Projekt mitgearbeitet, das die Verwendung von Holzkohle umweltfreundlicher machen soll. «Menschen in Entwicklungsländern kochen viel mit Holzkohle, was zu einer massiven Abholzung führt», erklärt er. Es bestehe ein dringender Bedarf an nachhaltig produzierten Brennstoffen. «Wir zeigen den Bäuerinnen und Bauern, wie man aus Ernterückständen wie Maisstängeln Kohlebriketts herstellen und verkaufen kann.»
Kompromisse gehören dazu
Das tönt nach viel Idealismus, dennoch wirkt Küchler pragmatisch: «Ich engagiere mich aus Freude und tiefem Respekt vor der Natur. Ich habe nicht das Gefühl, ich allein könne damit die Welt retten», sagt er. «Aber wenn ich darauf warte, dass die grossen Player die Welt nachhaltiger machen, dann passiert zu wenig.» Sein Ziel sei es, Menschen zu helfen, ein Leben zu führen, das auf den lokalen erneuerbaren Ressourcen basiert und diese gleichzeitig schützt. Sein eigener Hof dient dabei oft als Testbetrieb. «Es ist ein langer Prozess, der sehr viel Zeit und Arbeit braucht. Deshalb bin ich froh, schon jetzt auf diesem Weg zu sein – solange es noch nicht ums Überleben geht.»
Das Leben auf einem Bergbauernhof sei nicht der einzig mögliche Weg, sagt er. Auch in der Stadt könne man nach Permakulturprinzipien leben. Es gehe darum, jeden Tag, sei es im Büro oder in der Küche, die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen. «Dazu gehören auch Kompromisse: Für das Leben auf dem Balmeggberg etwa braucht es ein Auto», räumt Küchler ein. Er hat eine Mischung gefunden, die für ihn stimmt: «Die eine Hälfte meiner Arbeitszeit verbringe ich mit harter körperlicher Arbeit in der Natur. Die andere Hälfte am Computer. Nur das eine oder andere – das würde ich nicht aushalten.»
Zur Person
Anton Küchler (41) hat an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert. 2002 schloss er mit dem Diplom ab. Drei Jahre später kauften seine Frau und er einen alten Bauernhof auf dem Balmeggberg im Emmentaler Napfgebiet. Gemeinsam mit ihren beiden Kindern und weite-ren Bewohnern gründeten sie eine Gemeinschaft, die sich weitgehend selbst mit Essen, Wärme, Wasser und Strom versorgt. Küchler ar-beitet Teilzeit als selbstständiger Nachhaltigkeitsberater und Permakulturdesigner.
Dieser Text ist in der aktuellen Ausgabe des ETH-Magazins Globe erschienen.