Ein Jahr nach der Fields-Medaille

Das Leben von Alessio Figalli hat sich verändert, seit er vor einem Jahr die Fields-Medaille gewann. Der Kontakt zu Schulen und zur Öffentlichkeit ist heute intensiver, und in der Wissenschaft hat er neue Aufgaben übernommen. Er meistert sie mit Lebensfreude und Optimismus.

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Wie Alessio Figalli das letzte Jahr erlebt hat. (Video: IMU / ETH Zürich)

Grosse Ereignisse setzen Zäsuren: Nachher ist Vieles anders als zuvor. Das geht auch Alessio Figalli so. Vor einem Jahr gewann er am 1. August 2018 die externe Seite Fields-Medaille, die als «Nobelpreis der Mathematik» gilt. Seither hat sich in seinem Alltag das eine oder andere verändert – beruflich wie privat. Nicht nur aus dem Kreis der Wissenschaften erhielt er zahlreiche Gratulationen, Einladungen und weitere Ehrungen, auch Wirtschaft und Gesellschaft, Politik und Medien signalisierten ihre Anerkennung und zeigten ein erhöhtes Interesse. 

«Ich habe überraschende und berührende Momente erlebt», berichtet Alessio Figalli mit sympathischem Lächeln, «zum Beispiel haben mir Schüler persönliche und sehr ergreifende Briefe geschrieben, und einige haben sogar den Schritt gemacht und studieren Mathematik, weil sie meine Story gelesen hatten.» Auf Flughäfen und an öffentlichen Events kam es vor, dass ihn fremde Personen ansprachen, um ihm zu gratulieren, oder um einen Selfie mit ihm zu schiessen.

Forschung bleibt wichtig

Einen Rummel wie um Stars aus Sport, Film oder Popmusik hat der Mathematik-Professor nicht erlebt. «Ich fühlte mich nie wie ein Popstar. Ich lebe weiter mein normales Leben», sagt er, «Forschung ist darin nach wie vor eine wichtige Komponente, denn sie hat mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Sie gibt mir Energie und Motivation.»

Im vergangenen Jahr zog auch seine Lebenspartnerin von England nach Zürich. Figalli selbst erhielt den ersten Ehrendoktortitel der Universität der Côte d’Azur und wurde Mitglied zweier wissenschaftlicher Akademien. Die Scuola Normale Superiore in Pisa, wo er studierte, würdigte ihn mit einem externe Seite Symposium und die ETH Zürich mit einer externe Seite Ehrenvorlesung – diese war schon nach 70 Minuten ausgebucht. 

Sinnbildlich für die Reaktionen aus Politik und Gesellschaft ist die Ehrenbürgerschaft der Gemeinde Bari Sardo: In dieser Kleinstadt auf Sardinien verbrachte Alessio Figalli in seiner Jugend jeweils mit den Eltern die Sommerferien – oder auch die Anfragen für Vorträge vor Schulklassen und der breiten Öffentlichkeit.

Neue Welten, neue Erfahrungen

«Vor der Fields-Medaille habe ich nie einen Vortrag vor einem allgemeinen Publikum gehalten. Das war eine völlig neue Welt für mich», räumt Figalli ein, «ich musste mich in eine andere Denkweise versetzen, um verständlich zu erklären, was ein Mathematiker tut.» In der Zwischenzeit schätzt er öffentliche Auftritte genauso wie Vorträge vor einem wissenschaftlichen Publikum. Zum Beispiel trat er am externe Seite Wissenschaftsfestival in Genua auf. Seine Botschaft ist klar: «Mathematik mag abstrakt erscheinen. Ihr Ursprung sind jedoch sehr konkrete Fragen. Sie hilft uns, die Natur zu verstehen.»

Ich habe im vergangenen Jahr einige überraschende und berührende Momente erlebt.Alessio Figalli

Seit dem Gewinn der Medaille befasst sich Figalli eingehender mit Themen, die die Entwicklung, Wirkung und Vermittlung der Mathematik betreffen. Am 11. September 2019 etwa diskutiert er im Rahmen des «THE World Academic Summit» an der ETH Zürich darüber, welche Fähigkeiten und Kenntnisse in einer künftigen, hoch-technologischen Arbeitswelt (Stichwort «Künstliche Intelligenz») erforderlich sind, und was das für die Hochschulausbildung bedeutet. Organisator des internationalen Grossanlasses ist das für sein Ranking bekannte Magazin «Times Higher Education».

Mathematisches Wissen spielt in diesem Wandel eine Schlüsselrolle: «Mathematik ist für die aktuellen Herausforderungen der Informatik und der Finanztechnologie sehr wichtig», sagt Figalli. In letzter Zeit hat er sich vermehrt mit den Wechselwirkungen zwischen diesen drei eng vernetzten Fachgebieten auseinandergesetzt. Dabei wirkt die Fields-Medaille wie ein Türöffner: «Heute ist es viel einfacher für mich, Forschende aus anderen Disziplinen und aus der Industrie kennenzulernen.»

Direktor des Forschungsinstituts für Mathematik

Der Vernetzung mit der internationalen Spitzenmathematik widmet sich Alessio Figalli nun auch als Direktor des Forschungsinstituts für Mathematik (FIM). Diese Funktion an der ETH übt er neu seit dem 1. September 2019 aus. Vor 55 Jahren gegründet, geniesst das FIM heute weltweit ein hohes Ansehen. Regelmässig kommen Mathematikerinnen und Mathematikern nach Zürich an die ETH und tauschen sich hier über neue Erkenntnisse an den Grenzen des mathematischen Wissens aus. Das kommt der Mathematik in Zürich und in der Schweiz zugut und besonders den Doktorierenden und Postdoktorierenden.

Diese Tradition will Figalli nun fortschreiben. Entsprechend hat die ETH bereits auf seinen Vorschlag hin die beiden Fields-Medaillengewinner Martin Hairer (Imperial College London) und Akshay Venkatesh (Institute for Advanced Study Princeton) sowie die Forschungsdirektorin des CNRS, Viviane Baladi, zu neuen Mitgliedern des FIM-Beirats gewählt.

Wahre Herzensangelegenheiten

Seine eigene Forschung entwickelt er ebenso weiter. Neben den Arbeiten zum Optimalen Transport, für die er die Fields-Medaille erhielt, befasst er sich nun unter anderem mit einer Klasse von Gleichungen, die sich sehr gut zur Beschreibung chemischer und biologischer Phänomene eignet, und die unter dem Namen «Reaktionsdiffusionsgleichungen» bekannt sind.

Wahre Herzensangelegenheiten sind ihm die Förderung mathematischer Talente und die Vermittlung der Mathematik an Schülerinnen und Schüler: «Mathematik ist überall. Entsprechend vielfältig sind ihre Möglichkeiten in Theorie und Anwendung. Das möchte ich Schülerinnen und Schülern an Beispielen aufzeigen und damit ihr Interesse an Mathematik und Wissenschaft wecken.»

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