Wendesystem aus Matratzen entlastet Spitäler
Seine Doktorarbeit legte Julian Ferchow während dem Lockdown im Frühling zur Seite, um Spitäler zu entlasten. Mit seinem Team fand der 31-Jährige einen Weg, um Corona-Intensivpatienten einfacher zu drehen. Nun produziert eine Firma ein einfaches, aber effektives Wendesystem namens «Proning Taco».
Als die erste Corona-Welle im Frühling ihren Lauf nahm, war Julian Ferchow zunächst schockiert. «Wir sahen die Bilder aus Italien, von übermüdeten Ärzten und verzweifeltem Pflegepersonal.» Dann wurde ihm klar: «Wir müssen etwas tun.» Ferchow legte seine Doktorarbeit für eine Weile zur Seite und stellte ein 20-köpfiges Team zusammen. Innerhalb von vier Wochen entwickelten sie mit virtuellen Tools das sogenannte «Wende-Taco»-System, mit dem das Pflegepersonal Corona-Intensivpatienten im Spitalbett einfacher drehen kann. Das entlastet Spitäler, die während der Pandemie mit Personalmangel zu kämpfen haben.
Patienten mit Atemnot werden zweimal täglich von der Rücken- in die Bauchlage gebracht und umgekehrt. Die Bauchlage verbessert die Durchblutung der Lunge. Atemnot ist eines der gravierendsten Symptome und der Grund, warum viele Covid-19-Patienten sterben.
Derzeit werden für diese Umlagerung fünf Fachkräfte benötigt, denn das Drehen braucht viel Kraft, insbesondere bei übergewichtigen Männern. Zudem erfordert das Drehen und Lagern auch grosse Sorgfalt. Mit dem Wendesystem werden nur noch drei Fachkräfte benötigt. Während der Patient auf einer Matratze liegt, wickeln zwei Pflegefachleute eine zweite um ihn herum wie ein Sandwich – oder eben wie ein Taco. Daraufhin ziehen sie ihn an Laschen zu sich heran und wenden ihn, so dass dieser bäuchlings auf der anderen Matratze zu liegen kommt. Ein Arzt überwacht den Vorgang.
Das Wendesystem ist technisch simpel, jedoch sehr effektiv und kostengünstig. Es ist so gefertigt, dass es die Patienten stabilisiert und eine Drehbewegung mit geringem Widerstand ermöglicht. Die Matratzen sind aus dünnem visko-elastischen Schaumstoff gefertigt, was bei der Lagerung Druckstellen reduziert. Ausserdem sind sie ergonomisch anpassbar. «Die Matratzengrösse ist einheitlich und passt für alle Patienten», so Ferchow.
An der ETH forscht Ferchow zur Produkt- und Prozessentwicklung im 3D-Druck. Die fachlichen und methodischen Kompetenzen aus diesem Forschungsbereich konnte er direkt auf das Projekt des «Wende-Tacos» übertragen. Für die Konstruktion arbeitete Ferchow mit Medizinern des Universitätsspitals Zürich sowie mit Produktentwicklern, Designern und Vertretern aus der Industrie zusammen. Zum Kernteam gehören neben Ferchow auch Hanspeter Keel, Frederick Waldern, Lorenzo Scazziga, Gokula Englberger sowie Susanne Kohler und Philipp Bühler vom Unispital Zürich.
Gratis ins Internet gestellt
Nun möchte das Unternehmen OBA AG aus Basel den «Wende-Taco» im grösseren Massstab herstellen. Vor zwei Wochen wurden dafür am Universitätsspital Zürich Tests mit einem Vorserienprototyp absolviert. Die Firma passt das Produkt nun noch leicht an und will dieses danach den Spitälern anbieten. Ferchow freut sich über diese Nachricht. «Uns ging es von Anfang an nur darum, etwas zu bewirken und der Gesellschaft in der Pandemie zu helfen», sagt er. Das ist auch der Ansatz der von ETH-Professor Mirko Meboldt lancierten Initiative «helpfulETH», die den Anstoss zur Entwicklung dieses Wendesystems» gegeben hat.
Nachdem Ferchow und sein Team im Frühling erfolgreich einen Funktionsprotoypen entwickelten und testeten, hätten sie einen Antrag beim Patentamt stellen können. Stattdessen stellten sie eine Produktbeschreibung ins Internet, die jeder kostenlos nutzen kann. «Daraufhin meldeten sich auch Spitäler aus Asien bei mir», sagt Ferchow. Gut möglich also, dass bald auch anderswo Corona-Intensivpatienten mit dem Taco-Prinzip gedreht werden.
Literaturhinweis
Ferchow J et al.: Proning TACO - Facilitating the Proning of Patients with ARDS. Research Collection ETH Zürich, doi: externe Seite 10.3929/ethz-b-000412980