Grundlagen- und angewandte Forschung sind zwei Seiten derselben Medaille
Annette Oxenius wird ETH-Vizepräsidentin für Forschung. Ab dem 1. August 2025 übernimmt sie die Verantwortung für die Forschungsentwicklung und -förderung an der ETH Zürich. Die 56-jährige Schweizerin ist eine angesehene Immunologin und Professorin am ETH-Departement Biologie.
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In Kürze
- Auf Antrag des Präsidenten der ETH Zürich, Joël Mesot, hat der ETH-Rat die Immunologin Annette Oxenius zum Mitglied der ETH-Schulleitung ernannt.
- Ab 1. August 2025 wird Annette Oxenius die neue ETH-Vizepräsidentin für Forschung. Sie folgt auf den Biomediziner Christian Wolfrum.
- Die Schweizerin promovierte 1997 an der ETH Zürich und ist seit 2002 ETH-Professorin im Bereich der Immunologie.
Annette Oxenius ist eine der weltweit führenden Expert:innen im Bereich der Immunologie. Als Professorin am ETH-Biologiedepartement untersucht sie, wie die körpereigene Immunabwehr gegen virale Infektionen funktioniert. Ab dem 1. August 2025 übernimmt sie als Vizepräsidentin für Forschung die Verantwortung dafür, dass die Rahmenbedingungen der Forschung an der ETH Zürich weiterhin optimal sind.
ETH-Präsident Joël Mesot sagt: «Wir wollen in der Schweiz und der Welt zur Lösung drängender Probleme beitragen und als internationale Spitzenhochschule wettbewerbsfähig bleiben. Ich freue mich deshalb sehr über Annette Oxenius’ Wahl zur neuen Forschungschefin. Sie bringt die besten Voraussetzungen für diese Aufgabe mit. Mit ihrer Erfahrung wird sie die Schulleitung tatkräftig unterstützen können, dass die ETH Zürich ein attraktiver Ort für Talente bleibt.» Und fügt an: «Dem scheidenden Forschungschef Christian Wolfrum spreche ich meinen grossen Dank aus für das Geleistete und wünsche ihm alles Gute für die Zukunft.»
Neugier und Wissensdurst zeichneten Annette Oxenius schon in der Schule aus. In der Jugend interessierten Annette Oxenius jedoch nicht nur Natur- und Lebenswissenschaften: «Im Gymnasium gefielen mir fast alle Fächer, besonders Literatur im Zusammenhang mit Geschichte», erinnert sie sich, die in Fällanden im Kanton Zürich aufwuchs und die Mittelschule in Zürich absolvierte. Bereits vor der Matura besuchte sie Vorlesungen. Aufgrund ihrer Eindrücke entschied sie sich 1988, Biochemie, Molekularbiologie und Immunologie an der Universität Zürich zu studieren.
Das zündende Erlebnis, das sie zur Immunologie führte, erlebte sie in einem Praktikum im Institut für Experimentelle Immunologie. Dieses Labor war von 1980 bis 2006 wegweisend für immunologische Forschung und wurde von Hans Hengartner (Universität und ETH Zürich) sowie Rolf Zinkernagel (Universität und Universitätsspital Zürich) geleitet. Deren Kultur der Zusammenarbeit und Internationalität motivierte Annette Oxenius so sehr, dass sie ihre Diplom- und Doktorarbeit bei den beiden Immunologen schrieb. Den Doktortitel erhielt sie 1997 an der ETH Zürich.
Zwei Erlebnisse: Nobelpreis und Genschutzinitiative
Hautnah erlebte sie, als Rolf Zinkernagel – für seine Entdeckung, wie das Immunsystem virusinfizierte Zellen erkennt und zerstört – 1996 den Nobelpreis für Medizin erhielt. «Ich arbeitete im Labor, als ich die Nachricht im Radio hörte. Sogleich wollte ich Rolf gratulieren. Als ich bei seinem kleinen Büro ankam, standen dort schon rund zwanzig Journalisten und es gab kein Durchkommen», erzählt sie.
Oxenius’ prägende Erfahrung mit Medien und Politik folgte zwei Jahre später: 1998 stimmte die Schweizer Bevölkerung über die Genschutzinitiative ab. Diese wollte jegliche gentechnologischen Eingriffe an Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen untersagen. Um Nutzen und Notwendigkeit der Gentechnik aufzuzeigen, organisierten die Schweizer Forschenden unter anderem damals eine Demonstration in der Zürcher Bahnhofstrasse mit Reden auf dem Bürkliplatz.
«Das war die einzige Demonstration, die ich je besucht habe, und ein unvergessliches Erlebnis», schildert Oxenius. Zusätzlich nahm sie vor der Volksabstimmung an Podiumsdiskussionen teil - mit ambivalenten Erfahrungen: «Ich empfand das nicht als Diskussion, wenn jemand nur den eigenen Standpunkt vertritt und nicht auf die anderen eingeht.» Hans Hengartner schickte sie in ein Intensiv-Medientraining, in dem sie lernte, sich argumentativ gegen harte Fragen und kontroverse Aussagen durchzusetzen. «Danach fielen mir diese politisch gefärbten Podiumsdiskussionen leichter.»
Genschutz-Erfahrung hilft bei Corona
Die Erfahrung von 1998 half ihr während der Corona-Pandemie. Als Mitglied der Swiss National COVID-19 Science Task Force stand sie weniger im Rampenlicht als andere – ein bewusster Entscheid: Die fachlich breit abgestützten Informationen der Task Force wirkten glaubwürdiger, wenn nur der Präsident oder die Präsidentin der Task Force kommunizierten. «Die Fokussierung der Kommunikation war wichtig, um das Vertrauen der Politik zu gewinnen. Schliesslich geht es nicht darum, dass wir Forschenden selbst Politik machen, sondern dass wir die Politik in ihren Entscheidungen mit evidenzbasierter Information unterstützen.»
Lehr- und Wanderjahre in Oxford,
Berufung nach Zürich
1999 zog Annette Oxenius nach England. Drei Jahre lang forschte sie an der Universität Oxford beim Immunologen Rodney Phillips, der für seine HIV-Forschung bekannt war. Sein Einfluss spiegelt sich in ihrer Antrittsvorlesung von 2003, in der sie neue Ansätze zur Stärkung der Immunantwort bei HIV-Infektionen vorstellte (vgl. ETH-Videoportal). Ihre Ernennung als Assistenzprofessorin für Immunologie an die ETH kam 2002, kurz nach ihrer Rückkehr aus England. «Der Aufbau einer eigenen Forschungsgruppe war eine grosse Herausforderung, an der ich gewachsen bin.»
Während zu Beginn ihrer Professur die anwendungsorientierte Forschung zu HIV im Vordergrund stand, konzentrierte sich Annette Oxenius bald auf die Grundlagenforschung. «Mich interessiert das Immunsystem und wie gewisse Immunzellen auf Infektionen reagieren», erklärt sie. Sie erforscht die adaptiven Immunzellen, die B- und T-Lymphozyten, die bei Infektionen die körperfremden Bakterien oder Viren neutralisieren und infizierte Zellen zerstören.
Von den Virusinfektionen zu neuen Krebstherapien

Oxenius’ wichtigste Erkenntnis betrifft chronische Virusinfektionen wie HIV, bei denen die Viren, anders als bei einer Grippe, nicht vollständig abgetötet werden, sondern im Körper bleiben. An Mäusen konnte ihre Gruppe nachweisen, dass bei chronischen Infektionen eine gut regulierte Immunabwehr entscheidend ist – weil sonst das Immunsystem überreagiert, was für Tier und Mensch fatale und letztlich tödliche Folgen haben kann.
Eine interessante Erkenntnis dieser Forschung war, dass der Mechanismus, der die Immunabwehr von Virusinfektionen kontrolliert, auch bei Tumoren wirkt. «Die tierexperimentelle Forschung zur Immunregulation bei chronischen Infektionen hat neue und wirksame krebstherapeutische Ansätze ermöglicht», sagt Oxenius. Die Immunzellentherapie zielt darauf ab, die Regulierung der Immunantwort so anzupassen, dass die Immunzellen gezielt die Tumore abtöten.
Grundlagenforschung ist eine Herzensangelegenheit
Annette Oxenius' Arbeit zeigt exemplarisch auf, wie Grundlagenforschung zu wirksamen Behandlungen führen kann, selbst wenn anfangs keine konkrete Anwendung im Fokus steht. Mit Blick auf ihr Amt als Vizepräsidentin für Forschung folgert sie: «Grundlagenforschung und angewandte Forschung sind beide notwendig für Innovationen in Wissenschaft und Wirtschaft. Beide sind ausgewogen zu unterstützen.» Und sie ergänzt: «Nicht jede finanziell unterstützte Forschung muss sofort einen praktischen Nutzen erbringen. Das provoziert nur leere Versprechungen.»

«Grundlagenforschung und angewandte Forschung sind beide notwendig für Innovationen in Wissenschaft und Wirtschaft.»Annette Oxenius![]()
Die Anfrage für das Vizepräsidium kam unerwartet, doch Oxenius sagte überzeugt zu: «Ich nehme nur Mandate an, bei denen ich weiss, dass ich zu Lösungen beitragen kann. Da mir die Forschung an der ETH sehr am Herzen liegt, setze ich mich gern dafür ein, dass wir unsere hohen Forschungsstandards bewahren und die talentiertesten Nachwuchsforschenden gewinnen.»
Oxenius nennt Forschungsfreiheit, Wissenschaftsethik, Open Science und evidenzbasierte Lösungen zu Themen wie Klima, Nachhaltigkeit, Materialien, KI und Medizin als entscheidende Rahmenbedingungen. Zu den grossen Herausforderungen der ETH-Forschung zählt sie die Sicherstellung der Finanzierung, die Wahrung der internationalen Spitzenstellung, die Rekrutierung der besten Köpfe sowie die Förderung interdisziplinärer Forschung – z.B. durch departementsübergreifende und interdisziplinäre Zentren.
Als Vizepräsidentin will Oxenius die Erfahrungen als Mitglied der ETH-Forschungskommission und des Expert:innen-Panels der ERC Consolidator Grants nutzen. «Als Vizepräsidentin möchte ich partizipativ führen und die Expertise der Fachpersonen einbeziehen.» So hat sie das von 2020 bis 2022 gemacht, als sie das Departement Biologie gemeinsam mit den Professorinnen Sabine Werner und Julia Vorholt leitete. Sie diskutierten alle Vorlagen im Team, um ausgewogene Vorschläge zuhanden der Professor:innenschaft zu erarbeiten und berücksichtigten die Fachkompetenz des Departementsstabs.
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