Pendeln zwischen Eishalle und Vorlesungssaal

Die Bronze-Medaille der Hockey-Damen in Sotschi hat die Schweiz bewegt. Dass hinter der Leistung der Spielerinnen harte Arbeit steckt, beweisen die ETH-Studentinnen Angela Frautschi und Julia Marty.

Vergrösserte Ansicht: Julia Marty und Angela Frautschi in Sotschi
Mit vollem Einsatz zum Erfolg: Das gilt für Julia Marty (links) und Angela Frautschi (rechts) im Sport ebenso wie im Studium. (Bild: Petr David Josek/Keystone)

Es war ein harter Einstieg in den Alltag. Wenige Abende zuvor noch hatten Angela Frautschi und Julia Marty zusammen mit dem Schweizer Damen-Team die Schwedinnen nach einer spannenden Aufholjagd an der Olympiade in Sotschi im Spiel um Bronze bezwungen. «Wir konnten es kaum fassen», erinnert sich Frautschi. Plötzlich standen die Amateursportlerinnen im Mittelpunkt.

Reporter hielten ihnen Mikrofone vor den Mund, Kameras filmten sie, und Fotoblitze entluden sich im Halbsekundentakt. Zurück in der Schweiz sind Sotschi und der grosse Sieg wieder weit weg. Daran müsse sie sich erst wieder gewöhnen, sagt Marty. Einen Monat lang habe sie 30 Spielerinnen um sich gehabt, die gemeinsam ein Ziel verfolgt hätten: die Medaille.

«Der Wechsel von der Olympia-Welt in das normale Leben war schwierig», sagt die 25-Jährige. Marty spielt in Schweden. Dort stehen nun die Playoff-Spiele an. Danach geht es zurück in die Schweiz. Zurück an die ETH. Nach ihrem Master in Bewegungswissenschaften und Sport absolviert sie dort das Lehrdiplom für Sport.

Angela Frautschi hat die Schlittschuhe gegen Turnschuhe und Rucksack getauscht. Seit Herbst studiert sie Bewegungswissenschaften und Sport am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie (HEST). Genau das Richtige nach der Aufregung der vergangenen Wochen, sagt die 26-Jährige. Turin, Vancouver, Sotschi – drei mal trat sie zusammen mit Marty für das Schweizer Nationalteam an den Olympischen Spielen an. Zeit für Schwermut bleibt Frautschi keine.

Tagsüber schreibt sie in Vorlesungen mit oder lernt zuhause in Bülach den Stoff. Abends steigt sie dann fürs Training in die Schlittschuhe. In den Zwischenstunden trainiert sie in den Fitnessräumen des ASVZ. Alles unter einen Hut zu bringen, sei nicht immer einfach. Das erste Semester sei hart gewesen, zumal die Vorbereitung auf Olympia sie gefordert habe. Ihren Nebenjob als Sportartikelverkäuferin musste sie aufgeben und vom Spitzensport kann sie nicht leben. Eishockey ist für Frauen in der Schweiz noch immer ein Hobby, kein Beruf.

Als Halb-Profi spielen können

Viele Hockey-Spielerinnen aus dem Nati-Team arbeiten neben dem Sport 80 bis 100 Prozent. Bei den Männern ist das kein Thema. Die sind Profis. Julia Marty verlangt nicht, dass auch die Frauen dereinst ganz aufs Hockey setzen können. Ihr Anspruch fällt bescheidener aus: «Ich hoffe, dass durch den Erfolg der Nati das Frauen-Hockey einen höheren Stellenwert bekommt. Nun haben wir gezeigt, dass wir an der Spitze mitspielen.»

Sie wünsche sich mehr Professionalität im Schweizer Damen-Hockey. Konkret: dass Mädchen in Nachwuchsteams in allen Schweizer Clubs gleich gefördert werden wie ihre männlichen Teamkollegen, und dass es für die Damenteams gut ausgebildete Trainer und bessere Trainingszeiten gibt. Oft dürfen die Hockeyanerinnen erst nach den Herren aufs Eis – ab 21 Uhr.

Ähnlich sieht es Angela Frautschi. «Wir sollten als Halb-Profi spielen können.» Ganz aufs Hockey setzen möchte sie nicht. Ihr Studium der Bewegungswissenschaften gefällt ihr zu gut. Anders als Marty zweifelt sie daran, dass der Sotschi-Sieg das Damen-Hockey aufwertet: «Die Bronzemedaille ist vielleicht ein falsches Signal. Man glaubt dann die Frauen schaffen es auch ohne Unterstützung.»

Was steht hinter den Sportlerkarrieren der Frauen? Mit acht Jahren schon stand Julia Marty mit Schlittschuhen und Stock auf dem Eis. Seitdem richtet sie ihr Leben nach dem Sport aus. So studierte sie dank einem Sportstipendium zusammen mit ihrer Zwillingsschwester, die ebenfalls in der Nati spielt, in den USA. «Das waren Traumbedingungen für mich», erinnert sich die Wettingerin.

Auf dem Uni-Campus in Boston pendelte sie täglich zwischen Eishalle, Fitnessraum und Vorlesungssaal. «Ich konnte trainieren, wann und sooft ich wollte.» In der Schweiz sieht es anders aus. Hier muss sie sich die vier Eishockey-Trainings pro Woche «mühsam zusammensuchen», wie sie sagt.

Von ganz unten nach ganz oben kommen

Sieben Monate im Jahr verbringen die beiden Frauen fast jede freie Minute auf dem Eis. Zeit für sich, Familie und Freunde bleibt kaum, sagt Angela Frautschi. Was das heisst, hat sie am eigenen Leib erfahren. Vor einem Jahr verunfallte die Velolenkerin auf dem Eis. Die Folge: eine schwere Kopfverletzung. Für die Sportlerin war das ein Tiefschlag. «Ich konnte nicht einmal mehr Velofahren. Das war belastend.» Aufgeben ist nicht ihre Sache. Die Sportlerin kämpfte – langsam, aber sicher.

Vergangenen Sommer stieg sie wieder aufs Velo und trainierte. Anfangs hatte sie noch mit Kopfschmerzen zu kämpfen. Sie biss sich durch und zeigte es allen. «Viele haben nicht mehr damit gerechnet, dass ich je wieder spiele.» Nach der Bronzemedaille denkt sie nun doch langsam ans Kürzertreten.

Mit 30 Jahren sei für die meisten Spielerinnen Schluss. Dass sie noch vier Jahre spielen werde, sei nicht sicher. Sich vom Eis zu trennen, sei aber schwierig, wie die junge Frau sagt: «Wenn man einmal etwas so emotionales wie Eishockey erlebt hat, kann man nicht einfach aufhören. Man will dieses Gefühl immer wieder spüren.»

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