Nasen aus dem Bioprinter
3D-Drucker eröffnen auch in der Medizin komplett neue Möglichkeiten. Eine Forschungsgruppe um Marcy Zenobi-Wong druckt Knorpeltransplantate aus körpereigenen Zellen. Sie sind personalisiert und wachsen mit dem Patienten mit.
Bioprinting, der 3D-Druck mit zellulären Materialien, ist gerade auf dem besten Weg, das nächste grosse Ding in der personalisierten Medizin zu werden. Im Labor der Gruppe Knorpeltechnologie und -regeneration am Departement für Gesundheitswissenschaften und Technologie präsentiert Matti Kesti den Stand der Forschung: In einer mit Nährstofflösung gefüllten Schale liegen ein weisstrüber Knorpel einer Nase und eines Miniatur-Ohrs. Beide hat der Doktorand aus einem Mix aus Biopolymeren und lebendigen Knorpelzellen mit dem laboreigenen Bioprinter gefertigt – einem 3D-Drucker für biologische Materialien. Der aussergewöhnliche Drucker ist so gross wie eine Laborkapelle und sieht auf den ersten Blick auch aus wie ein geschützter Abzug im Labor. Das Herz der Anlage ist ein Rad mit acht Spritzen, die alle mit einer anderen Suspension befüllt werden können. Über einen Computer ausserhalb des verschliessbaren Printers werden die Kolben der Spritzen anhand von digitalen Daten eines dreidimensionalen Modells angesteuert. Die Suspension wird dann haargenau aus der Spritzdüse gedrückt und auf einer darunter liegenden Plattform, die schnell hin und her saust, eine beliebige Struktur im Schichtverfahren aufgebaut – zum Beispiel ein Stück Gelenkknorpel oder ein Nasenknorpel. Für Letzteren braucht der Biodrucker 16 Minuten.
Kesti skizziert, wie dieses Verfahren die Rekonstruktions-Chirurgie künftig revolutionieren könnte: Bei einem schweren Autounfall wird die Nase eines Passagiers zerschmettert. Sie wird am Computer als 3D-Modell rekonstruiert. Gleichzeitig werden dem Patienten bei einer Biopsie körpereigene Knorpelzellen entnommen, zum Beispiel aus Knie, Finger, Ohren oder Splittern der zertrümmerten Nase. Die Zellen werden im Labor vermehrt und mit einem Biopolymer vermischt. Aus dieser zahnpastaähnlichen Suspension wird mit dem Bioprinter ein Nasenknorpel-Transplantat aufgebaut, das dem Patienten chirurgisch eingesetzt wird. Das Biopolymer dient dabei lediglich zur Formgebung; es wird später durch die körpereigenen Knorpelzellen abgebaut. Nach wenigen Monaten unterscheidet sich das einstige Transplantat nicht mehr von einem körpereigenen Nasenknorpel. Dieses Verfahren hat gegenüber klassischen Implantaten, zum Beispiel aus Silikon, bedeutende Vorteile: Die Gefahr von Abstossungsreaktionen durch den Körper ist viel geringer. Und besonders für junge Patienten entscheidend: Das zelluläre Implantat wächst mit dem Patienten mit, da es genauso wie andere Körperteile vom Wachstumsmotor des Patienten gesteuert wird.
Hohe Anforderungen an Biotinte
Dass der Zelldruck gerade jetzt Einzug in die Medizin hält, hat seine Gründe: «Den 3D-Drucker gibt es seit fast 20 Jahren. Dass er für chirurgische Zwecke erst gerade entdeckt wird, liegt vor allem an den fehlenden Biotinten», sagt Marcy Zenobi-Wong, Professorin und Leiterin von Kestis Forschungsprojekt. Kommerzielle, zelluläre Druckpatronen gibt es bis heute nicht, weil die Transplantation extrem hohe Anforderungen an das Material stellt. Jeder Stoff, der klinisch eingesetzt werden soll, unterliegt strengen internationalen und nationalen Richtlinien und muss vor der Anwendung im Spital jahrelang getestet werden – und das kostet oft Millionen. Deshalb setzen Zenobi-Wong und ihre Forschungsgruppe auf Biopolymere, die bereits aus dem Spitalalltag bekannt sind. Zum Beispiel Alginsäuren. Das sind aus Seegras extrahierte Polymere, die gut körperverträglich sind. Oder Chondroitinsulfat, ein körpereigenes Makromolekül, das für den Widerstand des Knorpelgewebes verantwortlich ist.
Fürs Bioprinting werden solche Biopolymere mit Zellen von Menschen, oder für Laborzwecke auch von Tieren, versetzt und zu einem sogenannten Hydrogel mit bis zu 90 Prozent Wasseranteil aufbereitet. Die Fliesseigenschaften dieser Biotinte müssen genau stimmen, damit das Gel die Spritzenkanülen nicht verstopft. Gleichzeitig muss sie aber auch genügend viskos sein, damit sie die Struktur des aufzubauenden Körpers überhaupt halten kann. Wäre das Gel nämlich zu flüssig, so würden die Schichten beim Druck zerfliessen. Hinzu kommen die Gelierungseigenschaften: Damit aus dem Gel eine feste Struktur wird, die für Ärzte nutzbar ist, muss die Form fixiert werden. Dies geschieht über eine Polymerisation des Hydrogels, die durch Licht, Temperatur, eine Änderung des pH-Werts oder durch Zugabe von Ionen initiiert wird. «Unser Spielraum ist dabei sehr eng», erklärt Zenobi-Wong. «Denn wir müssen stets aufpassen, dass die Zellen während des Druckprozesses nicht geschädigt werden.» Ein grosser Teil ihrer Forschung widmet sich deshalb der Suche nach passenden Biopolymeren und nach zellschonenden Formen der Polymerisation.
Dritte Dimension als Wegweiser
Eine der ersten Anwendungen von gedruckten Knorpeltransplantaten könnte bei Verletzungen in Knie- und Sprunggelenken liegen. Schon heute werden nach Sportverletzungen bei jüngeren Patienten Knorpeltransplantationen durchgeführt. Dafür werden im Labor körpereigene Knorpelzellen auf Hydrogel-Bändern gezüchtet, und daraus wird ein passendes Stück in die verletzte Stelle eingenäht. Das ist zwar gut, aber nicht ideal: Denn beim zweidimensionalen Zellwachstum im Labor fehlen wichtige räumliche Informationen für die spätere Funktion. Die Zellen bilden deshalb ein narbenähnliches Gewebe aus, anstelle von Knorpelmasse. Da mit dem Bioprinter Zellen und ihre stützende Struktur – die sogenannte extrazelluläre Matrix – im gleichen Schritt gedruckt werden, steht ihr zukünftiger Einsatz von Beginn an fest. Die Zellen behalten dadurch ihre ursprünglichen Merkmale und reproduzieren neuen körpereigenen Knorpel.
Die ersten Transplantate aus dem Bioprinter sollen noch dieses Jahr in Schafen oder Ziegen getestet werden. Solche Grosstierversuche sind die Voraussetzung für klinische Tests mit Menschen, die den Weg für einen Einsatz im Spitalalltag ebnen. «Ob wir künftig Bioprinter in den Spitälern antreffen werden, ist aber weniger eine technische Frage, sondern hängt davon ab, ob die Technologie von Ärzten, Patienten und Versicherungen akzeptiert wird», ist Zenobi-Wong überzeugt. Ihre Forschungsgruppe arbeitet deshalb schon heute eng mit Medizinern der Schulthess Klinik zusammen.
Herzen aus dem Drucker?
Seit 2004 der erste internationale Workshop zu Bioprinting stattfand, ist das Forschungsfeld kontinuierlich gewachsen. Aktuell arbeiten weltweit bereits über 80 Forschungsgruppen an möglichen klinischen Anwendungen. Und in den USA drängen bereits erste kommerzielle Anbieter von gedruckten Zellstrukturen für medizinische Tests auf den Markt – angetrieben von viel Risikokapital. Werden also auf die ersten gedruckten und implantierten Knorpel bald auch Herzen und Nieren folgen, wie manche prognostizieren? Zenobi-Wong ist kritisch: «Um Bioprinting herrscht momentan ein grosser Hype. Aber von vielem, was heute schon versprochen wird, ist man in der Forschung noch sehr weit entfernt.» Die Herstellung von Knorpel sei relativ einfach im Vergleich zur Herstellung von Körperorganen, die sofort mit Blut und grossen Mengen Sauerstoff versorgt werden müssen. Bei Herz, Lunge oder Niere müssten Hunderte von Kapillaren für die Versorgung des Organs mitgedruckt werden – in einer Präzision und Materialität, wie sie wahrscheinlich noch lange nicht umsetzbar sind. Hinzu komme, dass in solchen Organen – anders als bei Knorpel – unterschiedliche Zellen miteinander kommunizieren müssen, um eine ganze Reihe von unterschiedlichen Funktionen zu erfüllen. «Unsere Expertise liegt beim Knorpel, dem wohl einfachsten Körpergewebe fürs Bioprinting», sagt Zenobi-Wong. «Doch heute wissen wir, dass selbst dieses alles andere als einfach zu drucken ist.»