Umbruch auf der Baustelle

Digitale Technologien haben bereits viele Bereiche der Wirtschaft umgekrempelt. Jetzt steht auch das Bauwesen vor einem Wandel: Effizientere Abläufe, neue Materialien und vielfältigere Häuser sind das Ziel.

Vergrösserte Ansicht: Matthias Kohler, Balz Halter und Jonas Buchli
Die Gesprächsteilnehmer Matthias Kohler, Balz Halter und Jonas Buchli (Bild: Nicole Bachmann)

Herr Kohler, auf der Website des neuen Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Digitale Fabrikation steht: «Die digitale Fabrikation verspricht, die Architektur zu revolutionieren.» Braucht die Architektur eine Revolution?
Matthias Kohler: Das ist keine Forderung, sondern eine Feststellung: Der Bauprozess läuft immer noch hochgradig konventionell ab. Andere Wirtschaftsbereiche wurden durch digitale Technologien tiefgreifend transformiert. Deshalb stellt sich die Frage, ob in der Architektur und im nachgelagerten Bauprozess nicht auch ein Wandel ansteht. Der externe Seite NFS Digitale Fabrikation befasst sich mit dieser Frage: Was ist der Mehrwert, wenn Bauteile vollständig von Maschinen assembliert werden? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Menschen auf der Baustelle mit Robotern zusammenarbeiten können? Und wie wirkt sich dies auf den Entwurf, die Planung und die Baukultur aus?

In Japan wurden allerdings schon vor längerer Zeit Häuser mit Robotern gebaut. Erfinden Sie das Rad neu?
Kohler: Tatsächlich hat man in Japan in den 1990er-Jahren erste Schritte in Richtung Automatisierung auf der Baustelle gemacht. Es gab einen Boom, der aus ökonomischen Gründen jäh einbrach. Damals wollte man die serielle Massenproduktion von der Fabrik auf die Baustelle bringen. Das hat funktioniert, doch führte dieser technokratische Ansatz zu einer Einschränkung der Architektur und zu ausdruckslosen Bauten. In der heutigen Baukultur wird für jede Situation eine angemessene, «massgeschneiderte» Lösung gesucht. Darauf basiert die Qualität unserer Lebensräume. Wenn wir mit dem Roboter auf die Baustelle gehen, ist unsere Motivation heute eine andere: Wir versuchen herauszufinden, wie die Abläufe rationalisiert werden können, aber gleichzeitig nach wie vor Massanfertigung erlauben. Das ist das eigentlich Neue: Jedes maschinell gefertigte Bauteil kann anders aussehen, sogar der einzelne Produktionsschritt lässt sich bis zu einem gewissen Grad individualisieren. Das machen wir zum Beispiel mit unseren Robotern: Je nach Aufgabe nutzt der gleiche Roboter andere Werkzeuge, um etwas zusammenzusetzen, zu bearbeiten oder zu formen. Dieser Ansatz führt bereits ab relativ kleinen Stückzahlen zu einer rationalen Fertigung.

Herr Halter, besteht bei den Bauherren überhaupt eine Nachfrage nach Individualisierung?
Balz Halter: Die Bauherren wollen sicher eine individuellere Ausstrahlung der Gebäude. Das schlägt sich auch in der Architektur nieder: Man sucht nach neuen Formen und Materialien. In der Bauindustrie haben wir die erwähnte Massenfertigung überwunden, weil wir gesehen haben, dass dieser Ansatz immer wieder zu den gleichen Gebäuden führt. Die Bauindustrie strebt durchaus eine Individualisierung an, denn diese bietet ja auch die Möglichkeit, sich von Mitbewerbern zu differenzieren.

Herr Buchli, was ist Ihre Motivation als Robotiker, sich mit Bauprozessen zu befassen?
Jonas Buchli: Viele Bereiche der Wirtschaft wurden durch die Digitalisierung umgekrempelt. Es handelt sich vor allem um Bereiche, wo entweder Daten eine zentrale Rolle spielen oder wo man Probleme gut strukturieren kann. In der Robotik steht nun der nächste Schritt an, nämlich diese Technologien in Bereiche zu bringen, die weniger strukturiert sind, wo es mehr Flexibilität braucht und die Maschinen zeitnäher reagieren müssen. Das Bauwesen ist dazu ein interessantes Eintrittsgebiet. Eine Baustelle ist sicher weniger gut strukturiert als eine Fabrik, aber doch noch nicht so offen wie zum Beispiel die Welt der Serviceroboter, die selbstständig im Haushalt Tätigkeiten ausführen. Das Potenzial in der Baubranche ist sehr gross. Dieses können wir aber nur ausschöpfen, wenn wir schwierige Robotikprobleme lösen. Das ist für mich als Forscher eine interessante Herausforderung.

Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit den Architekten?
Buchli: Wenn man mit Architekten zusammenarbeitet, hat man ganz andere Herausforderungen und Möglichkeiten, als wenn man «nur» mit Ingenieuren kooperiert. Ich lerne extrem viel und werde mit einer ganz anderen Perspektive konfrontiert. Was mich überrascht hat, ist, wie pragmatisch man Technologien einsetzt und wie zielgerichtet gearbeitet wird.

Was wurde denn schon umgesetzt?
Kohler: Wir sind im Moment noch in einem frühen Forschungsstadium, auch wenn einzelne Unternehmen schon konkrete Schritte in Richtung digitale Fabrikation gemacht haben. Bis die Erfahrungen in einer ganzen Produktionskette integriert sind, braucht es viel Zeit. Beim Ziegel- und Holzbau haben wir gesehen, dass die Umsetzung sicher sechs bis zehn Jahre braucht. Umgerechnet auf die ganze Bauindustrie werden diese Umwälzungen mehrere Jahrzehnte beanspruchen. Spannend ist für mich die Frage: Was gewinnen wir durch diese Technologie an Qualität in der Architektur und in den Bauprozessen, und welche Vorteile ergeben sich für den Standort Schweiz?

Halter: In der Praxis ist digitale Fabrikation heute durchaus ein Begriff. Gerade im Holzbau wird schon sehr viel gemacht. Dass diese Technologien noch nicht in der Breite angewendet werden, ist weniger eine Frage der Möglichkeiten. Das Problem ist, dass wir nur digital produzieren können, wenn die Daten in entsprechender Form vorliegen. In diesem Bereich ist unsere Industrie einfach noch rückständig. Es gibt keinen integralen Prozess vom Entwurf über die Produktion bis hin zum Betrieb. Wenn wir die Daten schon im Planungsprozess richtig handhaben würden, wäre die Umsetzung nachher viel einfacher. Eigentlich hätten wir alle Instrumente zur Verfügung. Aber unsere Industrie ist noch nicht in der Lage, diese Instrumente zu nutzen.

Woran liegt das?
Halter: Es liegt erstens daran, dass wir immer noch sehr gewerkspezifisch denken, also das Gebäude nicht als Gesamtsystem verstehen. Zweitens unterbrechen wir den Planungsprozess immer wieder, weil wir Daten von einem Ort an einen anderen übergeben. Und drittens ist die Bauindustrie sehr gewerblich und arbeitsteilig organisiert. Die Herstellung eines Autos erfolgt aus einem Guss, das ist bei Gebäuden nicht so. Dabei ist der Hausbau nicht komplizierter als der Automobilbau. Wir sind einfach so aufgestellt, dass es kompliziert wird. Deshalb läuft auf der Baustelle vieles noch sehr altertümlich ab. Aber darin liegt natürlich auch eine Chance, gerade für den Entwurfsprozess. Was uns am Herzen liegt ist, dass die digitale Fabrikation zu qualitativen Verbesserungen führt und am Schluss auch ökonomische Vorteile bringt.

Buchli: Die ganze Entwicklung wird wohl ähnlich ablaufen wie in der Computertechnik. Als wir die ersten Computer auf dem Tisch hatten, war das überhaupt noch nicht produktiv. Aber es hat early adopters gegeben, die vorausgedacht haben. Erst jetzt, nach vielen Jahren, sind Computer auch für die Normaluser wirklich produktiv. Eine solche Entwicklung werden wir auch in der Bauindustrie durchmachen. Allerdings ist das Problem hier viel komplexer; deshalb sind auch die Zeithorizonte länger. Wir werden nicht in zwei, drei Jahren zurückblicken können und dann sagen, es hat funktioniert oder es hat nicht funktioniert.

Wo erwarten Sie die ersten Schritte?
Buchli: Was sich in näherer Zukunft wohl durchsetzen wird, sind Transportanwendungen, aber auch gewisse Präzisionsanwendungen. Wir können heute Strukturen mit einer Präzision herstellen, die ein Mensch nicht erreichen kann, zumindest nicht in dieser Zeit und unter den Rahmenbedingungen, unter denen ein Roboter arbeitet. Doch wenn wir diese Sachen auf die Baustelle bringen wollen, müssen wir vermehrt die Informationen von der Baustelle in den Planungsprozess einbeziehen. Bisher war das Ganze ein gerichteter Prozess: zuerst planen, dann ausführen. Jetzt geht es darum, den Kreis zu schliessen.

Kohler: Die entscheidende Frage ist natürlich, wie man diese Vision umsetzt. In der Architektur ging man bis anhin stark vom Kopf aus. Die Idee war, eine ausgetüftelte Planungssoftware zu entwickeln, die alles integriert. Das funktioniert in der Planung heute auch weitgehend. Aber dort, wo das Ganze physisch wird, bleiben die Prozesse meistens konventionell. Wir wechseln nun die Perspektive und suchen nach Lösungen, die sich rückwärts integrieren lassen, also von der Ausführung zum Entwurf. Ich bin davon überzeugt, dass es uns mit diesem Ansatz viel eher gelingen wird, eine für das Bauwesen nachhaltige Transformation von innen heraus einzuleiten.

Teilen Sie diese Ansicht?
Halter: Dieser Ansatz hat einiges für sich. Die Entwicklung wird stark von Architekten getrieben, die vom Endprodukt ausgehen und mit Bauteilen und Materialien arbeiten, die man nur in einem digitalen Prozess realisieren kann. Es gibt zum Beispiel Fassaden, die kann man nur noch datenbasiert planen und produzieren. Es wird auch spannend sein zu sehen, was die 3D-Drucker für einen Einfluss haben werden. Das ist genau der Punkt: Wir schauen, welche Möglichkeiten wir in der Produktion haben, und gehen von dort aus zurück zum Entwurf, bis sich die beiden Enden gefunden haben.

Kohler: 3D-Druck ist ein interessantes Stichwort: Der 3D-Drucker lässt sich nicht ohne Weiteres auf die Architektur übertragen. Grundsätzlich sind additive Prozesse für uns aber natürlich spannend. Denn gute Architektur entsteht aus dem kunstvollen Fügen von Elementen zu Räumen, die grösser sind als die Maschinen, die sie bauen. Hier kommt nun das 3D-Drucken ins Spiel: Wie finden wir in der Architektur Aufbaustrategien, die auf digitalen Technologien basieren, aber trotzdem die Anforderungen und die Ökonomie der Architektur berücksichtigen? Es macht zum Beispiel wenig Sinn, ein ganzes Gebäude zu drucken. Wegen der Auflösung, mit welcher der Drucker arbeitet, dauert der Bauprozess sehr lange und das Material ist überdies sehr teuer. Setzt man aber grössere Bauelemente ein, kann man eine bauadäquate Auflösung erreichen.

Können Sie das noch etwas präzisieren?
Kohler: Ich spreche zum Beispiel von digitalen Materialsystemen: Plötzlich kann man dank digitaler Technologien anders mit einem Baustoff umgehen als bisher. Es kann gut sein, dass das zu Entwicklungssprüngen führen wird. Daneben gibt es noch den ökologischen Aspekt: Heute werden Betonwände so konzipiert, dass sie dem schlimmsten Lastfall standhalten. Diese Wände werden mit einem geraden Schalungssystem gebaut. Das führt dazu, dass rund ein Drittel des Betons statisch gar nicht gebraucht wird. Setzen wir Systeme ein, die ohne Schalung auskommen, hat das Konsequenzen auf unseren Umgang mit materiellen Ressourcen. Wenn sich die Baukultur in diese Richtung entwickelt, können wir mit digitaler Fabrikation auch in diesem Bereich Mehrwerte schaffen. Mit unseren Projekten schaffen wir Wissen, das Schweizer Firmen international verwenden können. Es würde uns freuen, wenn die Industrie diese Impulse aufnehmen würde und aus unseren Projekten interessante Kooperationen entstehen würden.

Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen für die Menschen, die am eigentlichen Bauprozess beteiligt sind?
Halter: Es wird je länger je schwieriger, die notwendigen Fachleute zu finden. Deshalb müssen wir versuchen, die Abläufe auf der Baustelle informationstechnologisch so zu stützen, dass die benötigte Kompetenz geringer wird. Hinter diesem Bestreben stehen also auch ökonomische Überlegungen, weil die einzelne Arbeitskraft immer teurer wird.

Wie beurteilen Sie denn die Einführung des neuen externe Seite Masterstudiengangs «MASDigitale Fabrikation» an der ETH, der in diesem Jahr erstmals startet?
Halter: Es ist keine Frage: Wir brauchen einen solchen Studiengang. Denn die Entwicklung, über die wir nun gesprochen haben, kann nur stattfinden, wenn man auch bei der Ausbildung ansetzt. Wir brauchen Leute, die mit solchen Technologien umgehen können. Wir stossen immer wieder Innovationen an, merken aber, dass die Leute in der Praxis überfordert sind, weil sie mit etwas konfrontiert werden, das sie nicht kennen. Ein Planer weiss nicht, warum er etwas anders machen soll – denn er bekommt ja kein höheres Honorar, sondern hat höchstens ein grösseres Risiko. Wenn er keinen inneren Antrieb hat, das einmal anders anzupacken, und die Chancen der Veränderung auch gar nicht erkennen kann, dann wird er es eben auch nicht machen. Das ist verständlich.

Gesprächsteilnehmer

  • Matthias Kohler ist Professor für Architektur und Digitale Fabrikation am Departement Architektur der ETH Zürich. Mit Fabio Gramazio baute er 2005 das weltweit erste Roboterlabor für nicht standardisierte Fabrikationsprozesse in der Architektur auf und eröffnete damit ein vollkommen neues Forschungsgebiet.
  • Jonas Buchli ist Förderprofessor für Agile Robotik an der ETH Zürich. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf modellbasierten Ansätzen zur Steuerung robotischer und zum Verständnis menschlicher Fortbewegung, auf maschinellem Lernen sowie auf dynamischen Service- und Feldrobotern.
  • Balz Halter ist Inhaber und Verwaltungsratspräsident der Halter Unternehmungen, die in den Bereichen Entwicklung, Bau und Betrieb von Immobilien agieren. Er ist Bauingenieur ETH und Jurist.
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