Cyberathleten messen sich in alltagsnahen Disziplinen
Beim Cybathlon im kommenden Jahr messen sich Menschen mit körperlichen Behinderungen mithilfe neuester technischer Hilfsmittel. Ziel des einzigartigen Wettkampfs ist es, Barrieren zwischen Personen mit körperlichen Behinderungen, Forschenden und der breiten Öffentlichkeit abzubauen und die Entwicklung alltagstauglicher Assistenztechnologien voranzutreiben. Ein Gespräch mit Robert Riener, Hauptorganisator des Cybathlons und ETH-Professor für Sensomotorische Systeme.
ETH-News: Sie sind Initiator und Hauptorganisator des Cybathlons: Wie ist die Idee zur Veranstaltung entstanden?
Robert Riener: Als Wissenschaftler suche ich stets nach Möglichkeiten, meine Forschung einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Vor ein paar Jahren habe ich in einer Zeitung von einem Treppenlauf mit einer motorisierten Prothese auf den Willis Tower in Chicago gelesen. Das hat mich dazu inspiriert, über eine ähnliche Aktion in der Schweiz nachzudenken. Der Anlass sollte aber nicht aus einem einzelnen Lauf bestehen, sondern auch andere Disziplinen berücksichtigen. Nach und nach und im Gespräch mit Kollegen und Mitarbeitern habe ich die Idee weiterentwickelt, mir aber auch vermehrt Gedanken darüber gemacht, was wir denn genau zeigen und was wir mit der Veranstaltung erreichen wollen.
Was möchten Sie denn mit dem Cybathlon erreichen?
Die ursprüngliche Idee, unsere Forschungsresultate der Gesellschaft zu präsentieren, ist natürlich immer noch ein Ziel, das wir verfolgen. Wir wollen aber auch das Bewusstsein der Bevölkerung für die Bedürfnisse von Personen mit körperlichen Einschränkungen und für sie problematische Alltagshindernisse schärfen. Leider wissen auch heute noch viele normalmobile Menschen sehr wenig über die Herausforderungen von Menschen mit Behinderungen, so zum Beispiel, dass neben technischer Unterstützung auch die Barrierefreiheit enorm wichtig ist. Wissen wiederum, so denken wir, kann dabei helfen, Hemmungen weiter abzubauen.
Neben dem Abbau von Berührungsängsten wollen wir die Entwickler dazu anspornen Technologien hervorzubringen, die ihre Anwender auch tatsächlich im Alltag unterstützen. Entsprechend sind die Wettkampfparcours mit alltagsrelevanten Hindernissen, wie z.B. Treppen, Rampen und Türen, versehen. Wir erhoffen uns, dass die Entwicklung von angetriebenen Assistenzsystemen durch den Wettbewerbscharakter des Cybathlon einen nachhaltigen Schub erfährt. Bereits jetzt sehen wir erste positive Effekte: neue Studentengruppen haben sich gebildet und Forschungsprojekte sind entstanden; Studenten und Forscher arbeiten mit Hochdruck an ihren Prototypen.
Was sind die Schwierigkeiten mit denen man bei der Entwicklung elektrisch betriebener Hilfsmittel zu kämpfen hat?
Eine der grössten Herausforderungen stellt das Gewicht-Leistungsverhältnis dar; will man zum Beispiel einen treppensteigenden Rollstuhl bauen, so muss dieser aus Stabilitätsgründen breiter sein. Zusammen mit der zusätzlichen Mechanik und dem Antriebssystem wird er dann automatisch schwerer. Gleiches gilt für die Entwicklung von Exoskeletten: damit sich der Träger den ganzen Tag frei und unabhängig bewegen kann, muss die integrierte Batterie enorm leistungsstark sein. Solche Batterien sind jedoch sehr schwer.
Gibt es neben der Energieversorgung auch andere Herausforderungen?
Bei den angetriebenen Beinprothesen, die von den Leistungsdaten her bereits sehr gut sind, ist eher die Ansteuerung problematisch. Die Bewegungsintention des Patienten muss korrekt auf die Beinprothese übertragen werden können. Das heisst, die Prothese muss automatisch erkennen, was der Patient jetzt machen will – will er aufstehen, sich hinsetzten, eine Treppe steigen? Bei konventionellen, passiven Prothesen stellt sich das Problem weniger, da sie durch die Bewegung und den Schwung des Patienten intuitiv bewegt werden.
Wo steht die Forschung auf dem Gebiet der angetriebenen Assistenzsysteme heute?
Bereits heute ist die Technik punktuell recht weit fortgeschritten. So ist es zum Beispiel möglich, mit gewissen Beinprothesen schneller zu laufen, als ein Mensch, der über zwei natürliche Beine verfügt. Solche Prothesen sind aber lediglich bei ganz bestimmten Bewegungen von Vorteil. Man kann mit einer derartigen Prothese zwar sehr schnell laufen, sich aber nicht hinsetzten, Treppensteigen oder Autofahren. Gerade hinsichtlich der alltagsrelevanten Funktionen haben die allermeisten erhältlichen Hilfsmittel grosse Defizite und werden deswegen von den potenziellen Nutzern auch noch nicht akzeptiert. Hier setzt wiederum die Idee des Cybathlon an: Es müssen Systeme entwickelt werden, die Menschen mit Behinderungen dort unterstützen, wo sie es am nötigsten brauchen, und zwar im Alltag.
Was unterscheidet den Cybathlon von einem Wettkampf wie den Paralympics?
Gemeinsam ist den beiden Anlässen, dass Menschen mit Behinderungen teilnehmen und sich messen können. Bei den Paralympics geht es jedoch in erster Linie um einen sportlichen Wettkampf, bei dem die Technik im Hintergrund steht. Motorisierte Rollstühle oder angetriebene Prothesen sind nicht zugelassen. Dies schliesst viele Patienten von einer Teilnahme aus. Beim Cybathlon sind auch stärker eingeschränkte «Piloten» – also Lenker der technischen Hilfsmittel – teilnahmeberechtigt. Obwohl auch bei unserer Veranstaltung der Mensch im Vordergrund steht, spielt die Technik eine vergleichsweise grosse Rolle.
Die Paralympics fokussieren auf sportliche Disziplinen. Neben klassischen Rennen, bei denen derjenige Athlet siegt, der am schnellsten im Ziel ist, sind beim Cybathlon jedoch auch Geschicklichkeits- oder Hindernisparcours mit alltäglichen Aufgaben und Hindernissen Teil des Wettkampfes. Dabei messen wir nicht nur die Zeit, sondern belohnen auch das Geschick des Piloten durch entsprechende Punktevergabe. Wie bei klassischen Sportveranstaltungen treibt auch beim Cybathlon der Konkurrenzgedanke sowohl Piloten als auch Technologieentwickler an – man inspiriert sich gegenseitig zu Höchstleistungen.
Wie ist bis anhin das Echo auf die geplante Veranstaltung?
Das Interesse am Anlass ist sehr gross. Wir haben sowohl von der wissenschaftlichen Fachwelt, den Medien als auch von den bekannten Schweizer Behindertenverbänden sehr positive Rückmeldungen erhalten. Die Behindertenverbände teilen unsere Auffassung, der Cybathlon könne dazu beitragen, die Entwicklung heutiger Hilfsmittel voranzutreiben. Es gibt aber auch Kritiker, die dafür plädieren, die ganze Energie darauf zu konzentrieren, Gebäude und die Umwelt barrierefrei zu machen. Die Welt hat aber nun einmal Barrieren und die lassen sich nicht einfach abbauen. Es gibt Hügel, Waldwege und dergleichen. Damit diese künftig keine Hindernisse mehr darstellen, entwickeln die Forschenden geeignete technische Möglichkeiten.
Cybathlon
Der Cybathlon findet am 8. Oktober 2016 in der Swiss Arena in Kloten statt. Bei der Veranstaltung messen sich in unterschiedlichem Masse körperlich eingeschränkte Menschen mithilfe neuster Assistenztechnologien in einem einzigartigen Wettkampf. Die antretenden Teams bestehen jeweils aus dem Technologieentwickler und mindestens einem sogenannten «Piloten», der das technische Hilfsmittel steuert. So winken beim Cybathlon dem gewinnenden Team jeweils zwei Medaillen: eine für den Parathleten und eine für den Technologieentwickler. Die eingesetzten technischen Hilfsmittel können entweder bereits auf dem Markt erhältliche Produkte oder Prototypen aus Forschungslabors sein.
Der Wettkampf selbst setzt sich aus sechs unterschiedlichen Disziplinen zusammen:
- Lauf mit aktuierten Beinprothesen
- Geschicklichkeitsparcours mit aktuierten Armprothesen
- Hindernisparcours mit angetriebenen Exoskeletten
- Rennen mit elektrischen Rollstühlen
- Radrennen mit elektrischer Muskelsimulation
- Virtuelles Rennen mit «Brain-Computer-Interfaces» (Hirn-Computer-Schnittstellen)
Initiator und Hauptorganisator des Cybathlon ist eine Gruppe um Robert Riener, Leiter des Labors für Sensomotorische Systeme der ETH Zürich.