Licht ins Leben von Mikroben
Ein Forschungsprojekt der ETH Zürich, des MIT und weiterer US-amerikanischer Hochschulen erhält von der New Yorker Simons Foundation 15 Millionen US-Dollar, um in den nächsten fünf Jahren die Ökosysteme mariner Mikroorganismen zu erforschen.
Ohne sie gäbe es keinen Sauerstoff, Mensch und Tier könnten nicht verdauen, und die Stoffkreisläufe auf der Erde gerieten ins Stocken: Mikroorganismen. Ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern will nun Licht in die mikrobiellen Lebensgemeinschaften bringen. Unter der Leitung der ETH Zürich und des Massachusetts Institute of Technology (MIT) untersuchen drei Forschungsgruppen der ETH mit verschiedenen US-amerikanischen Universitäten mikrobielle Ökosysteme mit einem speziellen Fokus auf die Ozeane. Das Forschungsprojekt mit dem Namen Theory of Microbial Ecosystems (THE-ME) wird von der Simons Foundation mit 15 Millionen US-Dollar über eine Laufzeit von mindestens fünf Jahren gefördert. Hinter der Stiftung stehen James Simons und seine Frau Marilyn. Simons, ein hoch angesehener Mathematiker und Pionier des sekundenschnellen quantitativen Tradings, unterstützt mit der Stiftung seit 1994 Grundlagenforschung und Mathematik.
Wie spielen Mikroorganismen zusammen?
Dass Mikroben die unsichtbare Mehrheit aller Organismen bilden und sämtliche Lebensräume unseres Planeten prägen, ist bekannt. So erzeugen diese Kleinstlebewesen Biomasse, produzieren und verbrauchen Treibhausgase, rezyklieren die Elemente des Lebens und bilden die Basis der Nahrungskette im Meer. «In den letzten 20 Jahren haben Erbgutanalysen zwar eine enorme Fülle an Daten über einzelne Arten und ihre Gene hervorgebracht», erklärt Roman Stocker, Professor am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich. «Doch trotz ihrer essentiellen Bedeutung für Mensch und Umwelt wissen wir erstaunlich wenig darüber, wie mikrobielle Gemeinschaften funktionieren», so Stocker, der das Projekt gemeinsam mit Professor Otto Cordero vom MIT initiiert hat.
Modell für mikrobielle Gemeinschaften
Diese Funktionsprinzipien mikrobieller Gemeinschaften wollen die Wissenschaftler erforschen. Denn um beispielsweise die Folgen des Klimawandels für verschiedene Umweltprozesse besser abschätzen zu können, ist es entscheidend zu verstehen, wie die vielen Arten in mikrobiellen Gesellschaften zusammen – und manchmal auch gegeneinander – arbeiten. Für Stocker fehlt es an diesem übergeordneten Verständnis. Deshalb könnten Wissenschaftler bislang weder erklären, wie sich die komplexen Strukturen von mikrobiellen Gemeinschaften bilden, noch wie sich diese verhalten. Vorhersagen, wie Mikroben auf Veränderungen in ihrer Umwelt reagieren, sind daher besonders schwierig. «Wir möchten ein Modell mikrobieller Ökosysteme entwickeln, das eine Brücke schlägt von der Physiologie und dem Verhalten einzelner Zellen hin zu grossräumigen ökologischen Prozessen, beispielsweise in den Weltmeeren», erklärt er.
Drei Forschungsgruppen der ETH Zürich beteiligt
Eine umfassende Theorie mikrobieller Gemeinschaften zu entwickeln, ist kein leichtes Unterfangen. Die Initianten verfolgen bewusst einen fachübergreifenden Forschungsansatz, der die Denkweisen von Physikern, Biologen und Mathematikern vereinen soll. Tatsächlich sind am Projekt insgesamt zehn Forschungsgruppen beteiligt, drei davon sind von der ETH Zürich. Da ist zunächst das Stocker Lab, das die Wechselwirkungen aquatischer Mikroorganismen mit ihrer Umwelt mittels Video-Mikroskopie und mathematischen Modellen erforscht. Neben Stockers Team sind die Gruppen um Sebastian Bonhoeffer und Martin Ackermann mit von der Partie. Bonhoeffer ist Professor für Theoretische Biologie und ein Spezialist für die Modellierung komplexer Populationsdynamiken und mikrobieller Evolution. Ackermann schliesslich ist ein renommierter Forscher auf dem Gebiet der mikrobiellen Ökologie, der neben der ETH auch mit der Eawag affiliiert ist.
Die drei Forscher erwarten viel vom gemeinsamen Projekt. «In den letzten Jahrzehnten trugen die Molekular- und Systembiologie sehr viel zum Verständnis einzelner Organismen bei», sagt Martin Ackermann. «Wir hoffen, ähnliche Einsichten in Gemeinschaften aus mehreren interagierenden Organismen zu gewinnen.» Die Forscher erwarten, dass sich manche ihrer Erkenntnisse auf andere mikrobielle Gesellschaften übertragen lassen. Das könnte künftig etwa helfen, auch die Mikroorganismen des Menschen besser zu verstehen.
Die ersten Studien haben bereits im Mai 2017 begonnen. Am Forschungsprojekt beteiligt sind das California Institute of Technology (Caltech), die University of Georgia, die University of California in San Diego und die University of Southern California.