Expertin für kleinste medizinische Helferlein
Simone Schürle möchte den Dingen auf den Grund gehen: Seit August entwickelt die Expertin für Mikro-und Nanotechnologie und Stipendiatin der «Society in Science» als Assistenzprofessorin für Reaktionsfähige Biomedizinische Systeme an der ETH Zürich winzige Maschinen für die medizinische Anwendung im menschlichen Körper.
Es ist früh am Morgen an Simone Schürles letztem Arbeitstag am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA. Am nächsten Tag schon bricht sie nach Europa auf, um zum Herbstsemester ihre Tätigkeit als Tenure-Track-Assistenzprofessorin für Reaktionsfähige Biomedizinische Systeme an der ETH Zürich aufzunehmen. Noch vor dem Interview, das wir über Skype führen, hat sie ein letztes Experiment gestartet. «Das ist ganz typisch für mich», sagt sie, während sie in die Laptop-Kamera lächelt, «ich arbeite immer bis zum letzten Moment».
Ihre Arbeit ist ihre Leidenschaft
Was sie Arbeit nennt, ist aber wohl eher ihre Leidenschaft. Denn dass sie für ihre Forschung brennt, ist bei jedem Satz zu spüren. Eine Stunde lang erzählt die 32-Jährige, wie sie sich ihren Weg von der technikbegeisterten Schülerin zur Expertin für medizinische Werkzeuge in unvorstellbar kleiner Dimension gesucht hat. Dabei liess sie sich auf ihrem Weg genauso wenig beirren wie beim Skype-Interview. Unterbrechungen durch andere Wissenschaftler, die während des Interviews den Raum betreten, bringen sie nicht aus dem Konzept. Ohne zu zögern nimmt sie den Gesprächsfaden stets wieder auf.
Ihre Forschung – das ist Schürles Welt, in die sie gerne andere mitnehmen möchte. Daher freut sie sich sehr darauf, künftig als Professorin am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie (D-HEST) Studierenden das Design und die Herstellung kleinster diagnostischer und therapeutischer Systeme zu erklären, die beispielsweise Wirkstoffe präzise an erkrankte Stellen im Körper bringen oder Erkrankungen früher erkennen können sollen.
Schon als Assistentin während ihrer Studienzeit in Karlsruhe sowie auch als Postdoc am MIT hat sie unterrichtet. Als eine besondere Freude und auch Verantwortung sieht sie Vorlesungen für Kinder, wie sie sie bereits bei der Scientifica an der ETH Zürich gehalten hat. «Es ist wichtig, Kinder so früh wie möglich für die Wissenschaft zu begeistern – Jungen wie Mädchen. Hier darf es keine Schubladen mehr geben», sagt sie.
Näher an der Familie in Europa
Ein Vorteil ihres Umzugs zurück nach Europa: Dann ist sie wieder näher bei ihrer Familie und auch ihrem Verlobten, der in Berlin tätig ist. Die beiden kennen sich bereits aus der Studienzeit in Karlsruhe, und er interessiert sich ebenfalls für medizinische Themen. «Aktuell arbeitet er im Bereich Telemedizin für Krebspatienten», erzählt Schürle.
Vorbilder mit medizinischen oder technischen Berufen gibt es in Simone Schürles Familie nicht. «Ich habe einfach schon als kleines Kind Autos für meine Puppen gebaut und später zur Verwunderung meiner Familie Mathematik und Physik als Leistungsfächer am Gymnasium gewählt», sagt Schürle, die in Deutschland bei Ulm aufgewachsen ist. Mit knapp 18 Jahren begann sie dann das Studium an Karlsruher Institut für Technologie (KIT), wo sie sich damals noch gegen einen stark dominanten Männeranteil behaupten musste. «Frauen wird leider immer noch weniger zugetraut», sagt sie. Eine Fehleinschätzung, der Schürle in den männlich dominierten Fächern wie Maschinenbau und Ingenieurwissenschaften immer wieder begegnete. «Ich wünschte, es wäre nicht mehr so», sagt sie, «aber als Frau muss man sich mehr Hindernissen stellen, obwohl ich auch Förderer hatte, die Frauen stärken.»
Mit dem Roboter durchs menschliche Gewebe
Einer davon war Professor Volker Saile, der ihre Diplomarbeit am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) betreute. Er bemerkte ihre Stärke in Mikrosystemtechnik und bestärkte sie darin, 2008 nach Japan an die Universität von Kyoto ans Labor für Nano- und Mikrosysteme zu gehen. In der Nanotechnologie fand Schürle die wissenschaftliche Tiefe, die sie suchte. Von 2009 bis 2014 war sie anschliessend als Doktorandin an der ETH Zürich am Multi Scale Robotics Laboratory am Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik tätig. Unter anderem war sie im Team von ETH-Professor Bradley Nelson an der Entwicklung und Steuerung von Nano-und Mikrorobotern beteiligt.
In den USA beschäftigte sie sich dann damit, wie sich solche Roboter im menschlichen Körper bewegen und orientieren können und wie sie helfen können, Wirkstoffe spezifischer und tiefer in erkranktes Gewebe zu transportieren. Der niedrigere pH-Wert von Tumorgewebe und die Festigkeit seien beispielsweise Indikatoren, an denen sich die winzigen Roboter bei ihrer Reise durch den Körper orientieren könnten, um Wirkstoffe an die richtige Stelle zu bringen. «Nach den Grundlagen im Ingenieurwesen wollte ich mehr über Biologie und Physiologie wissen, um so bessere Designentscheidungen für medizinische Systeme zu treffen. Die Fluiddynamik des menschlichen Körpers ist faszinierend, und es gibt noch viel zu lernen, wie man unter solch komplexen Bedingungen effektiv und minimal invasiv therapeutisch eingreifen kann.»
Diese Wissenslücke zu füllen, ist für sie eine Herausforderung, der sie sich gerne stellt. Dass sie Durchhaltevermögen hat, hat sie auf ihrem bisherigen Lebensweg bewiesen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sie in ihrer Freizeit am liebsten Ausdauersport macht. Dazu gehört auch das Wandern in neuen Terrains, oft auf eigene Faust. So ist sie in diesem Jahr einen wilden, nicht restaurierten Teil der chinesische Mauer entlanggewandert – für Schürle ein meditatives Erlebnis. Nun freut sie sich wieder auf die Schweizer Alpen.
Die Grundlagen des Lebens erforschen
Über ihre berufliche Motivation sagt Simone Schürle: «Ich wollte immer die Grundlagen des Lebens erforschen». Wobei ihr die Naturwissenschaften allein nicht ausreichen. Ihr Vorbild sind die grossen Denker der Antike, die Mathematik mit Philosophie verbanden. So liegen ihr auch philosophische Fragen zum Umgang mit dem Wissen sehr am Herzen. Seit 2016 ist sie Fellow beim Council for Human Enhancement des World Economic Forums (WEF). «Es geht mir darum, Verantwortung für das wissenschaftliche Gesamtergebnis zu übernehmen». Wissenschaftler, sagt sie, dürften sich nicht auf ihren Forschungszweig zurückziehen, ohne zu beachten, was ihre Forschung im Zusammenspiel mit den Ergebnissen anderer Forschender für die Gesellschaft bedeute.
Verstärkung des Schwerpunkts Medizin
Simone Schürle wurde als Assistenzprofesserin Tenure-Track an die ETH Zürich berufen und wird nun eine von fünf Gruppen am neu geschaffenen Institut für Translationale Medizin leiten. Das Institut wurde formal am 1.1.2017 gegründet und ist seit diesem Sommer operativ. Erste Vorsteherin ist Viola Vogel, Professorin für Angewandte Mechanobiologie. Die weiteren Mitglieder des neuen Instituts sind die Professoren Collin Ewald, Jörg Goldhahn und Michael Ristow. Mit ihrer Expertise decken sie ein breites Spektrum der medizinischen Forschung ab, von Biomechanik über Energiestoffwechsel bis hin zur biomedizinischen Mikro- und Nanorobotik. Eines der Ziele des Instituts ist, wissenschaftliche Erkenntnisse möglichst rasch in die Klinik zu bringen.