Der Städtedoktor

Gabriele Manoli will die Stadtforschung mit quantitativen Modellen bereichern und eine neue Wissenschaft der grünen Städte begründen. In Zürich hat er den idealen Standort dafür gefunden.

Gabriele Manoli will Städte grüner machen. (Bild: Florian Bachmann / ETH Zürich)
Gabriele Manoli will Städte grüner machen. (Bild: Florian Bachmann / ETH Zürich)

Ich treffe Gabriele Manoli im Bistro des Landesmuseums in Zürich zum Espresso. Ganz so gut wie in seiner Heimatstadt Venedig schmeckt er hier nicht, aber der 32-jährige Umweltingenieur beklagt sicht nicht. Im Gegenteil: Er ist fasziniert von Zürich, von der hier praktizierten Städteplanung und der beinahe reibungslosen Dynamik, die an der Limmat herrscht.

Obschon er keine vier Stunden Autofahrt von der Grenze aufgewachsen ist, betrat er die Schweiz vor anderthalb Jahren zum ersten Mal, als er seine Postdoktorandenstelle an der ETH Zürich antrat. Seit Juni 2016 wohnt er nun auf dem Hönggerberg und forscht an der Professur für Hydrologie und Wasserwirtschaft. «Zürich, das ist für mich das Paradies, das meinem Zuhause am nächsten liegt», sagt Manoli. So oft wie möglich steigt er am Wochenende in den Zug, um seine Eltern und Freunde in Venedig zu besuchen. Zwei Jahre hat er in den USA gearbeitet; nun ist er glücklich, wieder in Europa und nahe seiner Heimat zu sein.

Kreatives Chaos und rationales Kalkül

Manolis wissenschaftliche Laufbahn begann an der Universität Padua, «wo Galileo Galilei einst den Lehrstuhl für Mathematik innehatte», wie er stolz anfügt. Erst konnte er sich nicht zwischen einem Medizinstudium und einem Studium in Umweltingenieurwissenschaften entscheiden. «Schliesslich gefiel mir der Gedanke, dass ich als Umweltingenieur eine Art Doktor für den Planeten bin.»

Das Masterstudium absolvierte er sowohl in Padua als auch an der Technischen Universität Dänemark. «Erst dort habe ich meine Begeisterung für die Forschung entdeckt», erzählt Manoli. Die gut ausgebaute Forschungsinfrastruktur und die effiziente Arbeitsmentalität waren neu für ihn. «In Italien sind wir sehr gut im Improvisieren und man lernt kreativ zu sein», erzählt er. «Aber erst in Dänemark habe ich gelernt, mich professionell zu organisieren, Projekte zu planen, nach Deadlines zu arbeiten und Forschungsgelder zu beantragen.» Heute ist er überzeugt, dass es für gute Forschung beides braucht: das kreative Chaos und das rationale Kalkül.

Längerfristig war ihm Dänemark etwas zu kühl – klimatisch und emotional. Für seine Doktorarbeit kehrte Manoli deshalb nach Padua zurück. Einer seiner Betreuer dort hatte sich auf mathematische Modellierungen spezialisiert. «Das war exakt mein Ding», erinnert sich Manoli. «Mir wurde klar, dass ich fortan mit mathematischen Modellen arbeiten möchte.»

Für seine Doktorarbeit modellierte er den Wasserzyklus für ein gesamtes Wassereinzugsgebiet. Dank solchen Berechnungen können Auswirkungen von Wetterextremen und Überschwemmungen besser eingeschätzt werden. «Die meisten Modelle berücksichtigten lediglich die Prozesse des Bodens, nicht aber die Vegetation, mit welcher dieser bewachsen ist», erklärt Manoli. Deshalb begann er den Pflanzenstoffwechsel in seine Modelle zu integrieren. Dadurch wurden diese mit Faktoren wie der Wasseraufnahme oder -verdunstung durch Pflanzen ergänzt. Die Modelle wurden dadurch zwar komplexer, dafür aber auch genauer.

Vermittler zwischen den Disziplinen

Die sogenannte Ökohydrologie (Ecohydrology) ist noch ein junges Forschungsfeld, in dem Wechselwirkungen zwischen Wasserkreislauf und dem Funktionieren von Ökosystemen untersucht werden. Ingenieure und Hydrologen arbeiten dafür mit Biologen, Ökologen und Agrarwissenschaftlern zusammen, um den Wasserhaushalt von natürlichen Ökosystemen wie Wüsten, Wälder aber auch Ackerland zu untersuchen. Zunehmend werden auch Klimawissenschaftler beigezogen, um Vorgänge in der Atmosphäre in den Modellen abzubilden, die den Wasserhaushalt auf der Erde prägen.

«Die Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinweg finde ich bereichernd», sagt Manoli. Er sei weniger ein Spezialist, sondern vielmehr ein Vermittler zwischen verschiedenen Disziplinen. «Ich bin überzeugt, dass es für exzellente Forschung beides braucht – die Spezialisten und die Vermittler.»

Grenzen sprengende Forschung fördern

Genau solche jungen Forscher will die Stiftung «externe SeiteSociety in Science» mit den Branco Weiss-Stipendien fördern. Jährlich vergibt die an der ETH angesiedelte Stiftung Gelder an Forscher, die über die Grenzen ihrer eigenen Disziplin hinausdenken, sich nicht scheuen, ihre Komfortzone zu verlassen, und an den gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer Forschung interessiert sind.

Die Forschungsidee, mit welcher sich Manoli für ein solches Stipendium bewarb, hatte er aus den USA mitgebracht: Während seines Doktorats hatte er sich für eine Stelle am «Senseable City Lab» des Massachusetts Institute of Technology (MIT) beworben. «Ich hatte diese Vision einer neuen datenbasierten Wissenschaft für die grünen Städte von morgen», erinnert sich Manoli. Doch anstelle am MIT in Boston fand er seine erste Postdoktorandenstelle an der Duke University in North Carolina, wo er mit ökohydrologischen Modellen den Einfluss von Kiefernpflanzungen auf den Wasserhaushalt untersuchte.

Doch die Idee einer datenbasierten Wissenschaft für grüne Städte liess ihn nicht los. Als er seine Arbeit in Zürich begann, traf sie an der Professur für Hydrologie und Wasserwirtschaft auf fruchtbaren Boden. Dies auch, weil einige Arbeitskollegen gleichzeitig am Futures Cities Lab in Singapur forschten, wo die Planung von nachhaltigen Städten im Zentrum steht. In zahlreichen Gesprächen entwickelte er seine Idee kontinuierlich weiter.

«Wenn wir überleben wollen, müssen wir unseren Umgang mit der Umwelt sofort und radikal ändern.»Gabriele Manoli, Branco Weiss-Stipendiat

«Ingenieure und Architekten sind normalerweise auf ihre Werke fokussiert – auf eine Brücke, ein Bahntrassee oder ein Hochhaus. Sie haben nicht das grosse Ganze im Auge», erzählt Manoli. «In ‘urban studies’ wiederum schauen Forscher die Stadt zwar als Organismus an, doch meist fehlt das quantitative Verständnis für die physikalischen Vorgänge, die darin ablaufen.»

Manoli schwebt eine Stadtforschung vor, in welcher diese Gräben geschlossen werden. Zwar kämen in Städteuntersuchungen schon heute mathematische Modelle zum Einsatz. Aber meist für ökonomische und soziale Fragestellungen und nicht für umweltplanerische Aspekte. Er macht ein praktisches Beispiel für den Nutzen einer solchen Forschung: «Ich möchte quantifizieren können, welche Pflanzen sich am besten eignen, um die Effekt von Hitzeinseln in grossen Städten zu reduzieren. Oder ist es sinnvoller, Hochhäuser mit Bäumen zu bepflanzen, wie beim `Bosco Verticale` in Milano, oder neue Parks zu bauen?»

Am richtigen Ort

Die Vision einer solchen datenbasierten Wissenschaft für grüne Städte hat die Jury, welche die Branco Weiss-Stipendien vergibt, überzeugt. Manoli wird in den kommenden fünf Jahre mit jährlich 100'000 Franken unterstützt. Wie er seine Forschung gestaltet, ist ihm überlassen. Zudem ist das Stipendium nicht an eine bestimmte Hochschule gebunden. «Ich hätte überall hingehen können», sagt Manoli. «Aber für mein Forschungsvorhaben war ich bereits am besten Ort.»

Dazu tragen das globale Renommee der Stadtforschung und der Umweltingenieurwissenschaften an der ETH Zürich und der Zugang zu Kollegen am Futures Cities Lab in Singapur bei. Manoli wird sie in den kommenden Monaten ein erstes Mal besuchen. Dort wird er sich auf die Suche nach multidisziplinären Forschungskooperationen machen, um neue Ideen zu entwickeln, wie auf Basis von Daten und mathematischen Modellen einst nachhaltigere Städte gebaut werden können.

In Manolis Forschung schwingt eine gute Portion Idealismus mit: «Die Menschheit ist nur ein kleines Ding im Universum», sagt er. «Wenn wir überleben wollen, müssen wir unseren Umgang mit der Umwelt sofort und radikal ändern.» Er hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, seine Forschungsergebnisse auch in die Gesellschaft zu tragen, über Museen, Schulen und Anlässe. Dass solcher «Outreach» wichtig sei, habe er vor allem in den USA erlebt. «Ein Modell alleine wird die Welt nicht verändern», ist er überzeugt. «Aber wenn wir mit unserer Forschung an die Öffentlichkeit gehen, können wir damit einen Anstoss in die richtige Richtung geben».

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