Kunst zum Leben erwecken
In einem besonderen Gemeinschaftsprojekt zwischen Kunst und Technik entsteht Lebendiges, zumindest auf den ersten Blick. Pathos entwickelt Tools, welche Kunst eine Seele einhauchen. Die neusten damit realisierten Werke werden an der diesjährigen Art Basel Hong Kong ausgestellt.
Sie spähen und schleichen, erschrecken und zittern: Die Kunstwerke des Künstlerduos Pors & Rao bewegen sich fernab der Normalität. Meist entlocken sie dem Betrachter ein spontanes Lächeln. Nicht nur die stillen, feinen Bewegungen erstaunen, es entsteht auch eine Wechselwirkung zwischen Werk und Betrachter: Kleine Kreaturen namens Pygmies kriechen bei Stille vorsichtig hinter einer Bildfläche hervor und verstecken sich ruckartig bei plötzlichen Geräuschen. Im Werk Exploding View stiebt eine Ansammlung verschiedener Figuren auseinander, während sich in Turning Panel schräg hängende Bilder horizontal ausrichten, wenn sich jemand nähert.
Ermöglicht wird dies durch Pathos, ein durch die Gebert Rüf Stiftung unterstütztes Gemeinschaftsprojekt am externe Seite Wyss Zurich mit dem Künstlerduo Søren Pors und Aparna Rao (Pors & Rao) sowie Philipp Reist, Robotik-Systemingenieur an der ETH Zürich. Die Ideen entspringen den Köpfen von Pors & Rao, Pathos macht die Kunst dann zur Animatronik: elektronisch und mechanisch gesteuerte, sich natürlich bewegende Figuren. Sie leben vom Überraschungsmoment: «Wir Menschen lesen lebensnahe Bewegungen ohne nachzudenken. Unser kritisches Bewusstsein braucht etwas länger, um den Vorgang zu verstehen», erklärt Rao. Und tatsächlich dauert es einen Moment, bis belustigtes Erstaunen zu aktiver Neugier wird.
Technologie zum Verschwinden bringen
Technisch ermöglicht wird die Wechselwirkung mit den Beobachtern durch hochsensible Mikrophone und Bewegungssensoren. Die Robotiksysteme im Innern der Kunstwerke nehmen die Impulse auf und erwecken die Werke durch gezielte Bewegungen zum Leben. Philipp Reist schätzt die Herausforderungen, welche die Implementierung von Robotik in Kunst eröffnet: «Die Elektromechanik muss schnell und zur selben Zeit beinahe unhörbar sein, problemlos funktionieren und gleichzeitig ästhetischen Vorstellungen entsprechen.» Die Technologie hinter den Werken ist anspruchsvoll.
Oberstes Ziel von Pathos ist es nun aber, Animatronik vom komplexen Ingenieurswissen unabhängig zu machen. Deutlich macht dies das Motto der Projektgruppe: «Erase Technology, Erase Engineers». Für die Künstlerin Aparna Rao ist dies ein Wunsch nach Selbstbestimmung: «Die ständige Abhängigkeit von Ingenieuren bei der Animation unserer Skulpturen und Installationen läuft entgegen der künstlerischen Spontaneität und Intuition», erklärt sie.
Beim animatronischen Schaffen kann die Ingenieurskunst nicht gänzlich ausgelöscht werden, aber sie soll ihre Komplexität für den Nutzer verlieren. «Technik darf für Künstler kein Grund mehr sein, ihre Vision nicht umsetzen zu können», so Philipp Reist. Dafür arbeitet der Robotikingenieur an einem Modulbaukasten, mit dem sich ganz einfach und ohne vertieftes technisches Verständnis Ideen am Schnittpunkt von Kunst und Robotik umsetzen lassen. Eine Software soll gewünschte Bewegungen aufzeichnen und passende Module aus einem vorgefertigten Baukasten vorschlagen, mit der sich die Idee schliesslich mechanisch umsetzen lässt.
Hier und dort
Søren Pors und Aparna Rao geniessen die Gelegenheit, «Artists in Residence» am Wyss Zurich zu sein. Das Angebot ermöglichte ihnen, das Projekt Pathos weiterzuführen und vom Austausch mit den ETH-Forschenden zu profitieren. Die Hälfte des Jahres finden Pors und Rao ihren kreativen Raum allerdings in ihrem Studio in Bangalore, wo sie in einem kleinen Team ihre Projekte realisieren.
Zu diesem gehörten die letzten Monate auch Stefanie Nacht und Benoît Dubath, welche ihren Master in Maschineningenieurwissenschaften an der ETH Zürich machen. Sie hatten im Rahmen eines Praktikumsangebots von Swissnex India die Möglichkeit, direkt vor Ort Teil des kreativen Geschehens zu sein und an neuen Ideen des Künstlerduos mitzuwirken. Breite Praxiserfahrung und der Austausch mit der indischen Kultur seien nur zwei der Komponenten, welche das Praktikum, so Stefanie Nacht, zu einer grossen Chance machten. Die darin entstandenen Werke Exploding View und Turning Panel sind gar Teil der Präsentation von Pors & Rao an der renommierten Art Basel Hong Kong 2018.
Da sich die animatronische Technik von Pathos noch in der Entwicklungsphase befindet, muss sie ihren Platz ausserhalb von Kunstausstellungen erst finden: «Spezifische Nutzungsgebiete müssen sich noch herauskristallisieren, wir stossen aber bereits auf breites Interesse von verschiedenen Seiten», erläutert Philipp Reist. «Unser Projekt kann Kunstschaffenden und allgemein Personen ohne vertiefte Expertise einen einfachen Zugang zur Animatronik ermöglichen.» Das Projekt Pathos lässt damit auf einen zukünftig noch breiteren Einsatz dieser besonderen Technik in der Kunstszene hoffen. Erstaunte Blicke in Hong Kong sind dem Team von Pors & Rao zumindest bereits sicher.