Grosserfolg auf europäischer Ebene
Zwei Professorinnen und acht Professoren der ETH Zürich haben sich einen der prestigeträchtigen ERC Advanced Grants gesichert. Drei der Ausgezeichneten erhalten die begehrte Förderung zum zweiten Mal.
Eindrücklich aus ETH-Sicht ist nicht nur das Resultat der aktuellen Vergaberunde, sondern auch die hohe Erfolgsquote: Von 18 eingereichten Anträgen haben 12 die zweite Evaluationsstufe erreicht, also zwei Drittel, und über die Hälfte der Anträge von ETH-Professorinnen und -Professoren hat letztlich reüssiert - ein ausserordentlich hoher Wert. Zum Vergleich: Von den gesamthaft 2167 Anträgen dieser Ausschreibung wurden nur 269 für einen ERC Advanced Grant auserkoren, das entspricht 12 Prozent. Die Ausbeute der ETH-Forschenden liegt nahe am Rekord des Jahres 2009, als Angehörige der Hochschule 11 Advanced Grants erhielten. Die ETH Zürich ist hinter dem französischen CRNS (15 Grants) und der Oxford University (14 Grants) die dritterfolgreichste Institution in diesem Forschungswettbewerb.
Die Höhe der eingeworbenen Grants liegt je zwischen 2,2 und 3,2 Millionen Euro. Die Gesamtsumme beläuft sich auf rund 26 Millionen Euro. Die neuen Grantees stammen aus sieben ETH-Departementen. Das Themenspektrum ist sehr breit und reicht von der Entwicklung elektronisch gesteuerter Genschaltkreise bis hin zur Erforschung von Wetterprozessen, welche die extremen Jahreszeiten in der Zukunft prägen.
Im gesamten Themenspektrum ganz vorne
Dass ETH-Forschende in so vielen Themenbereichen Spitzenergebnisse liefern, freut Detlef Günther, ETH-Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen, besonders: «Immer wieder können sich ETH-Forscherinnen und -Forscher aus unterschiedlichen Fachgebieten mit ihren Projekten gegen internationale Konkurrenz durchsetzen. Das stellt die hohe Qualität der ETH-Forschung in ihrer ganzen Breite unter Beweis.»
Um hier international weiterhin an der Spitze zu bleiben, müssten sich Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in der Schweiz der Bedeutung der Grundlagenforschung bewusst bleiben und sie langfristig unterstützen, so Detlef Günther: «Grundlagenforschung zahlt sich in hohem Masse aus, zum Teil kurz- und mittelfristig oder auch auf lange Sicht. Voraussetzung dafür sind in jedem Fall Forschungsfreiheit und Geduld. Beides gewährt die ETH ihren Forschenden, und wie sich erneut zeigt, mit grossem Erfolg.»
Weiterer EU-Grant für visionäres ETH-Projekt
Aber damit nicht genug der ETH-Erfolge auf europäischer Ebene: Das Programm «Future and Emerging Technologies» (FET) unterstützt besonders visionäre und zukunftsträchtige Projekte. In diesem hoch kompetitiven Programm hat Dimos Poulikakos, ETH-Professor für Thermodynamik, kürzlich einen FET-Grant in der Höhe von drei Millionen Euro erhalten. Dabei ist er, als einziger Forscher einer Schweizer Hochschule, Koordinator eines internationalen Wissenschaftlerteams. Das Projekt zielt auf die Erforschung und Herstellung neuartiger, hocheffizienter Kondensationsoberflächen im Nanometer-Massstab. Diese sollen einerseits die Effizienz der thermischen Stromerzeugung wesentlich verbessern und andererseits die Erzeugung sauberen Trinkwassers einen wichtigen Schritt voranbringen.
Die zehn Projekte im Überblick:
Peter Bühlmann ist Professor für Mathematik. Seine Schwerpunkte sind Statistik, maschinelles Lernen und Bioinformatik. Mit dem ERC Advanced Grant wird er leistungsfähige und robuste Prognosemethoden entwickeln, die sich für Fragen und Szenarien der Biologie und Ökonomie einsetzen lassen. Dazu befasst er sich mit Ursache-Wirkungs-Beziehungen in komplexen Datenmengen. Die Schlüsselidee beruht auf der Erkenntnis, dass sich solche Beziehungen (sog. Kausalitäten) selbst dann nicht ändern, wenn die experimentellen Bedingungen wechseln oder unterschiedliche störende Einflüsse (sog. Perturbationen) auftreten. Die ETH-Forschenden kehren diese Idee um: Ihre Algorithmen suchen in riesigen, heterogenen Datenmengen nach stabilen, unveränderlichen Beziehungen. Aus diesen schliessen sie auf Kausalitäten zurück.
Wie verändert der Nationalismus den Staat? Im Rahmen seines ERC Advanced Grant schlägt Lars-Erik Cederman, Professor für internationale Konfliktforschung, eine neue Theorie der nationalistischen Staatstransformation vor. Diese Theorie will er mit historischen Karten und Archivdaten testen, die per maschinellem Lernen ausgewählt werden. Im ERC-Projekt untersucht er, wie Staaten entstehen, wie der Nationalismus die Aussengrenzen und inneren Strukturen verändert und wie solche Prozesse mit Kriegen wechselwirken. Die Ergebnisse will Cederman nutzen, um abzuschätzen, inwieweit bestimmte, politische Reformvorschläge – wie eine territoriale Teilung oder die Verteilung von Macht – auftretende Konfliktrisiken verringern können. Die Ergebnisse könnten speziell für multiethnische Staaten relevant sein.
In seiner Forschung beschäftigt sich Martin Fussenegger, Professor am Departement für Biosysteme, mit synthetischen Genschaltkreisen, um Stoffwechselkrankheiten zu behandeln. Einige der Schaltkreise sind lichtgesteuert. In seinem ERC-Projekt will er nun die Grundlagen für elektronisch regulierte Gen-Netzwerke erarbeiten. In solch neuartigen Netzwerken soll einerseits Strom die Genexpression steuern und andererseits Elektronik genetisch programmiert werden können. Das Ziel ist, dass drahtlos mit Energie versorgte Implantate voller Designerzellen den Stoffwechsel überwachen, ferngesteuert Proteinwirkstoffe herstellen und diese dosiert abgeben. Der ETH-Professor möchte die Konzepte und Geräte in einem Machbarkeitsnachweis anhand von Diabetes validieren. Dies ist der zweite ERC Advanced Grant für den Basler Biotechnologen.
Ursula Keller, Professorin für Kurzzeitlaserphysik, erhält bereits zum zweiten Mal einen ERC Advanced Grant. In ihrem neuen Projekt will sie einen neuartigen Doppelkamm-Halbleiterlaser entwickeln, der für Spektroskopie im mittleren Infrarotbereich eingesetzt werden kann. Diese Technik ist für viele Anwendungen in Forschung und Industrie von Interesse, beispielsweise in der Umwelt- und Pharmaforschung. Das neue Konzept hat sie zusammen mit ihrer Forschungsgruppe im nahen Infrarotbereich erfunden. Es basiert auf einem einzelnen kostengünstigen Halbleiterlaser, der zwei Frequenzkämme erzeugt und für viele Anwendungen nicht weiter stabilisiert werden muss. Das ist einzigartig in diesem Gebiet. Sie will diese Lasertechnologie nun in den mittleren Infrarotbereich bringen, was aufgrund der Halbleitertechnologie ihrer Laser möglich ist.
Ruben Kretzschmar ist Professor für Bodenchemie am Departement für Umweltsystemwissenschaften. Seine Forschungsgruppe untersucht Prozesse, welche die Kreisläufe von Spurenelementen in der Umwelt kontrollieren. Manche dieser Spurenelemente sind für Lebewesen giftig, andere essentiell für funktionierende Ökosysteme. Eisen spielt eine besondere Rolle, weil es an vielen biogeochemischen Prozessen beteiligt ist. In seinem ERC-Projekt will Kretzschmar Ansätze entwickeln, die es erstmals ermöglichen, Umwandlungsprozesse von Eisenmineralen direkt in Böden und Sedimenten zu untersuchen. Die Forschungsgruppe erhofft sich dadurch ein tieferes Verständnis der Kreisläufe von Eisen und anderen Elementen in der Umwelt. Solche Erkenntnisse sind auch für die Sanierung kontaminierter Böden von Bedeutung.
John Lygeros ist Professor für Regelungstechnik und Computation. In seinem ERC-Projekt wird er neue Regelungstechnik-Methoden entwickeln, mit denen sich auch umfangreiche und datenintensive Anwendungen optimieren lassen. Dazu gehört beispielsweise das vorausblickende Energiemanagement grosser Gebäude oder von Stadtteilen, das Wetterprognosen und andere mit Unsicherheiten behaftete Daten miteinbezieht. Ein weiteres Anwendungsbeispiel sind Angebote zur gemeinsamen Fahrzeugnutzung, welche die Koordination von vielen Teilnehmern mit unbekannten Bedürfnissen erfordern.
Marco Mazzotti, Professor am Institut für Verfahrenstechnik, erforscht Trennprozesse, die unter anderem in Kohlendioxid-Abscheide- und -Speichersystemen Anwendung finden. Ein weiterer seiner Schwerpunkte ist die Kristallisation. Viele Produkte in der Chemie-, Lebensmittel- und Pharmaindustrie werden als Pulver durch einen kontinuierlichen Kristallisationsprozess hergestellt. Dabei werden Kristalle durch Sekundärkeimbildung in gerührten Kristallsuspensionen erzeugt. In seinem ERC-Projekt möchte Mazzotti Lücken im wissenschaftlichen Verständnis der Sekundärkeimbildung im Mikromassstab schliessen. Davon verspricht er sich, die kontinuierliche Kristallisation im Prozessmassstab zu optimieren und steuern zu können. Der ETH-Professor hofft, dass das Projekt die Wissenschaft der Kristallisation und die damit verbundenen industriellen Prozesse wesentlich beeinflussen wird.
Als Professor für Mathematik forscht Rahul Pandharipande in der algebraischen Geometrie. Zu seinen Schwerpunkten zählt namentlich ein bestimmter Typ von geometrischen Räumen, die sog. Modulräume von Kurven. Seit der Jahrtausendwende hat sich eine sehr fruchtbare Beziehung zwischen algebraischer Geometrie, Quantenfeldtheorie und Stringtheorie etabliert. Besonders zwischen der algebraischen Geometrie der Modulräume und den sog. Pfadintegralen der Quantenfeldtheorie gibt es mehrere, wichtige Verbindungen. Mit diesen Integralen erfasst die Quantenmechanik alle möglichen Pfade, auf denen sich ein Teilchen von A nach B bewegen kann. Mit seinem zweiten ERC Advanced Grant will Pandharipande solche Modulräume besser verstehen und die Lösung von stringtheoretisch relevanten Integralen ermöglichen.
Ruth Signorell befasst sich in ihrer Forschung mit Aerosolen und Nanopartikeln. In ihrem ERC-Projekt untersucht sie mit Photoelektronenspektroskopie elementare Transportprozesse langsamer Elektronen in Flüssigkeiten und an der Grenzfläche von Flüssigkeiten zu Gasen, Feststoffen sowie anderen Flüssigkeiten. Dazu werden in freischwebenden kleinen Tröpfchen (Aerosolen) freie Elektronen durch Einstrahlung von Licht hoher Energie erzeugt. Eine empfindliche Messanordnung vermisst dann Geschwindigkeit und Richtung der aus den Tröpfchen entweichenden Elektronen. In diesem Projekt geht es um eine wichtige Frage der Grundlagenforschung: Wie und wie schnell verlieren langsame Elektronen ihre Energie durch Stösse mit Flüssigkeitsmolekülen? Erkenntnisse in diesem Bereich sind unter anderem bedeutend für das Verständnis von Strahlenschäden in lebenden Organismen.
Heini Wernli ist Professor für die Dynamik der Atmosphäre und interessiert sich dafür, welche physikalischen Prozesse die Struktur und Entwicklung von Wettersystemen wie beispielsweise Tiefdruckgebieten und Niederschlagsereignissen bestimmen. In seinem ERC-Projekt will er ein umfassendes Bild davon erhalten, wie sich meteorologisch extreme Jahreszeiten im heutigen und zukünftigen Klima gestalten. Konkret möchte er zum Beispiel verstehen, wie ein besonders niederschlagsreicher Winter in verschiedenen Regionen der Welt in Zukunft aussehen könnte und welche Wetterprozesse dafür verantwortlich sein werden. Zudem will Wernli untersuchen, wie sich extreme Jahreszeiten sozioökonomisch auswirken werden, etwa besonders schneereiche oder schneearme Winter auf den Tourismus im Alpenraum.
Messlatte für Spitzenforschende: ERC Grants
ETH-Forscherinnen und -Forscher bewerben sich seit 2007 erfolgreich um Fördermittel der Europäischen Union, die ERC Research Grants. Neben den Advanced Grants vergibt der Europäische Forschungsrat alljährlich auch Starting Grants für Nachwuchsforscher zu Beginn ihrer Karriere und Consolidator Grants für arriviertere Forscherinnen und Forscher zum weiteren Aufbau einer eigenen Gruppe. Ausserdem zeigt sich an den zahlreich bewilligten ERC Proof of Concepts der ETH Zürich (Mittel für die Erstellung von Machbarkeitsstudien und Businessplänen), dass Grundlagenforschung oft in Marktinnovationen mit entsprechendem volkswirtschaftlichem Nutzen ihre Anwendung findet. Der Europäische Forschungsrat ist Teil des europäischen Forschungs- und Innovationsprogramms Horion 2020 (2014-2020). Die Schweiz ist seit dem 1. Januar 2017 wieder vollständig an Horizon 2020 assoziiert.