«Ich möchte noch wichtige Initiativen in der ETH verankern»
Am 17. Mai 2018 hat Lino Guzzella bekannt gegeben, dass er auf eine zweite Amtsperiode als ETH-Präsident verzichtet. Er wolle aber im kommenden halben Jahr grosse Initiativen wie ETH+ oder Verbesserungen bei der Führungskultur noch weiter verankern, so Lino Guzzella im Interview.
Herr Guzzella, Ihr Entscheid, nicht mehr für eine zweite Amtszeit als Präsident zur Verfügung zu stehen, kam allgemein überraschend. Welche Reaktionen haben Sie erfahren?
Lino Guzzella: Besonders gefreut hat mich die grosse Unterstützung, die ich von vielen ETH-Angehörigen erhalten habe. Dieses Echo - quer durch alle Bereiche per E-Mail, Telefon und mündlich - erfüllt mich mit grosser Freude: Das zeigt, dass meine Vorstellungen über und mein Anspruch an die ETH in den vergangenen Jahren bei vielen ETH-Angehörigen auf fruchtbaren Boden gefallen sind.
Gab es auch überraschende Reaktionen?
Nicht als überraschend, aber als nicht selbstverständlich würde ich den grossen Zuspruch aus der Politik bezeichnen. Das hat mich persönlich gefreut. Von zentraler Bedeutung sind aber die positiven Stimmen für die ETH als Institution. Es ist wichtig, dass die ETH weiterhin auf die Unterstützung der Politikerinnen und Politiker der Schweiz zählen kann. Die Schweiz, ja die Welt, braucht die ETH. Unsere Hochschule ist ein Schlüssel für das Wohlergehen unseres Landes. Dafür, dass die Bedeutung der ETH der ganzen Bevölkerung bewusst ist, habe ich mich in den letzten Jahren engagiert. Ich bitte die Verantwortlichen in der Politik, sich auch künftig für eine starke ETH Zürich einzusetzen.
Was bedeutet Ihr Entscheid für die ETH Zürich? Was für Sie persönlich?
Zunächst: Der Erfolg der ETH hängt nicht davon ab, wer im Präsidentenzimmer sitzt, sondern vom Engagement jedes und jeder Einzelnen, vom technisch-administrativen Mitarbeitenden bis zur Professorin. Sie alle tragen dazu bei, dass es der ETH gut geht. Darauf können wir alle zu Recht stolz sein. Für mich persönlich war es der richtige Entscheid. Die sieben Jahre in der Schulleitung, davon vier als Präsident, waren anstrengend, und es kamen bei mir Zweifel auf, ob ich nochmals vier Jahre meinen eigenen Ansprüchen an diese Aufgabe gerecht werden kann. Auf der anderen Seite spürte ich vermehrt Lust, mich noch einmal ganz meinem Fachgebiet und meinen Passionen in der Lehre und der Forschung zu widmen. Ich habe auch schon viele konkrete Ideen im Kopf – neue Lehrkonzepte, die ich testen und Forschungsfragen, die ich angehen will. Darauf freue ich mich enorm!
In verschiedenen Medien werden Probleme in der Doktorierendenbetreuung in den Vordergrund gerückt. Was meinen Sie dazu?
Wir sind bei der Betreuung von Doktorierenden vereinzelt mit Fällen konfrontiert worden, die absolut inakzeptabel sind. Ich erwarte von allen Professorinnen und Professoren eine fürsorgliche und unterstützende Betreuung der Doktorierenden. Die hervorragenden Leistungen der Doktorierenden sind mitentscheidend für den Erfolg der ETH. Entstehen können sie nur durch bewusstes Fördern und einen konstruktiven und respektvollen Umgang miteinander. Deshalb nehmen sowohl ich als auch die ganze Schulleitung Problemfälle in der Doktorierendenbetreuung sehr ernst. Wir sind schon länger daran, all diese Fälle sorgfältig und konsequent zu bearbeiten und ergreifen die nötigen Massnahmen. Dabei wollen wir aber professionell und korrekt vorgehen. Es gilt immer, mit Augenmass vorzugehen und die rechtlichen Vorgaben einzuhalten. Das braucht etwas Zeit, aber nur so erreichen wir faire Einschätzungen und nachhaltig wirkende Verbesserungen.
Critical Thinking, Digitalisierung und Medizin sind strategische Initiativen, die Sie massgebend geprägt haben. ETH+ ist gut unterwegs und hat Fahrt aufgenommen. Gibt es etwas, das Sie sich für das letzte halbe Jahr als ETH-Präsident noch vorgenommen haben?
Mein Ziel ist, in meiner restlichen Zeit diese grossen und wichtigen Initiativen, die ich mit der Schulleitung gestartet habe, weiter zu verankern und zu verstetigen. Das Zukunftsprojekt ETH+ zum Beispiel ist hervorragend unterwegs: Die erste Welle wird demnächst evaluiert und danach implementiert. Ein zweiter Schwerpunkt liegt bei der Führungskultur. Hier möchte ich noch in den kommenden Monaten spürbare Verbesserungen erreichen und konkrete Massnahmen einleiten. Eine zeitgemässe Führungskultur auf allen Ebenen zu leben, muss für die ETH eine Selbstverständlichkeit sein.
Was wünschen Sie sich von Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Schulleitung, was von den Professorinnen und Professoren, und was von den Mitarbeitenden?
Ich wünsche mir, dass sich alle bewusst sind, dass die ETH nur dank des Einsatzes aller ETH-Angehörigen so ausserordentlich erfolgreich ist. Wir haben in Forschung, Lehre und Technologietransfer grossartige Erfolge erreicht, und wir werden gemeinsam in den kommenden Jahren diesen Weg weiter beschreiten. Ich freue mich, bis Ende 2018 als Präsident und danach als Professor meinen Beitrag an die weitere Entwicklung dieser wunderbaren Institution leisten zu dürfen.