Widersprüchliche Ziele

Die Wahrung von humanitären Traditionen und von Interessen der heimischen Pharmaindustrie bildet ein Spannungsfeld in der schwei­zerischen Gesundheits­­aussenpolitik, sagt Ursula Jasper.

Ursula Jasper

Die Schweiz war einer der ersten Staaten weltweit mit einer Gesundheitsaussenpolitik. 2012 verabschiedete der Bundesrat eine entsprechende Strategie und verankerte sie institutionell. Während Gesundheitspolitik früher primär als ein innenpolitisches Thema betrachtet worden war und in der Schweiz in erster Linie in den Kompetenzbereich der Kantone fiel, gilt nun die Maxime, dass gesundheitspolitische Themen in all ihren Facetten auch im aussenpolitischen Handeln berücksichtigt werden sollen. Zu diesem Paradigmenwechsel geführt hat die Einsicht, dass viele Gesundheitsaspekte im globalen Kontext betrachtet werden müssen, und dass sich neue Infektionskrankheiten vor dem Hintergrund globaler Mobilität und Vernetzung in kurzer Zeit zu Pandemien ausbreiten – wie Sars 2002/03 – und somit auch die Schweiz gefährden können.

Symbolbild
Verbesserung nationaler Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern ist eines der Ziele der Schweizer Gesundheitsaussenpolitik. (Bild: Shutterbox)

Die 20 Ziele, die im Rahmen dieser departementsübergreifenden gesundheitsaussenpolitischen Strategie verfolgt werden sollen, sind allerdings recht heterogen und divers. Sie reichen von der Kontrolle von Infektionskrankheiten und der Verbesserung nationaler Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern über die Stärkung der Weltgesundheitsorganisation WHO, der Drogenpolitik und der Digitalisierung im Gesundheitsbereich bis hin zum Ausbau der schweizerischen Forschungslandschaft, der Förderung wirtschaftlicher Interessen und dem Schutz des geistigen Eigentums. An letzterem sind besonders die Schweizer Pharmaunternehmen interessiert, welche den Patentschutz ihrer Medikamente weltweit durchsetzen möchten.

Kaum aufzulösendes Spannungsfeld

In den kommenden Monaten wird der Bundesrat die bisherige Strategie überprüfen. Bei dieser Evaluation wird sich zeigen, ob eine solch breite Palette an Zielen tatsächlich sinnvoll ist oder eine stärkere Konzentration und Priorisierung in Zukunft zweckmässiger wäre.

«Es wäre wünschenswert, wenn Fragen des Gesundheitsschutzes und des Zugangs zu Heilmitteln in Handels- und Investitionsabkommen zukünftig einen grösseren Stellenwert erhielten.»Ursula Jasper

Schon jetzt ist klar, dass sich die Gesundheitsaussenpolitik in einem kaum aufzulösenden Spannungsfeld unterschiedlicher, ja vielleicht teilweise sogar widersprüchlicher Interessen befindet. So lässt sich etwa das humanitäre Ziel, einer möglichst grossen Zahl von Menschen in Entwicklungsländern den Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten zu ermöglichen, nur schwer vereinbaren mit dem heute praktizierten – und von der Pharmaindustrie geforderten – Patentschutz bei Medikamenten.

Auch muss hinterfragt werden, inwieweit sich das explizite Bekenntnis zur liberalen globalen Wirtschaftsordnung und zum Freihandel in Einklang bringen lässt mit der humanitären Vision eines «Menschenrechts auf Gesundheit». Diverse Autoren argumentieren beispielsweise, dass gerade ein unregulierter Freihandel und die Privatisierung und Vermarktlichung des Gesundheitswesens in einer von den Industrieländern dominierten globalen Wirtschaftsordnung die Strukturen der Ungleichheit zementieren und die Gesundheit grosser Bevölkerungsgruppen gefährden. Demzufolge wäre es etwa wünschenswert, wenn sich die Schweiz dafür einsetzen würde, dass Fragen des Gesundheitsschutzes und des Zugangs zu Heilmitteln in Handels- und Investitionsabkommen zukünftig einen grösseren Stellenwert erhielten.

Schweiz zeigt aussenpolitischen Gestaltungswillen

Dass die Schweiz in den vergangenen Jahren eine departementsübergreifende gesundheitsaussenpolitische Strategie etabliert hat, war dennoch sowohl aus globaler als auch aus nationaler Perspektive ein wichtiger Schritt. Dies nicht nur weil sich die Schweiz damit zu humanitären Prinzipien verpflichtet, etwa beim erleichterten Zugang zu Medikamenten oder beim Ausbau lokaler Gesundheitssysteme. Gleichzeitig zeigt das Land aussenpolitischen Gestaltungswillen, um sich in der im Umbruch befindlichen globalen Gesundheitsarchitektur, die heute neben der WHO aus einer Vielzahl weiterer staatlicher und nichtstaatlicher Akteure und Initiativen besteht, zu etablieren. Eine solche Position bietet die Chance, massgeblich an einer Reform und Neugestaltung des internationalen Gesundheitssystems und einer Stärkung der WHO mitzuarbeiten, wovon auch der Standort Genf als Zentrum der internationalen Gesundheitsdiplomatie profitieren würde.

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