Eine kurze Geschichte des Ackerbaus
Wo und wie wir Ackerbau betreiben, ist seit jeher eine strittige Frage – und heute aktueller denn je. Doch einfache Antworten wird es auch künftig keine geben, meint Achim Walter.
Der Garten Eden ist schon lange nicht mehr. Irgendwo im Mesopotamien des 8. Jahrtausends vor Christus gab es eine kulturelle und technische Revolution, die vermutlich auch den Kontext für den biblischen Sündenfall bildete1 und die bis heute für «Schweiss im Angesicht» sorgt. In einer Ansiedlung zwischen Euphrat und Tigris kam jemand auf die Idee, gesammelte Samen anzubauen, auf dass sie einen Kornertrag lieferten: Die Domestikation von nutzbaren Pflanzen nahm ihren Lauf2.
Eine schweisstreibende Symbiose
Der Mensch mutierte damit vom Jäger und Sammler, der sich sozusagen im Garten Eden bediente, zum Ackerbauern, der die Sünde begangen hatte, sich ein Stück weit wie Gott zu verhalten und in den Ablauf der Natur einzugreifen. Der Wandel trug im wahrsten Sinne des Wortes Früchte, aber er schuf in der Tat auch Mühsal; so wie es Gott ja auch angeordnet hatte.
Der planvolle Anbau von nutzbaren Pflanzen geschah vermutlich nicht im Bewusstsein, eine überlegene Gesellschaft zu schaffen, sondern aus der Not heraus2: Die Jagdgründe waren wegen der hohen Bevölkerungsdichte verarmt. Archäologische Funde zeigen, dass die ersten Ackerbauern kleiner waren und weniger lang lebten als die benachbarten Sippen der Jäger und Sammler. Krankheiten und Mangelernährung herrschten unter den Bauern.
Ringen um den richtigen Weg
Es ist daher anzunehmen, dass dieser neue Lebensstil von vielen kritisch betrachtet wurde. Aber langfristig hat sich das Ackern durchgesetzt: Die Sippen der Bauern vergrösserten sich stärker als jene der Jäger und Sammler. Städte, Handwerk, Schrift entstanden. Und auch die Genome der Pflanzen entwickelten sich durch Auswahl weiter: Weizen, Gerste, Lein und Erbsen produzierten grössere Nachkommen, mehr Ertrag und weniger Bitterstoffe. Diese Symbiose und Co-Evolution ereigneten sich wenig später unabhängig davon auch in anderen Gegenden der Welt.
Es wäre sarkastisch, diese Entwicklung nur positiv darzustellen. Alle Beteiligten nahmen auch Nachteile in Kauf. Es kam zu neuen Krankheiten unter Menschen in dicht besiedelten Gebieten. Zu Krankheiten unter den Pflanzen. Zur Übernutzung von Böden. Zu verheerenden Missernten. Und schliesslich auch zu Völkerwanderungen, um das ausgelaugte Land zu verlassen. All das rief Konflikte hervor: Die Menschen rangen um den richtigen Weg; so wie wir auch aktuell um Pestizide, Preise und Produktivität ringen.
Wo stehen wir heute?
Auch heute stehen sich widerstrebende Lehren gegenüber. Es gibt diejenigen, die ein «Zurück zur Natur» propagieren, das Wachstum begrenzen wollen – und es gibt diejenigen, die immer schneller voran eifern und die Maschinentechnik oder Biotechnologie für den einzig richtigen Weg halten3.
Ich bin überzeugt: Jeder hat aus seiner Sicht recht – aber keiner sollte Allgemeingültigkeit beanspruchen. Natürlich: Es wäre besser, wenn nirgendwo Nahrungsmittel verschwendet geschweige denn Gifte eingesetzt würden – aber es wäre eben auch besser, wenn Nahrung überall zu einem fairen und zahlbaren Marktpreis verfügbar wäre.
Denn wir müssen Milliarden von Menschen ernähren. Jeden Tag. Das braucht Kontinuität. Wir sind schlicht zu viele, als dass wir es uns leisten könnten, den Anbau von Weizen, Mais oder Reis einzudämmen. Und genau deshalb braucht es auch Experimente: Denn die globalen Probleme, die sich aus unserem monokulturellen Massenanbau ergeben, sind zu gravierend, als dass wir es uns leisten könnten, irgendeinen Lösungsansatz nicht ernsthaft auszuprobieren.
Was kommt?
Die landwirtschaftlichen Systeme der Zukunft werden komplexer und vielfältiger sein. Wir werden sie aufgrund steigenden Krankheitsdrucks spezifischer bewirtschaften müssen. Und ja: Der Einsatz von Chemikalien, die Erosion und Verdichtung von Böden, die Übernutzung von Wasser und Land muss generell reduziert werden!
«Vielfalt auf dem Acker setzt Vielfalt im Denken voraus.»Achim Walter
Dies kann in manchen Fällen durch ein «zurück zur Natur», weniger Fleisch, weniger Food Waste geschehen – in anderen aber besser mittels Technologie: Sparsamere, bildgestützte Applikation von weniger schädlichen Pflanzenschutzmitteln. Neue krankheitsresistente Sorten. Mehr Agroforstsysteme aus Bäumen und einjährigen Kulturpflanzen in den Tropen; weniger Dünger und Pestizide dank einer hoch digitalisierten Landwirtschaft in Europa. Generell sollten wir Ackerbau dort intensivieren, wo die Böden und die Anbautechniken für die jeweiligen Kulturarten geeignet sind – und es dort bleiben lassen, wohin wir ihn nie hätten ausdehnen sollen – Regenwald und trockene Klimate der Erde.
Diskurs und Dialog sind unabdingbar
Sind das Lösungsansätze? Ja – aber in dieser Form sind es nur Plattitüden. Wie nachhaltig diese Wege sind, hängt ganz davon ab, wie wir sie ökologisch, ökonomisch und sozial genau ausgestalten. Die wichtigste Essenz – und mein grösstes Anliegen – ist, all diese Entwicklungen mit ihren Zielkonflikten miteinander in den Dialog zu bringen.
Denn es braucht Toleranz und Akzeptanz dessen, dass in der einen Situation die eine Lösung Vorteile bietet, und in der anderen Situation die andere. Vielfalt auf dem Acker setzt Vielfalt im Denken und eine gründliche Analyse voraus. Wir haben vom Baum der Erkenntnis gekostet und erfahren, dass es keine Patentlösungen gibt. Und so haben wir vor 10'000 Jahren eine Prozess angestossen, der uns im Schweisse unseres Angesichts immer wieder neu dazu zwingt, uns darum zu kümmern, wie es nun ganz genau weitergeht mit unserer Ernährung.
Smart Farming diskutieren
Unter dem Titel externe Seite Smart Farming – Was heisst das für die Schweiz? organisiert die ETH Zürich einen Diskussionsanlass zur Zukunft unseres Agrarsystems. Bundesrat Johann Schneider-Ammann wird seine Sicht auf das Smart Farming erläutern. Und Prof. Achim Walter informiert über den neusten Stand der Forschung. Verschiedene Stakeholder diskutieren anschliessend über die Landwirtschaft von morgen.
Freitag, 15. Juni 2018, 19.00 - 21.00 Uhr
ETH Zürich, Hönggerberg Campus, Gebäude HCI, Raum G3 8093 Zürich