Die Stadt in den Händen ihrer Bürger
Dank moderner Technologie können Bürger stärker in die Stadtentwicklung einbezogen werden. Gerhard Schmitt spricht von einer «Responsive City», welche die Idee der «Smart City» ablöst.
Diskussionen zum Thema Stadtentwicklung werden seit einiger Zeit vom Begriff der «Smart City» dominiert. Stadtplaner und Behörden rund um die Welt sind auf den Zug gesprungen. Die indische Regierung startete 2015 gar eine «Smart Cities Mission», mit der 100 indische Städte zu Smart Citys gemacht werden sollen. Mithilfe moderner Technologien wie Sensoren, künstlicher Intelligenz und Virtual Reality soll die Stadtverwaltung effizienter gestaltet werden. Die Einführung von Chatbots und Sprachdialogsystemen in staatlichen Callcentern ist nur ein Beispiel dafür.
Die bisherige Diskussion zu Smart Citys ist vor allem technologiegetrieben. Doch eine Stadt besteht aus ihren Bürgerinnen und Bürgern und ist für sie gemacht. Anstatt einen technologieorientierten Ansatz zu verfolgen, sollten wir uns bei der Planung und beim Management von Städten an ihren Bürgern orientieren. Der Begriff der «Responsive City» nimmt dies auf.
Responsive Citys setzen Technologie anders ein
Eine Responsive City nutzt ebenfalls neueste Technologie und ist eine Weiterentwicklung der Smart City, jedoch mit einem grundlegenden Unterschied: Die Bürgerinnen und Bürger rücken vom Zentrum der Beobachtung ins Zentrum des Handelns. Die Responsive City ermöglicht ihren Bürgern, ihre kognitiven und kreativen Fähigkeiten in den Dialog einzubringen, die Stadt aktiv mitzugestalten und Einfluss zu nehmen auf städtische Dienstleistungen und Fragen, die ihren Alltag und ihre Lebensumgebung betreffen. Die eingesetzte Technologie dient diesem Ziel. Eine Responsive City liegt in den Händen ihrer Bürger.
Während die technologiegetriebenen Smart Citys der ersten Stunde grosse Datenmengen von festen oder zentral gesteuerten Sensoren anhäuften, übernehmen in einer Responsive City dank einer hohen Durchdringung des Mobilfunks und des Internets der Dinge allmählich die Bürger die Führungsrolle bei der Generierung und beim Eigentum der Daten. Es ist möglich, mit Apps Fehlfunktionen und Ausfälle der städtischen Infrastruktur zu melden und eigene Vorschläge und Entwürfe für die Weiterentwicklung der Stadt einzubringen. Das Engagement der Bürger wird so zu einem Grundpfeiler einer Responsive City.
Eine gemeinsame Sprache finden
In einer Responsive City wird in beide Richtungen kommuniziert: von der Verwaltung zu den Bürgern und umgekehrt von den Bürgern zur Verwaltung. Wichtig ist hierbei, dass beide eine gemeinsame Sprache finden. «Ein Bild sagt mehr als tausend Worte», heisst es. Und in der Tat ist die Bildsprache auch hier äusserst mächtig. Die Visualisierung verändert oder verstärkt unsere Wahrnehmung von allem, was wir hören, schmecken, riechen, lesen, planen oder uns vorstellen. Deswegen legen wir im Singapore-ETH Centre grossen Wert auf die Visualisierung von Daten und Simulationen, insbesondere in der Kommunikation.
«Städte wie Zürich, Wien, Kopenhagen und Barcelona taugen als Vorbild.»Gerhard Schmitt
Wir setzen das am Singapore-ETH Centre entwickelte Visualisierungstool «Singapore Views» ein, um den Effekt von städtischen Hitzeinseln zu erklären und den Handlungsbedarf zur Beseitigung solcher aufzuzeigen. Ein weiteres Beispiel sind benutzerfreundliche Planungswerkzeuge wie das an der Professur für Informationsarchitektur entwickelte «Quick Urban Analysis Kit». Damit können auch Laien eigene Ideen zur Stadtgestaltung modellieren und visuell darstellen, um sie Mitbürgern und Stadtplanern zu präsentieren. Man kann sich leicht vorstellen, dass Bürger, die frei sind von politischen oder kommerziellen Interessen und Zwängen, auf andere Lösungen kommen als Fachleute, und dass dank solcher Hilfsmittel unkonventionelle oder sogar «disruptive» Ideen den Weg zur Umsetzung finden.
Kontextgerechte Lösungen
Sucht man heute im Internet nach dem Begriff «Smart Cities», kommt man auf rund 600 Millionen Ergebnisse; bei «Responsive Cities» sind es weniger als 60 Millionen. Es bleibt also noch viel zu tun. Doch es gibt Grund zur Hoffnung: Mehr als 120'000 Personen weltweit haben sich für unsere Onlinekurse (MOOC) zu Zukunftsstädten und Responsive Citys eingeschrieben. Das ist ein starkes Zeichen für ein grosses Interesse an diesem Ansatz.
Städte wie Zürich, Wien, Kopenhagen und Barcelona taugen als Vorbild, sie verfolgen Ansätze, die in Richtung Responsive City gehen. Auch kleine Schweizer Städte und Dörfer, welche seit Jahrhunderten von ihren Bürgern aktiv mitgestaltet werden, sind so etwas wie Urformen einer Responsive City.
Eine einheitliche Formel für erfolgreiche Responsive Citys gibt es allerdings nicht. Letztlich braucht es an den jeweiligen Ort und an den Kontext angepasste Lösungen, die mit Blick auf die Bürger konzipiert, wissenschaftlich untermauert und mit Unterstützung der Bürger umgesetzt werden.
Dies ist eine veränderte und gekürzte Fassung eines externe Seite Artikels, der in englischer Sprache auf der Website von Stars veröffentlicht wurde.