Wo Informationskompetenz entsteht

Heute gibt es viele Möglichkeiten, wissenschaftliche Daten und Informationen zu finden und mit diesen zu arbeiten. Bibliotheken sollten diese Kompetenzen vermitteln, meint Oliver Renn.

Oliver Renn

Die Kommunikation wissenschaftlicher Ergebnisse hat sich stark verändert. Früher wurden in gedruckten Zeitschriften und Büchern textuelle und visuelle Informationen publiziert. Das Finden dieser Informationen mit Katalogen – neudeutsch nennen wir das «Information Retrieval» – und danach das Blättern und Lesen waren eigentlich ausreichende Kompetenzen.

Bibliothek
Bibliotheken könnten in Zukunft Orte werden, an denen die digitale Wissensgesellschaft die notwendigen Kompetenzen und Methoden lernt. (Bild: iStock)

Wissenschaftliche Informationen stehen heute aber in vielen digitalen Formaten bereit, und genauso gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, diese Informationen zur analysieren, zu verbinden, auszuwerten und zu visualisieren. Wenn heute jemand Information nutzen möchte, beschränkt sich der Prozess jedoch oft auf den ersten Schritt des Information Retrieval. Aber auch diesem ersten Schritt wird meist nicht die Bedeutung zugestanden, die er eigentlich hätte, denn Google scheint ja gut genug zu sein, warum dann Alternativen nutzen? Den «Gap» zwischen Google und dem eigentlichen Anspruch gibt niemand gerne zu, und so gibt es auch nur wenige Studien darüber, wie Forschende eigentlich Informationen nutzen.

Reicht nicht auch googeln?

Und wie es mit Blättern und Lesen? Wie vertieft lesen wir heute noch wissenschaftliche Beiträge? Reicht nicht einfach googeln und ein Blick auf das Display des Smartphones, um die gewünschte Information zu erhalten und weiterzuverarbeiten? Sind wir ehrlich: Unsere Erfahrung zeigt, dass diese selektive und rudimentäre Informationsnutzung oftmals ausreicht. Aber ist ausreichend gut genug?1

Kaum einer kennt heute die vielfältigen Möglichkeiten, um schneller, effizienter und effektiver wissenschaftliche Informationen zu analysieren, zu visualisieren und für spezifische Zwecke zu nutzen. Um diese Chancen nutzen zu können, braucht es andere, neue Kompetenzen. Doch wer soll diese vermitteln?

«Gerade in Zeiten von Fake Science und Fake News ist es wichtig, Studierenden zu zeigen, wovon es letztlich abhängt, welche Informationen sie bei einer Suche erhalten.»Oliver Renn

Natürlich kann man den Standpunkt vertreten, dass alle Forschenden selbst für die eigene Informationskompetenz verantwortlich seien. Sollte man sich diese Fähigkeiten selbst beibringen? Da in kaum einem anderen Bereich die Entwicklung rasanter ist als in der Informationstechnologie, ist lebenslanges Lernen unabdingbar, aber in der heutigen arbeitsteiligen Gesellschaft macht es wenig Sinn, dass jeder selbst neue Technologien aktiv sucht, evaluiert und sich aneignet.

Bibliotheken als «Vierter Ort»

Bibliotheken waren früher – vor Jahrhunderten – Orte der aktiven Wissensgenerierung. Zuletzt überwog bei Bibliotheken jedoch das sichere Bewahren der wertvollen Bestände sowie das Erschliessen durch Kataloge. Bibliotheken könnten, in der heutigen digitalen Informationsgesellschaft die Rolle wieder übernehmen, in dem sie die Chancen der heutigen Informationsnutzung und -analyse vermitteln. Der Soziologe Ray Oldenburg betonte die Notwendigkeit eines «Dritten Ortes», eines Begegnungsortes der Gemeinsinn schafft und sich zwischen Arbeit (erster Ort) und Wohnung (zweiter Ort) befindet. Viele Bibliotheken versuchen heute, dieser «Dritte Ort» zu sein. Warum sollten Bibliotheken aber nicht auch ein «Vierter Ort» sein, an dem die digitale Wissensgesellschaft die notwendigen Kompetenzen und Methoden lernt?

Im Kampf gegen Fake Science

Das Informationszentrum Chemie Biologie Pharmazie (ICBP) an der ETH Zürich sieht die Vermittlung solcher Kompetenzen als die zentrale Aufgabe einer Bibliothek und setzt deshalb schon seit einigen Jahren den Schwerpunkt auf das fachspezifische Scouten, Evaluieren und Vermitteln von Informationslösungen. Das ICBP hat dafür einige neue Formate entwickelt, wie die Coffee Lectures (10-minütige Präsentationen zu Datenbanken, Tools und Services, die es mittlerweile an vielen Universitäten gibt), Research Group Menu Card Seminare oder eine Vorlesung für Doktorierende der Chemie, Life Sciences und Gesundheitswissenschaften.

Gerade in Zeiten von Fake Science und Fake News ist es wichtig, Studierenden im Geiste des Critical Thinking aufzuzeigen, wovon es letztlich abhängt, welche Informationen sie bei einer Suche erhalten. Warum beispielsweise die Abwägung zwischen Precision und Recall beim Information Retrieval so wichtig ist. Und welche Chancen und Risiken dadurch entstehen, dass sich die klassischen wissenschaftlichen Kommunikationsprozesse verändert haben. Rüsten wir unsere jungen Forschenden für die Zukunft!

Referenzen

1 Die Anfang 2019 publizierte externe Seite Stavanger Declaration on the Future of Reading in the Era of Digitization adressiert diese Herausforderungen des heutigen Lesens.

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