Die Pestizidinitiativen verdienen einen Gegenvorschlag
Die beiden Volksbegehren über ein Pestizidverbot und über das Trinkwasser sind berechtigt aber unflexibel. Es braucht schnell einen griffigen Gegenvorschlag, findet Bernhard Wehrli.
Mehr als 300 verschiedene Pestizide schützen in der Schweiz Getreide, Obst und Gemüse vor Unkräutern, Insekten und Pilzbefall. Das verhindert Ernteausfälle, wurmstichiges Obst und angefaultes Gemüse auf dem Markt. Idealerweise wirken solche Pflanzenschutzmittel nur kurz und werden danach durch Bakterien abgebaut. Zwei hängige Volksinitiativen wollen den Einsatz von künstlichen Pestiziden in der Schweizer Landwirtschaft reduzieren oder sogar verbieten. Ganz auf Agrochemie bei Anbau und Import von Nahrungsmitteln zu verzichten, wie dies die Pestizidinitiative verlangt1, halte ich für unrealistisch, wenn wir eine global wachsende Bevölkerung bei sich schnell verändernden Umweltbedingungen sicher ernähren wollen.
Ackerbau belastet Trinkwasser
Allerdings gehen die Initianten ein reales und ernstzunehmendes Problem an. Neue Studien bestätigen die weiträumige Belastung des Schweizer Grundwassers mit Pflanzenschutzmitteln, insbesondere in Ackerbaugebieten des Mittellandes2. Tatsächlich ist der Pestizidverbrauch in der Schweizer Landwirtschaft auch im internationalen Vergleich beträchtlich, mehr als 2000 Tonnen Pflanzenschutzmittel werden auf die Kulturen gespritzt. Der Regen wäscht einen Teil dieser Chemikalien ins Grundwasser und ebenso ihre Abbauprodukte, sogenannte Metaboliten. Im kühlen Untergrund erfolgt der Abbau langsam und die Chemikalien reichern sich an. Gewisse Pestizide wie etwa das Unkrautvertilgungsmittel Atrazin bleiben über Jahrzehnte nachweisbar, selbst wenn die Substanz schon lange verboten ist. Die Trinkwasserinitiative3 verlangt deshalb, dass im Ackerbau nur jene Betriebe Direktzahlungen erhalten, welche auf synthetische Pestizide verzichten.
Problemfall Metaboliten
Zwar sind nicht alle Pestizid-Metaboliten gefährlich, doch die Forschung deckt laufend neue Risiken auf. Einige Metaboliten sind im Wasser besser löslich und deutlich langlebiger als der ursprüngliche Wirkstoff. Das Fungizid Chlorothalonil ist ein aktuelles Beispiel. Der Stoff ist hierzulande gegen Pilzbefall im Gemüse- und Getreideanbau zugelassen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat aber kürzlich das Risikoprofil dieses Fungizids verschärft, weil die Substanz möglicherweise Krebs auslösen kann4. In der Folge hat die EU-Kommission die Zulassung nicht mehr erneuert, und in der Schweiz soll der Einsatz ebenfalls verboten werden.
Damit ist das Problem jedoch nicht gelöst – das Schweizer Grundwasser ist bereits zu stark mit Metaboliten von Chlorothalonil belastet. Die ETH-Doktorandin Karin Kiefer hat an der Eawag 31 Grundwasserproben untersucht und in 20 Fällen ein neues Abbauprodukt von Chlorothalonil nachgewiesen5. Dieses überschreitet den Grenzwert im Mittel um das Fünffache; die höchste Konzentration ist sogar 27-mal höher als zulässig. Betroffene Wasserfassungen müssten nun eigentlich innert Monatsfrist saniert werden. Wegen der weiträumigen Verschmutzung in Ackerbaugebieten und den fehlenden Reinigungstechniken wird dies allerdings nicht möglich sein.
Es braucht einen Kompromiss
Sauberes Trinkwasser ist ein überaus wertvolles Gut. Wenn wir die Trinkwassersicherheit im Schweizer Mittelland langfristig erhalten wollen, müssen wir in den Ackerbaugebieten den Einsatz von problematischen Pestiziden möglichst schnell reduzieren. Der Bundesrat hat deshalb 2017 einen Aktionsplan zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln verabschiedet6, welcher auf einer sorgfältigen Risikoanalyse basiert. Bisher bleibt der Plan jedoch genauso unverbindlich wie die kürzlich veröffentlichte Absicht des Bundesrates, im Rahmen der Agrarpolitik ab 2022 mögliche Gesetzesgrundlagen zum Schutz vor Pestizidverschmutzung «zu prüfen».
«Wir brauchen griffige Massnahmen, welche die Risiken von Pestiziden rasch verringern, ohne die landwirtschaftliche Produktion zu stark einzuschränken.»Bernhard Wehrli
Anstatt Absichtserklärungen ist baldmöglichst effektives Handeln nötig. In dieser Hinsicht böte die Trinkwasserinitiative über die Direktzahlungen einen konkreten finanziellen Anreiz, pestizidfrei zu produzieren. Leider ist der Vorschlag unflexibel, da er alle synthetischen Pflanzenschutzmittel unabhängig von ihrem Risikopotential gleichbehandelt und keine schrittweise Reduktion unterstützt.
Aus meiner Sicht brauchen wir in der Schweiz griffige Massnahmen, welche die Risiken des Pestizideinsatzes so schnell wie möglich verringern, ohne die landwirtschaftliche Produktion zu stark einzuschränken. Als nächstes wird der Ständerat über die Trinkwasser- und Pestizidinitiative beraten. Dass nun die Wirtschaftskommission des Ständerates mit einer parlamentarischen Initiative eine verbindliche Vorlage zur Reduktion des Pestizidverbrauchs ausarbeiten will, ist zu begrüssen [7]. Ein logisches Vorgehen wäre beispielsweise, Teile des Aktionsplans Pflanzenschutzmittel in Form eines Gegenvorschlags rasch gesetzlich zu verankern. Ein verbindlicher Pestizid-Reduktionsplan mit scharfen Zähnen wäre ein Kompromiss, mit dem Bauern, Bevölkerung und Umwelt gut leben könnten.
Weitere Informationen
1 Pestizidinitiative: Eidgenössische Volksinitiative «externe Seite Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide»
2 BAFU (2019): externe Seite Zustand und Entwicklung Grundwasser Schweiz.
3 Trinkwasserinitiative: Eidgenössische Volksinitiative «externe Seite Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz»
4 EFSA (2018): externe Seite Peer review of the pesticide risk assessment of the active substance chlorothalonil. doi: 10.2903/j.efsa.5126
5 K. Kiefer et al. (2019) New relevant pesticide transformation products in groundwater detected using target und suspect screening for agricultural and urban micropollutants with LC-HRMS. Water Research. Siehe News-Beitrag der externe Seite Eawag.
6 Aktionsplan externe Seite Pflanzenschutzmittel
7 Neue Zürcher Zeitung, 30.Aug. 2019: externe Seite Ständeräte durchkreuzen Kalkül des Bauernverbands