Ein Aufruf für klimaneutrales Bauen

Heutige Neubauten bestehen bis 2050 und darüber hinaus. Deshalb braucht die Baubranche möglichst rasch verbindliche Klimaziele, fordert Guillaume Habert.

Guillaume Habert

Gebäude und Infrastruktur verursachen 40 Prozent der Treibhausgase. Aufgrund der langen Betriebsdauer und langsamer Modernisierungszyklen bleiben Objekte, die wir heute errichten, bis ins Jahr 2050 praktisch unverändert bestehen. Wir sollten folglich bereits jetzt mit post-2050-tauglichen Richtlinien bauen. Was wir aber nicht tun.

Kulturzentrum in Mazan, Frankreich
Eine mit Strohballen isolierte Holzkonstruktion, die Platz für 1000 Personen bietet: Das Kulturzentrum in Mazan, Frankreich, von De-So Architects und Gaujard Technologie. (Bild: Hervé Abbadie / DE-SO Architects)

Konkrete Anforderungen und Zielwerte

Der Bausektor kann und muss eine Führungsrolle einnehmen, wenn wir die Pariser Klimaziele erreichen wollen. Eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern und Ingenieuren einschliesslich meiner selbst hat kürzlich die Grazer Deklaration verabschiedet (siehe Box). Darin rufen wir zur Reduktion der Treibhausgasemissionen im Bausektor auf.

Ein zentraler Aspekt ist die Einführung von Treibhausgasbudgets gemäss den CO2-Reduktionzielen des Weltklimarats IPCC.1 Solche Budgets müssen auf einzelne Bauprodukte, Gebäude, Gebäudebestände und ganze Städte anwendbar sein und klar definierte Ziel- und Zeitvorgaben enthalten, um spätestens bis im Jahr 2050 einen Netto-​Null-CO2-​Ausstoss zu erreichen.

Des Weiteren sollten die leistungsorientierten Ziele in Gesetze und Normen einfliessen. Wichtig ist zudem, dass die Anforderungen technologieneutral sind – also keine bestimmte Technologie bevorzugen. Ein besonderes Augenmerk gilt der Bauphase, da sich diese überproportional stark auf die Umwelt auswirkt: Über die Hälfte der gesamten Emissionen eines Gebäudes fallen während dem Bau aus.

Das aktuelle Schweizer Label für die Reduktion von Treibhausgasen in Gebäuden, die 2000-Watt-Gesellschaft2, mittelt die Emissionen über die gesamte Lebensdauer eines Gebäudes. Das ist aus meiner Sicht irreführend, weil man den Emissionspeak während der Bauphase unterschätzt. Wir riskieren eine Lock-in-Situation, wenn wir glauben, ein CO2-effizientes Gebäude zu errichten, tatsächlich aber das Ausgangsproblem verschlimmern, indem wir grosse CO2-Mengen freisetzen.

Die Technologie ist da

Neue öffentliche Gebäude haben eine Vorbildfunktion und sollten Netto-Null-CO2 anstreben. Das ist heute machbar: Die Schweizer Forschung und Industrie haben bereits emissionsarme Betonkonstruktionen entwickelt.3 Kohlenstoffnegative Isoliermaterialien sind im Markt verfügbar.4 Was wir nun brauchen, ist ein grundlegender Wandel im Denken.

«Wir sollten verstehen, dass wir für umweltschonende Gebäude mit gesundem Raumklima unseren Materialkonsum ändern müssen.»Guillaume Habert

Seit einigen Jahren wächst der Konsens, dass wir unsere Ernährung ändern müssen, wenn wir gesund bleiben und die Umwelt schonen wollen, etwa durch reduzierten Fleischkonsum. Entsprechend sollten wir verstehen, dass wir für umweltschonende Gebäude mit gesundem Raumklima unseren Materialkonsum ändern müssen.5

Wir können nach wie vor alle Materialien nutzen, aber in einem anderen Verhältnis als bisher. So gilt es, weniger energieintensive Baustoffe zu verwenden, um die Emissionen direkt beim Bauen zu senken. Wir wissen, wie man Netto-Null-CO2 in Gebäuden erreicht, und wie man mit kohlenstoffnegativen Materialien baut.

Als Wissenschaftler und Ingenieure hinter der Grazer Deklaration sehen wir uns in der Pflicht, den notwendigen Wandel im Bausektor gemeinsam mit Gesellschaft und Politik voranzutreiben.

Weitere Informationen

Die Grazer Deklaration für Klimaschutz im Baubereich wurde im Rahmen der Sustainable Built Environment D-A-CH Conference 2019 (externe SeiteSBE19) vom 11. bis 14. September an der Technischen Universität Graz von 400 Teilnehmenden aus über 30 Ländern verabschiedet. Die Konferenz wurde vom KIT, von der ETH Zürich und der BOKU Wien organisiert.

Weitere externe SeiteInformationen und die Grazer Deklaration externe Seiteunterzeichnen.

Die ETH Zürich fürht ein neues CAS zu regenerativen Materialien ein.

Referenzen

1 IPCC, 2018: externe SeiteSummary for Policymakers. In: Global Warming of 1.5°C (PCC Special Report)  

2 Die externe Seite2000-Watt-Gesellschaft

3 Nationales Forschungsprogramm (externe SeiteNFP70) zu energiearmen Betongebäuden.

4 Pittau F., Krause F., Lumia G., Habert G. 2018. externe SeiteFast-growing bio-based materials as an opportunity for storing carbon in exterior walls. Building and Environment, 129, 117–129.

Und: Pittau F., Lumia G., Heeren N., Iannaccone G., Habert G. 2019. externe SeiteRetrofit as a carbon sink: the carbon storage potentials of the EU housing stock. Journal of Cleaner Production, 214, 365–376.

5 Siehe zum Beispiel Ronald Rovers. externe SeitePeople vs Resources: restoring a world out of balance. Eburon, Niederlande

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert