Mit krummen Rüebli und fleckigen Kartoffeln

Ethisch und ökologisch können wir uns Foodwaste nicht länger leisten, findet Claudio Beretta. Doch bei der Vermeidung stehen wir erst am Anfang.

Claudio Beretta

Es weihnachtet sehr. Das Christkind und die festliche Schlemmerei stehen vor der Tür. Für mich eine Zeit, in der ich mir gern Gedanken mache über unseren Umgang mit Esswaren. Noch vor zehn Jahren war die Verschwendung von Lebensmitteln kaum einer Schlagzeile wert. Die Nahrungsmittelindustrie kehrte dieses Schattenseitenthema unter den Teppich, und wer die wissenschaftliche Literatur nach Foodwaste durchforstete, fand nicht gerade viel. Organisationen für Lebensmittelspenden waren  die einzigen auf weiter Flur, die Essbares vor dem Abfall bewahrten.

Krumme Rüebli und gefleckte Kartoffeln
Für Foodwaste-arme Festtage. (Bild: iStock/Svetlana-Cherruty)

Heute hat sich das geändert. Mittlerweile ist Foodwaste ein Thema in den hiesigen Medien, und die Lebensmittelbranche kommt nicht mehr darum herum, Stellung zu nehmen und Strategien gegen die Verschwendung aufzuzeigen. Es gibt immer mehr Studien zum Thema, und auch die Politik hat die Nahrungsmittelabfälle prominent auf die Agenda genommen.

Dies nicht zuletzt wegen dem Sustainable Development Goal 12.3 der Uno: Das Ziel für nachhaltige Entwicklung will Foodwaste pro Kopf auf Detailhandels- und Konsumentenebene bis 2030 halbieren und die Lebensmittelverluste in Landwirtschaft und Verarbeitung reduzieren. Unabhängig davon sind hierzulande etliche Projekte aus Eigeninitiativen entstanden, welche direkt oder indirekt Lebensmittel vor der Vergeudung retten.1

Es passiert einiges, aber nicht genug

Wer diesen Wandel der letzten Jahre beobachtet, mag sich fragen: Wo stehen wir denn jetzt? Tatsächlich wecken die mediale Präsenz des Themas und die kreativen Initiativen die berechtigte Hoffnung, dass wir die Foodwaste-Problematik in den Griff bekommen. Gerade in einem Land wie der Schweiz müsste das doch möglich sein. Doch wenn wir die Situation hierzulande genauer anschauen, müssen wir gnadenlos feststellen: Wir stehen noch ganz am Anfang.

Heute fallen über alle Glieder der Schweizer Lebensmittelkette 2.8 Millionen Tonnen vermeidbare Lebensmittelverluste an. Dies entspricht etwa 330 kg vermeidbarem Lebensmittelabfall pro Person und Jahr oder 37 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion im In- und Ausland zur Deckung des Schweizer Lebensmittelkonsums.2

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Ein Beispiel verdeutlicht die Relationen: Über Spendenorganisationen wie Tischlein deck dich, Schweizer Tafel und Partage werden schweizweit jährlich Lebensmittel in der Grössenordnung von 10‘000 Tonnen gerettet. Weitere rund 200 Tonnen bewahren die knapp 3‘000 Foodsaver von Foodsharing Schweiz jährlich. In Anbetracht der vielen Freiwilligenarbeit, welche dahinter steckt, ist dies eine grossartige Leistung. Doch verglichen mit den über 300‘000 Tonnen, welche alleine im Schweizer Detailhandel und der Gastronomie anfallen, liegen diese Zahlen nur im Bereich von einigen Prozenten.

Es gibt zwar vereinzelt Leuchtturmprojekte wie etwa den Gastronomiebetrieb «Mein Küchenchef», bei dem Lebensmittel praktisch ohne Verlust vom Hof auf den Teller gelangen. Aber vorbildlich Foodwaste vermeidende Betriebe bilden noch immer die Ausnahme und nicht die Regel.

Ein ambitionierter, aber notwendiger Schritt

Machen wir uns nichts vor: In Zeiten von Klimawandel und kriselnder Ökosysteme sind unnötig vergeudete Lebensmittel ethisch, ökologisch und nicht zuletzt finanziell untragbar. Meiner Ansicht nach sollte die Schweiz das nachhaltige Entwicklungsziel 12.3 der Uno darum ernsthaft anstreben. Eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung fällt dabei uns allen als Konsumentinnen und Konsumenten zu. Wie wir uns verhalten und was wir nachfragen beeinflusst nicht nur die Verluste im eigenen Haushalt, sondern im gesamten Ernährungssystem.

Eine Halbierung der vermeidbaren Abfälle bis 2030 könnte zudem 9 bis 15 Prozent der Klimaeffekte unserer Ernährung einsparen, was etwa 1.5 bis 2 Prozent der Klimaemissionen unseres gesamten Konsums entspricht. Dies mag auf den ersten Blick wenig erscheinen. Es gibt aber kaum einen anderen Handlungsbereich, bei dem wir mit so einfachen Massnahmen wie «in den Kühlschrank schauen vor dem Einkaufen» oder «Buffetüberschüsse mit einem Tupperware mitnehmen und später essen» so viel bewirken können.

«Wer erkennt, dass uns Lebensmittel mit Mass glücklicher machen als Lebensmittel in Massen, ist auf dem besten Weg zu einem bewussten Konsumverhalten.»Claudio Beretta

Weniger Foodwaste ist zwar nur ein Mosaikstein der nötigen Klimamassnahmen, aber ein ganz zentraler. Wer erkennt, dass uns Lebensmittel mit Mass glücklicher und gesünder machen als Lebensmittel in Massen, ist auf dem besten Weg zu einem rundum massvollen, bewussten Konsumverhalten.

Es ist Zeit, umzudenken. Und umdenken braucht immer auch Zeit. Vielleicht bieten die Feiertage zum Jahresende den einen oder anderen besinnlichen Moment, um sich des dringend nötigen Wandels bewusst zu werden. Das Festessen mit unförmigen Kartoffeln und krummen Rüebli zu garnieren, wird dann gar nicht mehr so abwegig sein. In diesem Sinne wünsche ich restlos frohe Festtage.

Weitere Informationen

Claudio Beretta doktorierte am Lehrstuhl für Ökologisches Systemdesign ESD der ETH Zürich zu Lebensmittelverschwendung und erarbeitete anschliessend einen Bericht2 für das Bundesamt für Umwelt BAFU über Foodwaste in der Schweiz. Seit Kurzem arbeitet er an der ZHAW. Mit diesem Beitrag verabschiedet sich Claudio Beretta von der ETH Zürich.

Referenzen

1 Ein Beispiel ist externe Seite foodwaste.ch, die unabhängige Schweizer Informations- und Dialogplattform zum Thema Lebensmittelverschwendung. Weitere Initiativen sind Too Good To Go, Foodsharing, die Sensibilisierungskampagne von PUSCH oder die Ässbar.

2 Claudio Beretta und Stefanie Hellweg, ETH Zürich: externe Seite Lebensmittelverluste in der Schweiz: Umweltbelastung und Vermeidungspotenzial (Oktober 2019). Eine externe Seite Studie im Auftrag des Bundesamts für Umwelt BAFU.

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