Seit Jahren will die ETH Zürich den Frauenanteil, nicht zuletzt unter den Studierenden, steigern. Bisher nicht mit durchschlagendem Erfolg. Weshalb? Und was tut die ETH, um mehr Frauen für ein Studium zu gewinnen? Wir haben bei Rektorin Sarah Springman nachgefragt.
Frau Springman, dieses Jahr beträgt der Frauenanteil unter den neu eingetretenen Bachelorstudierenden 34 Prozent. Das bedeutet eine Steigerung von rund drei Prozentpunkten über die letzten zehn Jahre. Sind Sie damit zufrieden?
Zufrieden sein können wir damit natürlich nicht. Ich wünschte mir, dass wir ebenso viele junge Frauen wie Männer für ein ETH-Studium begeistern könnten. Uns entgehen zu viele weibliche Talente. Dennoch freue ich mich, dass wir in der Tendenz eine Steigerung erzielen konnten.
Weshalb geht es nicht schneller voran?
Wir haben mit Stereotypen zu kämpfen, die in der ganzen Gesellschaft verankert sind. Es gibt Berufsfelder, die bei uns immer noch als typisch weiblich oder männlich gelten. Wir sehen das auch bei unseren Studiengängen. So machen die Frauen beispielsweise im Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie beinahe zwei Drittel aller Studierenden aus. Und auch die Departemente Umweltsystemwissenschaften und Biologie haben mehr Studentinnen als Studenten.
Wo sind die Frauenanteile am niedrigsten?
Bei den klassischen Ingenieurwissenschaften: Maschinenbau, Informatik, Elektrotechnik. Da sind die Studentinnen klar in der Minderzahl und machen je nach Studiengang nur 12 bis 20 Prozent aller Studierenden aus. Gerade diese Departemente sind aber besonders aktiv, wenn es darum geht, künftige Studentinnen anzusprechen.
Was machen sie konkret?
Die Departemente laden Schülerinnen an die ETH ein, wo ihnen Studentinnen und Alumnae zeigen, was sie erwartet und welche beruflichen Perspektiven ein Ingenieurstudium eröffnet. An den Informatiktagen für Mädchen oder an gemeinsamen Veranstaltungen der Maschineningenieurinnen und Elektrotechnikerinnen dürfen wir jeweils Dutzende von interessierten jungen Frauen begrüssen. Auch beim Nationalen Zukunftstag bieten wir spezielle Kursangebote im MINT-Bereich für Mädchen an.
«Wir können alle dazu beitragen, etwas zu ändern.»Sarah Springman, Rektorin
Das scheint aber nicht zu reichen, wenn man die Zahlen betrachtet …
Wie gesagt, bei den Rollenbildern handelt es sich um ein gesellschaftliches Phänomen. Aber auch hier setzen wir an. So sensibilisieren wir in der Didaktischen Ausbildung künftige Lehrerinnen und Lehrer für das Thema. Und anlässlich des Internationalen Frauentags haben wir dieses Jahr eine Serie mit Videoporträts von ETH-Professorinnen auf den sozialen Netzwerken veröffentlicht. Solche Vorbilder sind wichtig. Oder schauen Sie sich den Globi-Band an, der an der ETH spielt, «Globi und die verrückte Maschine». Als wir zusammen mit dem Verlag die Geschichte entwickelt haben, stand von Anfang an fest, dass die Hauptfigur, eine Professorin, weiblich sein soll.
Sie selbst sind ja auch Ingenieurin. Wie haben Sie zu Ihrem Gebiet gefunden?
Ich habe schon als Kind mit meinen Brüdern gerne Sandburgen und Staudämme gebaut. Als ich 15 Jahre alt war, haben wir einen Schulausflug zu Marconi Elliott Automation Systems gemacht, und da wurde mir klar, dass ich Ingenieurin werden will. Während meines Studiums in Cambridge hat mich die Bodenmechanik gepackt – die Interaktion zwischen dem Boden und Gebäuden.
Als Sie 1997 an die ETH berufen wurden, betrug der Frauenanteil rund 7 Prozent bei den ordentlichen Professuren, heute sind es etwa 15 Prozent. Sie waren in der Schweiz die erste Professorin in Bauingenieurwissenschaften. Wie ist es Ihnen da ergangen?
Ich wurde sowohl innerhalb wie auch ausserhalb des Departements sehr herzlich empfangen. Zwei Kollegen haben mich in ihre Projektgruppen eingeladen, sodass ich mich auch schnell in der ETH-Kultur zurechtfand. Die grössere Herausforderung als eine Frau zu sein, war allerdings die Sprache. Ich hatte nur rudimentäre Deutschkenntnisse.
Hatten Sie als Professorin die Möglichkeit, Frauen aktiv zu fördern?
In meiner Gruppe konnte ich natürlich Einfluss nehmen. Über die letzten 17 Jahre habe ich 15 Männer und 7 Frauen eingestellt, und die Hälfte meiner Postdocs waren Frauen. Selbstverständlich erhielten alle den gleichen Lohn. Grossen Wert legte ich in meiner Gruppe auch auf die Familienverträglichkeit, indem wir beispielsweise früh die Möglichkeit von Home-Office einführten oder beim Festlegen von Sitzungen die Bedürfnisse von Müttern und Vätern berücksichtigten.
«Es ist mir ein Anliegen, Frauen zu fördern. »Sarah Springman, Rektorin
Und wie sieht es mit den Studentinnen in «Ihrem» Departement aus?
Als ich begann, machten sie rund fünf Prozent aus. Ich habe mich als Professorin an sämtlichen Initiativen beteiligt, bei denen es darum ging, Mädchen für Ingenieurwissenschaften zu begeistern. Ich weiss nicht, wie viele Sandburgen ich mit ihnen gebaut habe (lacht). Jedenfalls hatte ich jedes Jahr eine Gruppe von begeisterten Mädchen in meinem Labor – wie andere Kollegen übrigens auch. Heute haben wir in unserem Departement einen Frauenanteil von rund einem Drittel, was ziemlich genau dem ETH-Durchschnitt entspricht.
Heute sind Sie Rektorin. Welche Hebel haben Sie da in der Hand?
Der wichtigste Beitrag, den ich leisten kann, ist wohl die weibliche Sicht, die ich in die Entscheidungsgremien an der ETH einbringen kann. Frauen ticken oft etwas anders als Männer, verkaufen sich beispielsweise weniger gut. Das ist gerade im Zusammenhang mit Berufungen von neuen Professorinnen und Professoren von Bedeutung. Es ist mir aber ein Anliegen, überall Frauen zu fördern, wo es sinnvoll ist.
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Vor wenigen Wochen wurde am ETH-Tag Professorin Evelyn Hu mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Zwischen 2008 und 2014 betrug der Frauenanteil der Persönlichkeiten, denen diese Ehre zufiel, neun Prozent. Ich habe diese Tatsache gegenüber den Departementen, die die Nominierungen vornehmen, thematisiert. Denn es gibt weltweit viele herausragende potenzielle Empfängerinnen. Und es hat sich etwas geändert: Über die letzten fünf Jahre haben wir einen Frauenanteil von 43 Prozent erzielt. Das Beispiel an sich mag wenig bedeutend erscheinen. Was ich damit aber sagen will: Wir können alle im Alltag dazu beitragen, etwas zu ändern, wenn wir auf gewisse Fragen sensibilisiert sind.
Dieser Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETH-Magazins «life»