Zellen den Weg leuchten
ETH-Forschende haben eine neue Methode erfunden, bei der sie mit Licht Molekülmuster vorzeichnen, die lebenden Zellen den Weg weisen. Der Ansatz erlaubt einen tieferen Einblick in die Entwicklung von mehrzelligen Lebewesen – und könnte in Zukunft auch bei neuartigen Therapien zum Tragen kommen.
Dass sich aus einer einzigen Zelle hochkomplexe Organismen entwickeln, ist eines der Wunder der Natur. In der Entwicklung spielen sogenannte Morphogene eine wichtige Rolle. Sie signalisieren den Zellen, wohin sie gehen und was sie tun sollen. Diese Signalmoleküle steuern biologische Prozesse wie die Bildung von Körperachsen oder die Verdrahtung des Gehirns. Um solche Prozesse genauer untersuchen zu können, müssen Forschende die Signalmoleküle im dreidimensionalen Raum um lebende Zellen herum positionieren können. Dies ist nun möglich, dank einer neuen Methode, die Nicolas Broguiere und seine Kolleginnen und Kollegen in der Forschungsgruppe von Marcy Zenobi-Wong entwickelt haben. Ihre Ergebnisse werden heute in der externe Seite Fachzeitschrift «Advanced Materials» veröffentlicht.
Zeichnen mit Licht
«Unser Ansatz erlaubt es, bioaktive Moleküle mit hoher Präzision in einem Hydrogel zu verteilen», sagt Zenobi-Wong, Professorin für Gewebetechnologie und Biofabrikation am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich. Wenn lebende Zellen in das Hydrogel eingekapselt werden, nehmen sie die biochemischen Signale wahr. Eines dieser Signale, nämlich der Nervenwachstumsfaktor, bestimmt die Richtung, in welche Nervenfasern wachsen. Mit einer Methode, die als 2-Photon-Patterning bezeichnet wird, haben die Forschenden mit einem Laser dreidimensionale Muster dieses Moleküls in das Hydrogel gezeichnet.
«Genau an der Position, auf die das Licht gerichtet ist, wird eine chemische Reaktion ausgelöst, die den Nervenwachstumsfaktor im Hydrogel verankert», erklärt Broguiere. «Wir haben das Design des lichtempfindlichen Hydrogels sorgfältig optimiert, damit sich die Signalmoleküle nur in den beleuchteten Bereichen – und nirgendwo sonst – anlagern.» Mit ihrem neuen Ansatz können die Forschenden dreidimensionale Morphogene mit Details von der Grösse eines tausendstel Millimeters, also einer einzelnen Nervenfaser, zeichnen und dann mit einem Mikroskop beobachten, wie die Neuronen dem vorgezeichneten Muster folgen. «Mit dieser neuen Methode können wir nun Nervenzellen mit ihrer eigenen biochemischen Sprache effektiv dreidimensional lenken», sagt Broguiere.
Wenn Nervenfasern reissen
Zellen vorzugeben, in welche Richtung sie wachsen sollen, ist ein langgehegter Traum von vielen Biologinnen und Biologen. Mit dem neuen Ansatz der ETH-Forschenden kommen sie der Erfüllung dieses Traums einen grossen Schritt näher. Für ihre Erfindung sehen Zenobi-Wong und Broguiere auch einen potenziellen Nutzen in der Medizin: Wenn Nerven durch einen Unfall geschädigt werden, wachsen sie willkürlich zusammen, sodass ihre volle Funktion nicht wiederhergestellt wird. «Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass wir schon bald bereit sind, Patientinnen und Patienten mit unserem Ansatz zu behandeln», sagt Zenobi-Wong. «Doch in Zukunft könnte eine Weiterentwicklung unseres Ansatzes vielleicht dabei helfen, den Nervenzellen direkt im Körper den richtigen Weg zu weisen, sodass verletzte Nerven besser heilen.»
Literaturhinweis
Broguiere N, Lüchtefeld I, Trachsel L, Mazunin D, Rizzo R, Bode JW, Lutolf MP, and Zenobi-Wong M. Morphogenesis guided by 3D patterning of growth factors in biological matrices. Advanced Materi-als. (2020). doi: externe Seite 10.1101/828947