Was Immunzellen über Schlafkrankheiten verraten
Daniela Latorre wollte schon als Kind Wissenschaftlerin werden. Am Institute for Research in Biomedicine, das zur USI in Bellinzona und zum Institut für Mikrobiologie gehört, findet sie Hinweise dafür, dass es sich bei der Narkolepsie um eine Autoimmunkrankheit handelt. Für ihre Pionierarbeit wurde sie unter anderem mit dem Pfizer Forschungspreis ausgezeichnet.
«Das ist mein allererstes Interview», erklärt Daniela Latorre mit einem Lächeln gleich zu Beginn des Gesprächs. Sehr wahrscheinlich wird es nicht ihr letztes bleiben: Die junge Forscherin aus Italien hat sich in den letzten Jahren einen Namen mit ihren Untersuchungen zu Narkolepsie gemacht. Als SNF-Gruppenleiterin am Institut für Mikrobiologie der ETH Zürich untersucht sie die autoimmune Basis von neurologischen Krankheiten.
Für ihre Forschung wurde sie mit einer Vielzahl an Preisen ausgezeichnet – und das mit erst 35 Jahren. Nachdem sie 2019 bereits den Young Scientist Award des European Narcolepsy Network gewann, wurde sie dieses Jahr nun mit dem Pfizer Forschungspreis ausgezeichnet. «Es ist ein wunderbares Gefühl. All diese Preise würdigen die Arbeit, die mein Team und ich in unsere Untersuchungen hineingesteckt haben», erklärt Daniela Latorre.
Ist Narkolepsie eine Autoimmunerkrankung?
Die Narkolepsie zählt zu den chronischen Schlaf-Wach-Störungen und wird durch den Verlust an Neuronen im hinteren Hypothalamus ausgelöst. Das Gehirn kann als Folge davon nur geringfügig das Neuropeptid Hypokretin produzieren, das für den Schlaf-Wach-Rhythmus verantwortlich ist. Eine von 2000 Personen ist von dieser Krankheit betroffen.
«Mit unseren Ergebnissen wird sich das Bewusstsein verbessern, was sich hinter dieser Krankheit versteckt»Daniela Latorre
Grundsätzlich besteht eine grosse Lücke auf diesem Forschungsgebiet, welche die junge Forscherin mit ihren Untersuchungen schliessen möchte. «Mit unseren Ergebnissen wird sich das Bewusstsein verbessern, was sich hinter dieser Krankheit versteckt», ist sie überzeugt. So will sie den Ursachen dieser Erkrankung weiter auf den Grund gehen. «Die Symptome können zwar behandelt werden, eine Heilung existiert hingegen nicht», merkt Latorre an. In ihrem gegenwärtigen und bisher grössten Forschungsprojekt untersucht sie autoimmune Faktoren, die zu dieser Krankheit führen könnten. Denn man vermutet, dass es sich bei der Narkolepsie um eine Autoimmunkrankheit handelt. Latorre konnte nun zeigen, dass dies sehr wahrscheinlich der Fall ist.
Die dazugehörige Forschung gestaltet sich alles andere als einfach: «Es ist äusserst schwierig, Forschungen auf diesem Gebiet zu betreiben. Man muss präzise und sensitive Messmethoden verwenden, um überhaupt die seltenen Immunzellen im Blut und der Zerebrospinalflüssigkeit bestimmen zu können», sagt Latorre. Bei einer Fehlfunktion des Immunsystems werden diese Zellen jedoch im Übermass produziert; sie schädigen dann die Neuronen im Hypothalamus und beeinträchtigen die Produktion des Hypokretins, was zur Narkolepsie führt.
Obwohl sich die Untersuchungen umständlich gestalteten, schaffte Latorre es dennoch, die autoreaktiven T-Zellen zu isolieren und charakterisieren. Dabei zielte sie auf neuronale Antigene in Narkolepsie-Patienten ab. Dies unter der Leitung von Federica Sallusto, Professorin für Immunologie an der ETH Zürich, und Professor Claudio Bassetti vom Inselspital Bern. Gemeinsam mit ihren Teamkollegen konnte Latorre erstmals nachweisen, dass autoreaktive T-Lymphozyten im Immunsystem von Patienten mit Narkolepsie gefunden werden. «Das ist eine klare Evidenz dafür, dass es sich bei Narkolepsie um eine Autoimmunerkrankung handelt », erklärt die gebürtige Italienerin.
Der Weg in die Klinik
Es war Sallusto’s Forschungskoordinator Claudio Bassetti, der Latorre während ihrer Zeit als Post-Doc am Institute for Research in Biomedicine in Bellinzona auf das Gebiet der Narkolepsie aufmerksam machte. So entstand die Kooperation zwischen dem Forschungsteam um Sallusto und dem Inselspital Bern. «Mediziner benötigen die Hilfe von Forschern, um praktische Fragen zu beantworten», sagt Latorre. Dank den Forschungsergebnissen können Klinikfachleute Mechanismen der Schlaferkrankung besser verstehen und effiziente Behandlungsmethoden entwickeln. «Noch ist es in einem zu frühen Stadium, um schon Patienten gezielt behandeln zu können. Aber wir arbeiten fieberhaft daran», meint sie.
Das Puzzle zusammenfügen
Als Tochter einer Hausfrau und eines Fabrikarbeiters wuchs Daniela Latorre in einem kleinen Ort in Süditalien auf. Obwohl ihre Familie nur wenig Bezug zur Wissenschaft hatte, fand sie früh den Zugang dazu. Ihr grösster Treiber war ihre unbändige Neugier, sie wollte hinter die Dinge blicken. «Bereits als Kind war ich fasziniert davon, wie unser Körper funktioniert und welche Mechanismen ihm zugrunde liegen. Wie jedes noch so kleine Teilchen – startend bei der DNA zu den Zellen und den Organen – mit anderen zusammenarbeitet und eigenständig funktioniert. Ein Wunder», sagt sie. Sie liebt es, über die Forschung Puzzleteilchen um Puzzleteilchen durch neue Erkenntnisse zu einem grossen Ganzen zusammenzufügen. Findet sie einen «Bug», wie sie es nennt, möchte sie Mittel und Wege finden, diesen zu beheben.
«Wenn wir dank unserer Forschung Patienten erfolgreich behandeln könnten, wäre das die Krönung für mich.»Daniela Latorre
Für sie ist klar: Nicht sie fand den Weg zur Wissenschaft, die Wissenschaft fand sie. «Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, wie ich mit acht Jahren einen Brief an den «Babbo Natale», dem italienischen Samichlaus, schrieb, in dem ich mir ein Mikroskop wünschte», erzählt Latorre. So magisch angezogen wie sie von wissenschaftlichen Vorgängen war, erkannte auch ihre Gymnasiallehrerin ihr Talent. Sie war es, die Latorre empfahl, Biotechnologie in Rom zu studieren. Als erste ihrer Familie schlug sie den akademischen Weg ein. «Meine Familie ist sehr stolz auf mich und unterstützt mich in jeder Hinsicht in meiner Forschungskarriere», fügt die junge Forscherin hinzu.
Die Reise geht noch viel weiter
Mit der Narkolepsie wird sich Daniela Latorre noch lange beschäftigen. «Das ist erst der Anfang. Die Reise geht noch viel, viel weiter», sagt sie. Frühdiagnosen und klinische Behandlungsmethoden auf der Basis ihrer Forschung sollen konkrete Formen annehmen. Der Weg von der ersten Forschungskonzeption zur fertigen Behandlungsmethode ist allerdings langwierig, doch Latorre lässt sich nicht davon beirren: «Wenn wir dank unserer Forschung Patienten erfolgreich behandeln könnten, wäre das die Krönung für mich.»
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