Grösse des Heliumkerns genauer gemessen als je zuvor
Eine internationale Forschungskollaboration mit ETH-Beteiligung hat in Experimenten am Paul Scherrer Institut PSI den Radius des Atomkerns von Helium fünfmal präziser gemessen als jemals zuvor. Mit dem neuen Wert lassen sich fundamentale physikalische Theorien testen.
Helium ist nach Wasserstoff das zweithäufigste Element im Universum. Rund ein Viertel der Atomkerne, die in den ersten Minuten nach dem Urknall entstanden, waren Heliumkerne. Diese bestehen aus vier Bausteinen, nämlich zwei Protonen und zwei Neutronen. Für die Grundlagenphysik ist es entscheidend, die Eigenschaften des Heliumkerns zu kennen, unter anderem um Vorgänge in anderen Atomkernen zu verstehen. «Der Heliumkern ist ein sehr fundamentaler Kern», sagt Aldo Antognini, Physiker am PSI und an der ETH Zürich.
Der internationalen Forschungskollaboration ist es nun gelungen, die Grösse des Heliumkerns rund fünfmal genauer zu bestimmen, als dies in bisherigen Messungen möglich war. Die Gruppe hat ihre Resultate heute im renommierten Fachmagazin externe Seite «Nature» veröffentlicht. Danach beträgt der sogenannte mittlere Ladungsradius des Heliumkerns 1,67824 Femtometer (1 Billiarde Femtometer ergeben 1 Meter).
«Die Idee hinter unseren Experimenten ist einfach», erklärt Antognini. «Normalerweise umkreisen zwei negativ geladene Elektronen den positiv geladenen Heliumkern. Doch für unsere Experimente verwendeten wir nicht normale Atome, sondern exotische, bei denen beide Elektronen durch ein einzelnes Myon ersetzt wurden.» Das Myon gilt als schwerer Bruder des Elektrons; es gleicht ihm zwar, ist aber rund 200-mal schwerer als dieses. Deshalb ist ein Myon viel stärker an den Atomkern gebunden als ein Elektron und umkreist diesen in viel engeren Bahnen. Ein Myon kann sich – im Vergleich zu Elektronen – mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit im Kern selber aufhalten. «So können wir bei myonischem Helium Rückschlüsse auf die Struktur des Atomkerns ziehen und dessen Eigenschaften messen», erklärt Antognini.
Langsame Myonen, kompliziertes Lasersystem
Die Myonen werden am PSI mithilfe eines Teilchenbeschleunigers produziert. Die Spezialität der Anlage: Es werden Myonen mit niedriger Energie erzeugt. Diese Teilchen sind langsam und lassen sich in den Apparaturen für Experimente stoppen. Nur so können die exotischen Atome gebildet werden, bei denen ein Myon ein Elektron aus seiner Bahn wirft und ersetzt. Schnelle Myonen würden dagegen durch die Apparatur hindurchfliegen. Die PSI-Anlage liefert weltweit mehr niederenergetische Myonen als alle anderen vergleichbaren Maschinen. «Deshalb kann das Experiment mit dem myonischen Helium nur hier durchgeführt werden», sagt Franz Kottmann, der seit 40 Jahren die notwendigen Vorarbeiten für dieses Experiment vorangetrieben hat.
Die Myonen treffen im Experiment auf eine kleine, mit Heliumgas gefüllte Kammer. Stimmen die Bedingungen, entsteht myonisches Helium, bei dem sich das Myon in einem Energiezustand befindet, in dem es sich häufig im Atomkern aufhält. «Nun kommt der zweite wichtige Baustein für das Experiment zum Zug: das Lasersystem», erklärt Antognini. Das komplizierte System schiesst einen Laserpuls auf das Heliumgas. Hat das Laserlicht die richtige Frequenz, so regt es das Myon an und befördert es in einen höheren Energiezustand, bei dem seine Bahn praktisch immer ausserhalb des Kerns verläuft. Fällt das Myon dann wieder in den Grundzustand zurück, sendet es Röntgenlicht aus, das sich von Detektoren registrieren lässt.
Im Experiment wird die Laserfrequenz so lange variiert, bis möglichst viele Röntgensignale eintreffen. Physiker sprechen dann von der sogenannten Resonanzfrequenz. Mit ihrer Hilfe lässt sich die Differenz zwischen den zwei energetischen Zuständen des Myons bestimmen. Laut Theorie hängt der gemessene Energieunterschied von der Grösse des Atomkerns ab. Aus den theoretischen Gleichungen lässt sich deshalb der Radius bestimmen. Die dazu notwendige Datenauswertung wurde von Randolf Pohls Gruppe an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz durchgeführt.
Prüfstein für die Kernphysik
«Unsere Messung kann auf verschiedene Weise genutzt werden», sagt Julian Krauth, Erstautor der Studie: «So ist der Radius des Heliumkerns ein wichtiger Prüfstein für die Kernphysik.» Die Atomkerne werden durch die sogenannte starke Wechselwirkung zusammengehalten, eine der vier Grundkräfte der Physik. Mit der Theorie der starken Wechselwirkung, Quantenchromodynamik genannt, möchten die Physiker den Radius des Heliumkerns und anderer leichter Atomkerne mit wenigen Protonen und Neutronen voraussagen können. Der äusserst präzise gemessene Wert des Heliumkern-Radius stellt diese Voraussagen auf die Probe. Damit lassen sich auch neue theoretische Modelle der Kernstruktur testen und Atomkerne so noch besser verstehen.
Die Messungen an myonischem Helium können aber auch verglichen werden mit Experimenten mit normalen Heliumatomen und -ionen. An diesen lassen sich mit Lasersystemen ebenfalls Energieübergänge auslösen und messen – hier allerdings von Elektronen anstatt Myonen. Vergleicht man die Resultate beider Messmethoden, lassen sich Rückschlüsse auf fundamentale Naturkonstanten ziehen, wie die Rydberg-Konstante, die in der Quantenmechanik eine Rolle spielt.
Literaturhinweis
Krauth JJ et al.: Measuring the α-particle charge radius with muonic helium-4 ions. Nature 27. Januar 2021. DOI: externe Seite 10.1038/s41586-021-03183-1
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externe Seite Ausführliche Medienmitteilung des Paul Scherrer Instituts