Dank Marsbeben zum Kern vordringen
Forscher der ETH Zürich und der Universität Zürich konnten erstmals mithilfe seismischer Daten ins Innere des Mars blicken. Marsbeben, aufgezeichnet von der NASA-Sonde InSight, lieferten Informationen über die Struktur von Kruste, Mantel und Kern des Planeten.
Von der Erde weiss man, dass sie aus Schalen aufgebaut ist: Auf eine dünne Kruste aus leichtem, festen Gestein folgen der dicke Erdmantel aus schwerem, zähflüssigem Gestein und darunter der Erdkern der grösstenteils aus Eisen und Nickel besteht. Von Mars wurde ein ähnlicher Aufbau angenommen. «Nun bestätigen seismische Daten unsere Ansicht, dass der Mars ein differenzierter Planet ist, der einst wohl vollständig geschmolzen war und sich in eine Kruste, einen Mantel und einen Kern unterteilt hat - mit unterschiedlicher Zusammensetzung wie in der Erde», sagt Amir Khan, Wissenschaftler am Institut für Geophysik der ETH Zürich und am Physik-Institut der Universität Zürich. Er analysierte zusammen mit ETH-Kollege Simon Stähler und einem internationalen Team Daten der NASA-Mission InSight, an der die ETH Zürich unter der Leitung von Professor Domenico Giardini beteiligt ist.
Gleich in drei Arbeiten in der Zeitschrift «Science» werden die Resultate der Forschenden heute veröffentlicht. Danach hat die Marskruste unter dem Landeplatz der Sonde in der Nähe des Marsäquators eine Dicke von 25 bis 45 Kilometer. Darunter folgt der Mantel mit der Lithosphäre aus festem Gestein. Die Lithosphäre des Mars ist viel dicker als die der Erde. Auf dem Mars reicht diese Schicht bis in eine Tiefe von 400 bis 600 Kilometern, auf der Erde nur bis maximal 250 Kilometer. Dies könnte erklären, warum es auf dem Mars keine Indizien für eine Plattentektonik gibt. Der Planet scheint aus einer einzigen Platte zu bestehen im Gegensatz zur Erde mit ihren sieben grossen Kontinentalplatten. «Die dicke Lithosphäre passt gut zu diesem Modell von Mars als ‘One-Plate-Planet’», fasst Khan zusammen.
Kern ist flüssig und grösser als erwartet
Erstmals gelang es den Forschenden zudem, die Grösse des Marskerns mithilfe seismischer Wellen abzuschätzen. Demnach beträgt der Kernradius rund 1840 Kilometer, was etwa der Hälfte des Radius des Erdkerns entspricht. Damit ist der Marskern gut 200 Kilometer grösser als man vor 15 Jahren bei der Planung der InSight-Mission vermutet hatte. «Aus dem jetzt bestimmten Radius können wir die Dichte des Kerns berechnen», erklärt Simon Stähler. Denn die Forschenden kennen die mittlere Dichte des gesamten Mars. Und die mittlere Dichte von Kruste und Mantel lässt sich aus der Untersuchung von Marsmeteoriten abschätzen. Daraus kann man berechnen, wie viel Material noch im Kern stecken muss.
«Ist der Kernradius gross, muss die Dichte des Kerns relativ niedrig sein», erklärt Simon Stähler: «Der Kern muss also neben Eisen auch einen grossen Anteil leichterer Elemente enthalten.» In Frage kommen Schwefel, aber auch Sauerstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff. Allerdings müsse deren Anteil unerwartet gross sein, so dass man die bisherigen Abschätzungen zur Zusammensetzung des Mantels nochmals neu überdenken sollte, schliessen die Forscher. Die aktuellen Untersuchungen bestätigen jedoch, dass der Kern – wie vermutet – flüssig ist, auch wenn der Mars heute über kein Magnetfeld mehr verfügt wie die Erde. Auf unserem Planeten erzeugen Strömungen im flüssigen Metall des äusseren Kerns ein dauerhaftes Magnetfeld.
Der relativ grosse Kern schliesst zudem aus, dass es auf dem Mars einen unteren Mantel gibt wie auf der Erde, wo unter dem extrem hohen Druck in mehr als 700 Kilometer Tiefe ein Mineral namens Bridgmanit entstanden ist. Dieses existiert nicht der Erdoberfläche, ist im Erdmantel insgesamt aber das häufigste Mineral. Die Messungen auf dem Mars zeigen vielmehr, dass der Marsmantel mineralogisch dem oberen Erdmantel gleicht, dessen Hauptanteil das Mineral Olivin ist. Aufgrund der seismischen Messungen auf dem Mars schliesst Khan: «Mineralogisch gesehen ist der Marsmantel eine simplere Version des Erdmantels.» Die Seismologie enthüllt aber auch Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung, was darauf hindeutet, dass Mars und Erde aus verschiedenen Bausteinen geformt wurden.
Verschiedene Wellenformen analysieren
Die neuen Resultate erzielten die Forschenden durch die Analysen verschiedener seismischen Wellen, die bei Beben entstehen. Bei einem Erdbeben wird Energie in Form von primären sowie sekundären Wellen freigesetzt, die sich vom Herd in alle Richtungen ausbreiten. So auch bei Beben auf dem Mars. Die primären P-Wellen schwingen in Ausbreitungsrichtung wie Schallwellen in der Luft. Die sekundären S-Wellen schwingen quer zur Ausbreitungsrichtung und sind langsamer als P-Wellen. Misst man an einem bestimmten Ort die Zeitdifferenz zwischen dem Eintreffen der P- und S-Wellen, so kann man daraus die Entfernung des Bebenherds zu diesem Ort errechnen.
Das Seismometer der InSight-Mission, dessen Datenerfassungs- und Steuerungselektronik in der Arbeitsgruppe von Professor Domenico Giardini an der ETH Zürich entwickelt wurde, beobachtet seit Anfang 2019 Marsbeben. Die Daten werden via NASAs Deep Space Network und zwei Zentren in den USA und Frankreich an den Marsbebendienst der ETH Zürich geschickt und dort unter Leitung von John Clinton vom Schweizerischen Erdbebendienst einer ersten Analyse unterzogen. Bisher wurden über 1000 Marsbeben aufgezeichnet. «Schon früher konnten wir bei den InSight-Daten P- und S-Wellen sehen und wussten deshalb, wie weit weg von der Sonde diese Bebenherde auf dem Mars waren», sagt Giardini, «doch lange Zeit blieben wir auf diesem Erkenntnisstand stecken.»
Stähler ergänzt: «Um etwas über die innere Struktur von Planeten sagen zu können, brauchen wir mehr als nur P- und S-Wellen: Man benötigt weitere Wellenformen.» Damit meint er Bebenwellen, die an oder unterhalb der Oberfläche oder am Kern reflektiert werden. Die Forschenden sprechen beispielsweise von PP- and PPP-Phasen, wenn die P-Welle einmal bzw. zweimal unterhalb der Oberfläche reflektiert werden. Nun gelang es den Forschern erstmals, solche Phasen auf dem Mars zu beobachten.
Wie bei Apollo 11 auf dem Mond
Die Aufgabe erwies sich als besonders kompliziert, da die Seismogramme auf dem Mars viel Echo enthalten, das typischerweise entsteht, wenn seismische Wellen flache, poröse Gesteinsschichten durchqueren. Das erschwert die Analyse von seismischen Phasen, die das tiefe Innere des Planeten durchquert haben. Ähnliches beobachtete man auch auf dem Mond, nachdem die Apollo-11-Astronauten erstmals ein Seismometer aufgestellt hatten, weswegen die Detektion des Kerns dort 40 Jahre brauchte, eine Aufgabe, die auf dem Mars nun in 2 Jahren vollbracht wurde. Erde, Mond und Mars sind die einzigen Himmelskörper, deren Inneres bisher mithilfe von Seismologie untersucht wurde. «Die auf dem Mars registrierten Beben haben eine geringe Magnitude, kleiner als 4, und wären auf der Erde aus dieser Entfernung kaum aufzuspüren, aber im Durchschnitt sind sie leicht stärker, als diejenigen, welche die Seismometer der Apollo-Missionen auf dem Mond registriert haben», sagt Stähler.
Bei ihren Beobachtungen des Mars konzentrierten sich die Forscher auf Beben, die in 1500 bis 4500 Kilometer Entfernung zur Insight-Sonde stattfanden. «Je weiter weg die Beben sind, umso tiefer ins Innere gelangen die Wellen und umso mehr können wir darüber aussagen», erklärt Khan. In seiner Arbeit über den oberen Marsmantel untersuchte er zusammen mit einem internationalen Team die seismischen Phasen, die unterhalb der Oberfläche reflektiert wurden, während Simon Stähler und weitere Kollegen an der ETH für ihre Studie die seismischen Phasen hinzufügten, die am Kern reflektiert werden, um noch tiefer ins Marsinnere schauen zu können. Auch an der dritten, jetzt publizierten Arbeit über die Marskruste waren die ETH-Forscher beteiligt.
«Wir bestimmen die Geschwindigkeit der Bebenwellen als Funktion der Tiefe», erklärt Khan. Denn kennt man die Wellengeschwindigkeit der beobachteten Phasen in verschiedenen Tiefen, ermöglicht dies wiederum Aussagen über die chemische Zusammensetzung und die Temperatur im inneren des Planeten zu machen. Ändert sich die Wellengeschwindigkeit plötzlich, entspricht diese Diskontinuität typischerweise einem Übergang zu einer anderen chemischen Zusammensetzung. Eine derartige Diskontinuität zeigt sich bei den Übergängen zwischen Kruste und Mantel sowie zwischen Mantel und Kern. Nun suchen die Forscher mithilfe der Seismologie auf dem Mars nach weiteren Diskontinuitäten tief im Mantel und nach einem inneren Kern, wie er auf der Erde existiert. «Die neuen Erkenntnisse über das Marsinnere werden uns helfen, mehr über die Entstehung und Entwicklung des Planeten zu erfahren», schliesst Khan.
Literaturhinweis
Khan A et al.: Upper mantle structure of Mars from InSight seismic data. Science, 373, (6553) p. 434-438. doi: externe Seite 10.1126/science.abf2966
Stähler S et al.: Seismic detection of the Martian core. Science, 373, (6553) p. 443-448. doi: externe Seite 10.1126/science.abi7730
Knapmeyer-Endrun B et al.: Thickness and structure of the Martian crust from InSight seismic data. Science, 373, (6553) p. 438-443. doi: externe Seite 10.1126/science.abf8966