Der Kongo-Tropenwald ist einfach anders
Bisher nahm die Forschung an, dass das riesige Waldgebiet des Kongobeckens wie andere Tropenwälder auch grosse Mengen Lachgas freisetzt und Methan bindet. ETH-Forschende zeigen nun, dass es sich anders verhält: Methan kommt frei, die Lachgas-Emissionen sind kleiner als gedacht.
Das Kongobecken ist das zweitgrösste zusammenhängende Tropenwaldgebiet der Erde. Obwohl es dermassen riesig ist und im weltweiten Klimasystem eine grosse Rolle spielt, gibt es keine empirisch erhobenen Daten über den Gasaustausch des Waldes mit der Atmosphäre. Vor allem was die Treibhausgase Lachgas und Methan angeht, tappt die Forschung nach wie vor im Dunkeln.
Denn von anderen Tropenwäldern ist bekannt, dass sie eine grosse Lachgas-Quelle und eine Senke für Methan sind. Weil vergleichbare Daten für den Kongo fehlen, wurde bis anhin nur modelliert, wie es sich mit diesen Treibhausgasen dort verhält. Die für die Modelle verwendeten Daten stammen allerdings aus dem Amazonas, aus Indonesien und dem tropischen Teil Australiens, und die Wissenschaft ging bisher davon aus, dass sich das Kongobecken analog zu den übrigen Tropenwäldern verhält.
Weisser Fleck getilgt
Nun hat ein internationales Forschungsteam um ETH-Professor Johan Six diesen weissen Fleck verkleinert. In einer mehrjährigen, aufwändigen und schwierig durchzuführenden Messkampagne haben die Wissenschaftler erhoben, wie viel Methan und Lachgas der Tropenwald des Kongobeckens absorbiert oder freisetzt. Ihre Studie – eine der ersten, die es zu diesem Thema in dem Teil der Welt gibt – ist soeben in externe Seite Nature Communications erschienen.
Zwischen 2016 und 2020 haben die Forschenden an mehreren Orten in drei verschiedenen Waldtypen des Kongobeckens die Gasflüsse gemessen. Zu den untersuchten Waldtypen zählen der Berg- und der Tieflandtropenwald sowie periodisch überschwemmter Sumpfwald.
Abweichende Gasflüsse
Dabei zeigt sich erstmals, dass die Gasflüsse der Tropenwälder des Kongobeckens von denjenigen anderer Tropenregionen der Erde abweichen. So sind die Lachgasemissionen aus dem Wald vergleichsweise gering. «Das war unerwartet», sagt der Studienerstautor Matti Barthel, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Six. «Unsere Messungen sowohl aus den ersten kurzen Messkampagnen als auch aus den nachfolgenden langfristigen Untersuchungen konnten die Modellannahmen nicht bestätigen», betont er.
Anders sieht die Situation beim Methan aus. Laut den Modellen müsste das Kongobecken eine Methansenke sein. Für die Berg- und Tieflandregenwälder konnten die ETH-Forschenden dies auch bestätigen. Weil aber die viel kleineren Sumpfwälder des Kongobeckens periodisch enorme Mengen an diesem Treibhausgas ausgasen, scheint der kongolesische Tropenwald als Ganzes betrachtet eine Methanquelle zu sein. Während der Regenzeit geben die Sumpfwälder bis zu 1500mal mehr Methan ab als zur Trockenzeit und machen damit die Senkenleistung der zwei anderen Waldtypen zunichte.
Um zu verstehen, weshalb sich der Wald des Kongobeckens in Bezug auf diese Klimagase anders verhält, haben die Forschenden «in den Boden geschaut», wie Six sagt. Einerseits haben sie Mikroorganismen und deren Funktionen untersucht, andererseits die Isotopen-Zusammensetzung des Stickstoffs von Lachgas. Beide Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass Bodenmikroben einen Grossteil des Lachgases zu gasförmigem Stickstoff (N2) umbauen, um dadurch Energie für ihren Stoffwechsel zu gewinnen. Dadurch wird der Atmosphäre dieses potente Treibhausgas entzogen. Stickstoff selbst ist harmlos – 80 Prozent der Atmosphäre bestehen daraus.
Forschen unter anderen Bedingungen
Für diese Studie haben die ETH-Forschenden zum ersten Mal überhaupt Gasmessungen im Kongobecken durchgeführt. «Afrika ist bei solchen Klimagasmessungen untervertreten und das Kongobecken ist besonders schlecht erforscht», sagt Barthel. Für dieses Gebiet gebe es seines Wissens nur eine Studie von 1963, von belgischen Forschenden. Nach der Machtübernahme durch Mobutu brach in Zaïre, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, nicht nur die Forschung fast komplett ein. Das riesige Land am Äquator ist nach wie vor ziemlich schlecht zugänglich. Die Infrastruktur liegt fast am Boden.
Die Vorarbeiten für diese Studie begann ETH-Professor Johan Six im Jahr 2008/09. Er nahm an zwei Expeditionen auf den Kongofluss teil. Aufgrund der Resultate dieser Forschungsfahrten setzte er Matti Barthel darauf an, den Gasfluss aus dem Tropenwald – ein fehlendes Teilchen im Puzzle des weltweiten Kohlenstoffkreislaufs – zu untersuchen. Barthel führte 2016 im Rahmen einer Erkundungsexpedition erste Messungen, die einen Zeitraum von zwei Monaten abdeckten, durch. Diese Mission führte ihn in die Kivu-Region, im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Die Datenanalysen zeigten ihm, dass aus dem Bergwald überraschend wenig Lachgas in die Atmosphäre entweichen.
Erstmals Dauerbeobachtungen durchgeführt
In den Folgejahren richtete Barthel zusammen mit lokalen Wissenschaftlern zwei Dauerbeobachtungsstationen ein, eine in der Region um Kisangani, die andere im Kahuzi-Biéga-Nationalpark, Ost-Kongo. Dort wurde dann der Gasaustausch zwischen Atmosphäre und Boden einmal pro Woche für die Dauer von mindestens einem Jahr gemessen, um mögliche saisonale Schwankungen zu erkennen.
Von 2019 bis 2020 betrieben die Forscher eine zusätzliche Messstation im Westen des Landes, in den Sumpfwäldern der sogenannten Cuvette Centrale. «Dort waren die Methanemissionen zeitweise exorbitant», sagt Matti Barthel. Diese Sumpfwälder nehmen nur ungefähr sieben Prozent der gesamten Tropenwaldfläche im Kongobecken ein, geben aber dermassen viel Methan ab, dass es die Negativemissionen des restlichen Waldes mehr als kompensiert, so der Forscher.
«Auf der Erkundungstour wurde uns rasch klar, dass wir keine Hightech-Messgeräte einsetzen können», erzählt Barthel. Die allgemeine Versorgungslage sei zu schlecht. Es gebe keine Ersatzteile für den Fall, das etwas kaputt gehe. Auch die Stromversorgung sei nicht stabil. «So haben wir möglichst einfach zu bedienende, zuverlässige und robuste Geräte eingesetzt, die mit Batterien betrieben werden können.»
Keine Probe ging verloren
Die Messstationen betreut haben Forschende von lokalen Universitäten. Die Mitarbeitenden vor Ort nahmen zudem auch Gasproben, befüllten Röhrchen mit Gas und schickten diese nach Zürich zur Laboranalyse. Von den über 6500 Proben ging auf dem Transport keine einzige kaputt oder verloren. «Das ist fast ein Wunder, denn oft sahen die Kartonschachteln, in denen die Röhrchen auf die Reise geschickt wurden, nicht mehr frisch aus», schmunzelt der ETH-Forscher.
Trotz aller Schwierigkeiten und Unabwägbarkeiten wird Six’ Gruppe die aufregende und dringend nötige Forschung im Kongobecken weiterführen. Six selbst wird im Sommer 2022 und Winter 2023 auf zwei Expeditionen zusammen mit belgischen Kollegen und Jordon Hemingway vom Departement Erdwissenschaften der ETH im Rahmen des SNF Sinergia-Programms den Kohlenstoffkreislauf des Kasaï-Flusses im Kongobecken untersuchen. Auch Matti Barthel, der den Kongo nun sechs Mal bereist hat, wird wieder mit von der Partie sein. Besonders interessiert sind die Forscher daran, wie sich Kohlenstoff verhält, der aufgrund der Bodenerosion und Überflutungen ins Flusssystem und in Auengebiete eingetragen wird.
Literaturhinweis
Barthel M, Bauters M, Baumgartner S, et al. Low N2O and variable CH4 fluxes from tropical forest soils of the Congo Basin. Nat Commun 13, 330 (2022). DOI: externe Seite 10.1038/s41467-022-27978-6