Mit Tempo 120 durch den Regenwald

Im Kongobecken ist Forstwirtschaft zwar der Hauptgrund für Strassenbau, doch nicht alle Strassen führen zu Urwaldrodung. Entscheidend ist, wie sie genutzt werden, schreibt Fritz Kleinschroth.

Fritz Kelinschroth

Die Vielfalt an Schmetterlingen, die am Kühlergrill des Holzfällertrucks kleben, steht symbolisch für den komplexen Konflikt zwischen ökonomischer Entwicklung und Naturschutz im kongolesischen Regenwald. Hier, im Norden der Republik Kongo, werden gerade bestehende Forststrassen zu einem Teilstück des «Transafrikanischen Autobahnnetzes» ausgebaut. Die neue Strasse wird als erste Süd-Nord-Verbindung direkt durch ursprünglichen Regenwald führen. Der Fahrer des Holzfällertrucks, dem ich 2017 auf einer Forschungsreise begegnete, war jedenfalls begeistert von der guten Qualität der Fahrbahn, die es ihm nun erlaubt, mit 120 km/h durch den Dschungel zu rasen.

Insekten kleben am Kühlergrill eines Fahrzeugs.
Im Urwald sind die Insekten noch zahlreich – und verfangen sich am Kühlergrill von Fahrzeugen. Republik Kongo, 2017. (Bild: Fritz Kleinschroth / ETH Zürich)

Wegbereiter der Urwaldrodung

Der Regenwald im Kongobecken war lange vor allem für seine Unzugänglichkeit berühmt – und für die zahlreichen Gorilla- und Schimpansen-Populationen, die ihn bewohnen. Seit bekannt ist, dass weite Teile des Waldes längst durch Strassen erschlossen sind, mehren sich die Befürchtungen, dass sich im zweitgrössten tropischen Waldgebiet der Welt bald das wiederholt, was im grössten, dem Amazonasgebiet, schon längst traurige Realität ist: Abholzung, die sich entlang von Strassen immer tiefer in den Wald frisst.

Als Landschaftsplaner und Ökologe beschäftige ich mich mit dem Einfluss des Menschen auf Ökosysteme und Biodiversität. In einem gerade in der in der Zeitschrift Nature Sustainability erschienenen Artikel1 gehen wir der Frage nach, wie sich das Strassennetz im Kongobecken in den letzten 15 Jahren verändert hat. Wo sind neue Strassen entstanden? Wie viele wurden bereits wieder verlassen und vom Wald zurückerobert? Und welche der verschiedenen Strassentypen ziehen effektiv Entwaldung nach sich?

Strassenatlas mit zeitlicher Dimension 

Holztransporter auf einer (temporären) Forststrasse, Republik Kongo, 2017
Holztransporter auf einer (temporären) Forststrasse, Republik Kongo, 2017. (Bild: Fritz Kleinschroth / ETH Zürich)

Anhand detaillierter Karten, erstellt zu verschiedenen Zeitpunkten auf der Basis von Landsat-Satellitenbildern, dokumentierten wir die Evolution sämtlicher Strassen auf einer Fläche von fast zwei Millionen km2 Regenwald. Das Gesamtnetz verlängerte sich deutlich: von 2003 bis 2018 um 60 Prozent auf rund 230 000 km. Innerhalb der zahlreichen staatlich vergebenen Konzessionen zum Holzschlag verdoppelte sich die Länge der Strassen sogar von 50 000 auf 100 000 km. Zum Vergleich: Das gesamte Schweizer Strassennetz ist 72 000 km lang.2

Selektive Abholzung ist klar der wichtigste Grund für neuen Strassenbau. Überraschenderweise zeigt unsere Analyse aber auch, dass 44 Prozent der Strassen innerhalb von Holzkonzessionen bis 2018 wieder verlassen wurden und nicht mehr auf den Satellitenbildern zu erkennen sind. Solche nicht mehr genutzten Transportwege werden innerhalb kurzer Zeit wieder vom Wald überwachsen.3 Sie weisen entsprechend nur sehr geringe Spuren von Abholzung in der Umgebung auf – ganz im Gegensatz zu vielen Strassen, die permanent zugänglich bleiben.

Nachhaltige Urwaldnutzung ist möglich

Geschlossene Holzfällerstrasse.
Geschlossene Holzfällerstrasse. (Bild: Fritz Kleinschroth / ETH Zürich)

Geregelte Forstwirtschaft in tropischen Wäldern ist nicht gleichzusetzen mit Abholzung. Im Gegenteil, in waldreichen Staaten kann die Nutzung von Tropenholz eine wichtige Einkommensalternative zu anderen Landnutzungen sein, die direkt mit Wäldern konkurrieren, wie etwa der grossflächige Anbau von Soja oder Palmöl. Tropische Forstwirtschaft ist typischerweise gekennzeichnet durch die selektive Entnahme weniger Bäume, oft nur ein bis zwei pro Hektar. Innerhalb geregelter Konzessionen nutzen verantwortungsvolle Holzfirmen jedes Jahr nur eine kleine Teilfläche, die dann für etwa 30 Jahre wieder sich selbst überlassen wird. Auch die Strassen, die zum Transport der Bäume notwendig sind, bleiben oft nur für diese kurze Zeit zugänglich, bevor die Unternehmen sie wieder schliessen.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass selektiver Holzeinschlag und temporäre Strassen eine langfristig intakte Waldbedeckung gewährleisten können. Andere Studien4 im Kongobecken weisen darauf hin, dass Tierarten wie Gorillas und Schimpansen mit Strassen und selektiver Waldnutzung existieren können, solange die Holzkonzessionen effektiv gegen Wilderei vorgehen.

Strasse ist nicht gleich Strasse

Problematisch wird es dann, wenn Forststrassen in permanent öffentliche Strassen umgewandelt werden. Für Regierungen kann das sehr attraktiv sein, da sich die Baukosten in Grenzen halten. Neue Strassen ermöglichen es zudem, Bodenschätze und Handelswege zu erschliessen. Einmal öffentlich zugänglich, begünstigen sie länger währende Folgenutzungen, Siedlungen und kommerzielle Jagd – mit schwerwiegenderen Folgen für das Waldökosystem.

«Nicht die Strassen an sich sind das Problem sind, sondern die Art wie sie genutzt werden.»Fritz Kleinschroth

Die jährlichen Entwaldungsraten im Umfeld von Strassen stiegen im Laufe unserer Studie deutlich an und waren für alte öffentliche Strassen ausserhalb von Holzkonzessionen am höchsten.

Planungsbasis für den Schutz des Regenwaldes

Öffentliche, neu geteerte Strasse, Republik Kongo, 2017.
Öffentliche, neu geteerte Strasse, Republik Kongo, 2017. (Bild: Fritz Kleinschroth / ETH Zürich)

Nichtsdestotrotz stelle ich für das Kongobecken insgesamt fest, dass nicht die Strassen an sich das Problem sind, sondern die Art wie sie genutzt werden. Die ortsgenaue Kenntnis, wo sich welcher Typ Strasse befindet, ist damit eine wichtige Grundlage für Naturschutz und nachhaltige Waldnutzung im Kongo-Regenwald.

Viele Afrikanische Staaten wünschen sich besser ausgebaute Strassennetze für Handel, Transport und Ressourcennutzung. Pauschale Naturschutzargumente gegen jeglichen Strassenbau in tropischen Wäldern sind in den allermeisten Fällen völlig unrealistisch und nicht zielführend.

Die historische Perspektive auf die Dynamik des Strassennetzes erleichtert meiner Ansicht nach eine nachhaltige Infrastrukturplanung für die Zukunft: Nicht alle Strassen sind ökonomisch sinnvoll, manche sind gänzlich vermeidbar und bei anderen liessen sich die ökologischen Folgeschäden erheblich reduzieren, wenn sie lediglich temporär zugänglich wären.

Die Entscheidungsträger sind jedenfalls gefordert, den wirtschaftlichen Nutzen und die Umweltkosten der verschiedenen Strassentypen im zweitgrössten Regenwald der Welt sorgfältig abzuwägen.

Referenzen

1 Fritz Kleinschroth et al. Nature Sustainability (2019): externe SeiteRoad expansion and persistence in forests of the Congo Basin. DOI: 10.1038/s41893-019-0310-6

2 Trading Economics: externe SeiteStrassennetz Schweiz (in Englisch)

3 Fritz Kleinschroth et al. Journal of Applied Ecology (2016): externe SeiteHow persistent are the impacts of logging roads on Central African forest vegetation?

4 David Morgan et al. Biological Conservation (2018): externe SeiteAfrican apes coexisting with logging.

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