Flexible Führungskräfte für die Schweizer Armee
Kognitiv flexible Führungskräfte erbringen bessere Leistungen. Dies zeigen ETH-Forschende in zahlreichen Studien. Die Schweizer Armee will dieses Wissen für die Ausbildung von Offizier:innen nutzen, damit diese für künftige Krisen gerüstet sind.
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Seit sieben Monaten verteidigen sich die ukrainischen Streitkräfte erfolgreich gegen einen übermächtigen Gegner. Neben westlichen Waffen sehen Militärexperten dafür unter anderem einen Grund: Die Flexibilität der ukrainischen Armee. Sie schafft es immer wieder, schnell und kreativ auf neue Situationen zu reagieren und so die behäbig wirkenden Truppen Russlands zu überraschen.
Dies erfordert Führungskräfte, die ein hohes Mass an kognitiver Flexibilität mitbringen und richtig einschätzen können, wann ein Problem neue Lösungen erfordert oder durch die Umsetzung bereits bekannter Abläufe schnell behoben werden kann.
Kriegseinsätze wie in der Ukraine kennt die Schweizer Armee zum Glück nicht. Dennoch hat sie die Bedeutung dieser Fähigkeit erkannt und will sie in Zukunft stärker gewichten. Denn bis anhin wurde kognitive Flexibilität im Gegensatz zu anderen mentalen Fähigkeiten weder in der Auswahl noch in der Ausbildung von Offizier:innen explizit berücksichtigt. Wie bei anderen Friedensarmeen, die keine Kampfeinsätze leisten müssen, liegt der Fokus eher auf der ordnungsgemässen Umsetzung bestehender Vorschriften und Methoden.
Eine neue Zusammenarbeit zwischen der Forschungsgruppe für Technologie- und Innovationsmanagement von ETH-Professor Stefano Brusoni und der Schweizer Armee soll dies nun ändern: «Um für zukünftige Krisen gerüstet zu sein, wollen wir mit Hilfe der ETH Zürich in der Ausbildung und Rekrutierung von Offizier:innen einen stärkeren Fokus auf kognitive Flexibilität legen», erklärt Militärpsychologe Hubert Annen von der Militärakademie an der ETH Zürich, der das Projekt für die Schweizer Armee leitet. Dadurch soll der Wandel hin zu einer innovativeren und anpassungsfähigeren Armee unterstützt werden.
Zwischen Umsetzung und kreativem Hinterfragen
Führungskräfte sind Gewohnheitstiere, wie alle anderen Menschen auch. Sie neigen dazu, bekannte Vorgehensweisen zu wiederholen. Dies geht so lange gut, bis sie auf unvorhergesehene Situationen stossen, die neue Lösungsansätze erfordern. Was sich in der Vergangenheit bewährt hat, ist plötzlich keine gute Orientierung mehr für die Gegenwart.
«In diesen Situationen ist kognitive Flexibilität gefragt», erklärt Daniella Laureiro-Martínez. Gemeinsam mit ETH-Professor Brusoni beschäftigt sich die Forscherin seit über 14 Jahren mit der geistigen Anpassungsfähigkeit von Führungskräften. «Kognitive Flexibilität ist die Fähigkeit, das eigene Denken und Handeln an eine sich wandelnde Umwelt anzupassen», so Laureiro-Martínez. Ohne diese Fähigkeit sind Organisationen nicht in der Lage sich zu verändern und neigen zur Trägheit.
In zahlreichen Laborexperimenten mit Führungskräften aus der Wirtschaft konnte die Forscherin zeigen, dass Menschen mit hoher kognitiver Flexibilität bei zahlreichen standardisierten Tests besser abschneiden. «Flexiblere Manager:innen erbringen bessere Leistungen, da sie schnell und situationsgerecht zwischen einem analysierenden, aber langsamen und einem umsetzenden und dafür schnellen Entscheidungsmodus wechseln» so die Forscherin. Mittels fMRI-Scans und anderen Methoden konnte sie sogar nachweisen, welche Gehirnregionen für das effiziente Wechseln zwischen diesen beiden Entscheidungsmodi verantwortlich sind.
«Wer in der Armee lernt, flexibel und situationsgerecht auf Probleme zu reagieren, profitiert auch in seinem zivilen Beruf davon.»Hubert Annen
Führungskräfte mit hoher kognitiver Flexibilität erkennen intuitiv, wann ein Problem klar strukturiert ist und durch die Anwendung standardisierter Vorgehensweisen schnell gelöst werden kann, und wann es notwendig ist, das Problem genauer zu analysieren, um neue Lösungen zu erarbeiten. «Effizientes Problemlösen braucht eine situationsgerechte Balance zwischen der Umsetzung von Routinen und der kreativen Suche nach neuen Wegen», so Laureiro-Martínez. Wer ständig nach neuen Wegen sucht, obwohl das nicht notwendig ist, verschwendet viel Zeit und Energie. Wer allerdings bei neuen Problemen zu schnell nach alten Lösungen greift, läuft Gefahr, schlechte Entscheidungen zu treffen.
Kognitive Flexibilität führt zu besseren militärischen Leistungen
Doch treffen die Erkenntnisse über Manager:innen, die Laureiro-Martínez und Brusoni in zahlreichen Studien belegt haben, auch auf militärische Führungskräfte zu? Und welche neurokognitiven Fähigkeiten sind wichtig, um kognitive Flexibilität zu trainieren? Diesen Fragen widmete sich ein Experiment, das Jan Richner, Doktorand an der Professur für Technologie- und Innovationsmanagement und Initiator der Zusammenarbeit, mit über 200 Offizieranwärtern der Schweizer Armee durchführte.
Richner, der selbst Milizoffizier ist, liess die angehenden Offizierinnen und Offiziere eine Reihe von standardisierten Entscheidungstests absolvieren, in denen sie auch ihre kognitive Flexibilität unter Beweis stellen mussten. Dabei fand er heraus, dass flexiblere Kader bessere Testresultate erzielten. Was für Manager:innen gilt, scheint sich auch bei militärischen Führungskräften zu bewahrheiten.
Doch damit nicht genug: Richner untersuchte in einem zweiten Schritt, ob sich kognitive Flexibilität auch auf die militärischen Leistungen ausserhalb des Labors auswirkte. Die Ergebnisse überraschten in ihrer Deutlichkeit selbst den ETH-Forscher: Flexiblere Offizier:innen wurden von ihren Vorgesetzten nicht nur besser bewertet. Statistische Analysen ergaben ausserdem, dass kognitive Flexibilität einer der wichtigsten Faktoren für die militärische Gesamtleistung von Offiziersanwärter:innen ist, wichtiger als zum Beispiel deren Auftreten, Teamfähigkeit oder emotionale Stabilität.
Der ETH-Doktorand konnte ausserdem zeigen, dass Offiziersanwärter:innen, die im Labor ein hohes Mass an kognitiver Flexibilität aufweisen, eine Reihe von weiteren Eigenschaften mitbringen. Dazu gehören die Fähigkeit, sich über längere Zeiträume zu konzentrieren, sowie die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen, zu integrieren und abzurufen. Auch das Erkennen von relevanten Veränderungen in der Umwelt und das Unterdrücken von bekannten Denk- und Handlungsweisen, um den Weg frei für neue Ideen zu machen, wirken sich positiv auf die Flexibilität der Kandidat:innen aus.
Ein Trainingsprogramm für Schweizer Offizier:innen
Die Armee will die Erkenntnisse der ETH-Forschenden nun in der Rekrutierung von Offizieren berücksichtigen. «Wir wollen in Zukunft die kognitive Flexibilität von Offiziersanwärter:innen in unseren Assessment-Centers abfragen», erklärt Militärpsychologe Annen.
Doch dabei soll es nicht bleiben. Kognitive Flexibilität soll zu einem fixen Bestandteil der Ausbildung und Beurteilung von Kadern der Schweizer Armee werden. Geplant sind Trainingseinheiten im Theoriesaal und im Feld, welche die Anpassungsfähigkeit zukünftiger Kader verbessern sollen. Wie genau dieses Trainingsprogramm aussieht, wird aktuell von Richner, Annen und Dominik Belser, dem Kommandanten der Offiziersschule Panzer und Artillerie in Thun definiert. Erste Pilotversuche beginnen diesen Herbst.
Die Armee erhofft sich von der Zusammenarbeit mit der ETH Zürich, dass dadurch auch die Offizierslaufbahn an Attraktivität gewinnt. «Wer in der Armee lernt, flexibel und situationsgerecht auf Probleme zu reagieren, profitiert auch in seinem zivilen Beruf davon», erklärt Annen. Für die ETH-Forschenden hat die Zusammenarbeit unter anderem das Ziel, die Erkenntnisse in eigene Weiterbildungsprogramme wie den Executive MBA ETH Zurich and University of St. Gallen einfliessen zu lassen.
Literaturhinweis
Laureiro-Martínez D., Brusoni S: Cognitive flexibility and adaptive decision-making: Evidence from a laboratory study of expert decision makers. Strategic Management Journal, 2018 / 39, 1031 – 1058, doi: externe Seite 10.1002/smj.2774
Laureiro-Martínez D., Brusoni S, Canessa N., Zollo M: Understanding the exploration–exploitation dilemma: An fMRI study of attention control and decision-making performance. Strategic Management Journal, 2015 / 36, 319 – 338, doi: externe Seite 10.1002/smj.2221