Die stoische Elektropionierin

Wera Hotz Kowner studierte als erste Frau an der ETH Zürich Elektrotechnik. Statt sich über das despektierliche Verhalten mancher Professoren zu ärgern, bereitete sie sich auf ihre neue Aufgabe als Geschäftsführerin des Familienunternehmens vor.

Wera Hotz Kowner
Die erste Elektroingenieurin der ETH Zürich: Wera Hotz Kowner (Bild: Annick Ramp)

Wera Hotz Kowner empfängt am früheren Hauptsitz der Jakob Kowner AG in der Innenstadt von Zürich zum Gespräch. Ihr Vater hat das Elektrounternehmen 1913 gegründet und hier, an der Oberdorfstrasse, den Hauptsitz eingerichtet. Wera Hotz Kowner leitete das Familienunternehmen später über 40 Jahre. Die 83-jährige Ingenieurin hat an diesem Ort ein kleines Büro beibehalten, in das sie gelegentlich zurückkehrt, «um am Ball zu bleiben». Die Neugier am Leben steht ihr ins Gesicht geschrieben; ihre graublauen Augen fixieren das Gegenüber aufmerksam. Erst vor vier Jahren übergab sie die Leitung der 60-köpfigen Firma ihrer Tochter Regula. Von «Ruhestand» kann aber trotzdem keine Rede sein.

Die Schweiz elektrifiziert

Als Jakob Kowner 1913 in Zürich seine Firma gründete, war die Elektrifizierung der Schweiz in vollem Gang. Er verkabelte nicht nur einzelne Gebäude, sondern schloss ganze Dörfer ans Stromnetz an. Für ihn stand früh fest, dass Tochter Wera einst den Familienbetrieb übernehmen soll, nachdem sie am Freien Gymnasium in Zürich in Mathematik und Physik brillierte. Subtil legte der Vater seiner Tochter nahe, sich an der ETH für ein Elektrotechnikstudium einzuschreiben. Die Berufsberatung fand hingegen, das Polytechnikum sei nichts für Frauen. Trotz Widerständen begann sie 1958 das ETH-Studium in Elektrotechnik – als erste Frau überhaupt.

Natürlich sei sie aufgefallen, erinnert sich Hotz Kowner. «Wenn ich mal zu spät kam, dann war das ein Ereignis und meine Mitstudenten haben mit den Füssen gestampft.» Manche Professoren hätten damals noch keinen Platz für Frauen im Ingenieurwesen gesehen. «Einer gab mir zur Aufgabe, einen Kinderwagen zu konstruieren, ein anderer wollte, dass ich die Wärmeströme einer Herdplatte analysiere.» Sie erzählt das ohne Verbitterung und Groll. «Ich sah darüber hinweg und konzentrierte mich auf das Studium – und auf die mir wohlgesinnten Kommilitonen und Assistenten.» Trotz Schikanen erinnert sie sich gerne an die Studienjahre: der Austausch mit Kollegen aus allen Ecken der Schweiz, aus Norwegen und Frankreich. «Einer kam aus Brasilien und bot mir an, eine Schlangensuppe für mich zu kochen. Natürlich habe ich zugesagt; ich war neugierig und wollte alles ausprobieren», erzählt sie. Andere Mitstudierende nahmen sie mit zum Sport und auf den Zürichsee zum Wasserskifahren. Dem Akademischen Sportverein Zürich (ASVZ) ist sie bis heute treu geblieben. Mit Pilates hätte sie vor Kurzem aufgehört; «zu langweilig». Nun habe sie mit Muscle Pump begonnen, erzählt sie und muss dabei selbst ein wenig lachen.

Von der ETH nach New York

Bestandteil des Elektrotechnikstudiums war ein halbjähriges Pflichtpraktikum bei Brown, Boveri & Cie (BBC, heute ABB). Dort war sie die erste Praktikantin. «Die Männer wussten nicht so recht, was mit mir anfangen. Sie haben mich dann in die Feinmechanik-Werkstatt geschickt und mir zum Schutz meiner Finger weisse Stoffhandschuhe gebracht.» Daraufhin tauchte Hotz Kowner im Arbeiterübergewand auf, das der Vater ihr besorgt hatte. Darin pendelte sie fortan nach Baden und bewies ihren Kollegen bei der BBC, dass sich auch eine Frau die Finger schmutzig machen kann.

«Frauen sind kommunikativ, flexibel und belastbar. Wir brauchen sie unbedingt im Arbeitsleben und besonders in technischen Berufen.»
Wera Hotz Kowner

Nach Studienabschluss zog es die frischgebackene Ingenieurin in die weite Welt. Bekannte der Familie lebten in New York. Sie reiste hin und fand auf Anhieb eine Stelle in einem Planungsbüro. Dort arbeitete sie unter anderem an der Elektrifizierung des berühmten Lincoln Center mit. Mit zwei amerikanischen Lehrerinnen lebte sie in einer WG an der 5th Avenue, der berühmten Einkaufsstrasse entlang des Central Parks inmitten von Manhattan. Die Wohnung sei laut, staubig und dreckig gewesen, erinnert sie sich. Ausserdem hätten ihre Mitbewohnerinnen praktisch nur Hamburger gegessen. «Wenn sie weg waren, dann kochte ich mir manchmal Milchreis mit Apfelschnitzen.»

Hotz Kowner besuchte oft Musicals am Broadway und reiste mit dem Greyhound-Bus nach Florida und Kalifornien. Nach zwei Jahren wollte ihr amerikanischer Arbeitgeber eine Greencard für sie beantragen. «Ich konnte mir damals vorstellen, länger zu bleiben.» Doch der Entscheid fiel in eine Zeit, als es dem Vater in Zürich gesundheitlich zunehmend schlechter ging. Sie entschied sich, zu ihrer Familie zurückzukehren – mit dem Schiff über Rotterdam. Als der Vater vier Jahre später starb, musste die Tochter auf einen Schlag ein Unternehmen mit 120 Mitarbeitenden führen, darunter viele Techniker und Installateure. «Ich wusste zwar wie planen, hatte aber keine Ahnung von der Arbeit auf der Baustelle.» Die Installateure verlangten nach straffer Führung und vertrauten der neuen Chefin zu Beginn nicht. Dies fiel zusammen mit einem Bauboom und einer Flut von Aufträgen. Das Unternehmen wuchs in kurzer Zeit auf über 200 Mitarbeitende und eröffnete weitere Büros in Erlenbach ZH, Freienbach, Regensdorf und Glattbrugg. «Eine anstrengende Zeit», resümiert sie. «In Retrospektive hätte ich mich wohl besser auf die Akquise von neuen Aufträgen konzentriert und einen Geschäftsführer angestellt.» Doch damals habe sie gemeint, alles selbst erledigen zu müssen.

Für mehr Frauen in MINT-Berufen

Im selben Zeitabschnitt wurde Hotz Kowner sechsfache Mutter. Deswegen zu Hause zu bleiben, kam für sie aber nie infrage. «Ich bin bis heute überzeugt, dass Frauen auch nach der Geburt im Berufsleben bleiben sollten. Eine Karriere verträgt keine Lücken.» Dafür brauche es aber einen Mann, der mitmache und wenn nötig auch mal die Töchter zum Stillen in eine Sitzung bringe, so wie das bei ihr der Fall gewesen sei. Für die Kinderbetreuung holte sie sich Unterstützung bei Kindermädchen. «Frauen sind kommunikativ, flexibel und belastbar», sagt Hotz Kowner. «Wir brauchen sie unbedingt im Arbeitsleben und besonders in technischen Berufen.» Beim Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA) und der Schweizerischen Akademie der Technische Wissenschaften (SATW) hat sie sich in eigenen Interessengruppen jahrelang für mehr Frauen in MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) eingesetzt und hielt Vorträge an Gymnasien und Unternehmen zur Rolle von Frauen in Führungspositionen. «Die Situation hat sich zwar verbessert, aber sie ist nach wie vor schwierig.» Frauen für eine Lehre als Elektrotechnikerin zu finden, sei zum Beispiel bis heute eine Herausforderung.

Hotz Kowner nährt ihr Interesse an Technik bis heute aktiv. Sie geht an Vorträge der Technischen Gesellschaft Zürich, an Treffen der Schweizerischen Management Gesellschaft und bleibt auch dem SIA verbunden, für den sie jahrelang als Revisorin tätig war. Heute ist die umtriebige Ex-Geschäftsführerin aber noch anderweitig gefordert: Sie hat mittlerweile 14 Enkelkinder. Nach dem Gespräch am alten Hauptsitz der Jakob Kowner AG wird sie in den Zug springen und in die Ferienwohnung nach Zuoz fahren. Dort warten bereits sechs Enkelkinder auf ihre Grossmutter – potenzieller MINT-Nachwuchs und vielleicht sogar die nächste Generation an Führungskräften für den Familienbetrieb.

Zur Person

Wera Hotz Kowner hat von 1958 bis 1963 an der ETH Zürich Elektrotechnik und Betriebswirtschaft studiert. Nach Praktika bei Brown, Boveri & Cie in Baden (heute ABB) und CEM in Paris, arbeitete sie zwei Jahre für das Ingenieurbüro Syska & Hennessy in New York. 1970 übernahm sie die Gesamtleitung der Jakob Kowner AG, die sie 2018 an ihre Tochter Regula Hotz abgab. Diese hatte zuvor an der ETH Zürich Lebensmittelwissenschaften studiert. Seit 2013 ist Wera Hotz Kowner Gönnerin der ETH Foundation, vor allem im Bereich der Exzellenz-Stipendien.

«Globe» Energie mit Zukunft

Globe 22/03 Titelblatt: Solarzelle, Wasserturbine und Ladestecker für Elektroautos

Dieser Text ist in der Ausgabe 22/03 des ETH-​​​​Magazins Globe erschienen.

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