Setzt die Schweiz ihre Klimagelder sinnvoll ein?
![Porträtfoto von Marc Kalina](/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2023/09/setzt-die-schweiz-ihre-klimagelder-sinnvoll-ein/_jcr_content/par/lead/imageBlog.imageformat.textdouble.529115719.jpg)
In einem bilateralen Klimaabkommen finanziert die Schweiz Tausende Biogasanlagen für Haushalte in Malawi. Marc Kalina hat Biogasprojekte im südlichen Afrika erforscht und erklärt, warum diese oft nicht die versprochene Wirkung erzielen.
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Biogas für Haushalte gilt seit Jahren als «Wundermittel» für die Entwicklung des ländlichen Afrikas: Kleine Biogasanlagen sind kostengünstig und erschliessen eine nachhaltige Energiequelle1, welche die Entwaldung2 vermindert, organische Abfälle3 entsorgt und die Gesundheit verbessert.
Biogas entsteht auf natürliche Weise durch Mikroorganismen, die Biomasse ohne Sauerstoff zu Methan (CH4) und CO2 vergären. Erfolgt der Abbau in einem Reaktor, kann man mit dem brennbaren Gasgemisch kochen, Licht oder Strom erzeugen und so Brennholz oder Holzkohle ersetzen. Weil das Methan – ein Treibhausgas, das rund 28-mal schädlicher ist als CO2 – dabei verbrennt und nicht in die Atmosphäre gelangt, kann Biogas auch erheblich Emissionen verringern.
Ein verlockendes Potenzial
Es erstaunt daher nicht, dass Biogas im globalen Süden zu einem Fokus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit geworden ist. Finanziert werden die beliebten Projekte etwa von der Weltbank, den Vereinten Nationen und zunehmend auch von Ländern, die ihre Klimasünden kompensieren, indem sie die Reduktion von Treibhausgasen im Ausland finanzieren. In den letzten Jahren flossen beachtliche Summen in etliche Biogasprojekte auf dem ganzen afrikanischen Kontinent.
![Ein verlassenes kleines Haus in einer brachen Landschaft](/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2023/09/setzt-die-schweiz-ihre-klimagelder-sinnvoll-ein/_jcr_content/wide_content/image/image.imageformat.1286.311071241.jpg)
Die Schweiz ist ein wichtiger Akteur auf diesem Gebiet und hat vor kurzem ein bilaterales Klimaabkommen mit Malawi signiert, gemäss dem sie unter anderem die Installation von 10’000 Biogasanlagen in malawischen Haushalten finanzieren wird.4 Damit könnte die Schweiz ihre Klimabilanz verbessern, und Malawi die Lebensqualität seiner Bevölkerung. Nur: Meiner Erfahrung nach haben Biogasprojekte in Afrika dieses Potenzial bislang nicht erreicht.
Eine Chronik des Scheiterns
Als Wissenschaftler und Projektleiter habe ich mich in den vergangenen fünf Jahren intensiv mit Biogas für Haushalte in Subsahara-Afrika befasst. So habe ich mit der Forschungsgruppe Global Health Engineering während zweier Jahre die Wirkung sämtlicher Biogas-Investitionen im Süden Malawis analysiert.
Wir fanden zwar Projekte mit positivem Ausgang, doch der überwiegende Trend war jener des Scheiterns: Ernüchterte und unengagierte Begünstigte, die passiv an ihren eigenen Interventionen teilnehmen. Viele verlassene Anlagen, die den ländlichen Haushalten zuvor «von oben» aufgezwungen wurden. Und Millionen Dollar, die ohne nennenswerten Nutzen für die Menschen oder die Umwelt verpuffen.5 Warum?
Die anaerobe Vergärung kann als biologischer Prozess temperamentvoll sein. Und afrikanischen Haushalten fehlt es oft an Wasser, Ressourcen oder schlicht an den technischen Fähigkeiten, um einen Reaktor das ganze Jahr über zu betreiben, zu warten und zu reparieren.
Im Laufe der Jahre bin ich buchstäblich über die Trümmer hunderter gescheiterter Projekte gestolpert – Relikte schlecht konzipierter Interventionen, die vom fatalen Unwillen von Gebern, Praktikern und Forschenden zeugen, sich mit schwierigen Fragen auseinanderzusetzen.5
Was Malawi jetzt braucht
Wenn wir Klimaschutzprojekte fördern, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, was bewirken wir dann – abgesehen von zufriedenen Entwicklungsberatern, die rasch zum nächsten Projekt weiterziehen? Die Schweiz mit ihrer langen humanitären Tradition sollte kein bekanntes Entwicklungsversagen fördern, nur um ihre Klimaziele zu erreichen. Dies umso mehr, als Kompensationsprojekte jüngst vermehrt in die Kritik geraten, ihren Versprechungen nicht gerecht zu werden.6, 7
«Wenn sich der Emissionshandel als bedeutende Finanzierungsquelle für Biogasprojekte etabliert, müssen wir die Resultate solcher Interventionen kritisch hinterfragen.»Marc Kalina
Malawi, eines der Länder mit den geringsten CO2-Emissionen weltweit, bekommt derweil die Klimafolgen mit aller Härte zu spüren. Im März wurde das Land von Zyklon Freddy heimgesucht: Verheerende Überschwemmungen zerstörten kritische Infrastruktur, hunderte Menschen starben, zehntausende wurden vertrieben. Bereits vor dem Sturm kam es zu Ausbrüchen von Cholera.
Was Malawi jetzt dringend braucht, ist humanitäre Hilfe und Wiederaufbau. Mit Investitionen in Haushaltsbiogas tragen wir meiner Ansicht nach kaum dazu bei, die Lage in diesem krisenversehrten Land zu verbessern.
Nicht die gleichen alten Fehler wiederholen
In einem Kommentar mit Kolleg:innen kritisieren wir die unkritische Haltung, mit der Praxis und Forschung Biogasprojekte diskutieren. Die Fachliteratur neigt dazu, nach vorne zu schauen und – mit Blick auf ein idealisiertes Potenzial – auf das Positive zu fokussieren. Sie enthält aber nur wenig Information darüber, was bei Projekten vor Ort passiert. Wir sind der Meinung, dass die Art und Weise, wie wir mit Scheitern umgehen und über Misserfolge sprechen, kritisch reflektiert werden muss. Zudem gilt es, die Rolle von Finanzierung und Geldgebern für den Projektverlauf vertieft und breit zu diskutieren.
Wenn sich der Emissionshandel als Finanzierungsquelle für Biogasprojekte etabliert, müssen wir deren Resultate kritisch hinterfragen. Klimakompensation darf nicht zur Pflichtübung verkommen, bei der Entscheidungen isoliert aus weiter Ferne erfolgen.
Vielmehr sollten sich Massnahmen an den Bedürfnissen vor Ort orientieren und von einem wissenschaftlichen Prozess begleitet werden, um die Projektumsetzung zielführend zu steuern. Ansonsten verpassen wir es, mit Klimageldern sinnvolle Veränderungen zu bewirken – und Länder wie Malawi werden weiterhin unter den Folgen unserer Emissionen leiden.
Kommentare
Ich möchte Herr Kalina nicht zu nahetreten, aber das EDA hat 2020 entschieden, dass Malawi keine Entwicklungshilfen mehr erhält. atmosfair.de hat Projekte in Malawi aber ich kenne keine CH NGO die dort ist.
Finde ich gut, dass man die Augen vor gescheiterten Projekten nicht verschliesst, diese veröffentlich und kritisch diskutiert. Auch negative Ergebnisse müssen publiziert werden. Ich durfte mich vor 11 Jahren während eines Praktikums mit dem Emissionshandel und Klimagaszertifikaten beschäftigen und meine aktuelle Meinung ist, dass es bei vielen „klimaneutralen“ Produkten um reinen Ablasshandel geht. Zu den anderen Kommentaren, die noch konkretere Alternativ-Vorschlägen verlangen oder den vorgeschlagenen Ansatz zu einfach finden: Es zeigt sich ja bereits, dass das Konzept „sich an den Bedürfnissen vor Ort zu orientieren“, einfacher gesagt als getan ist. Da braucht es keine noch komplizierteren technokratischen Lösungen sondern einfach eine ehrliche Analyse des Lebensalltags der Menschen vor Ort, eine realistische Einschätzung welches Potential wirklich in solchen Projekten steckt und den Einbezug der betroffenen Menschen als „Stakeholder“. Wenn ich mich wie ein Versuchskaninchen fühlte, dann würde meine Bereitschaft an irgendwelchen Experimenten teilzunehmen, vermutlich auch mit der Zeit schwinden. Das Bewirtschaftungsproblem sollte auch nicht überraschen, zeigt es sich doch schon bei uns im Büro- oder WG-Alltag, das ist menschliche Natur. Zynisch gesagt exportieren wir unseren Müll in die ärmsten Länder der Welt, gleichzeitig wollen wir ihnen als postindustrielle Länder zeigen, wie sauberes Kochen geht. Da schwingt auch sehr viel Arroganz mit.
Interessantes und wichtiges Thema. Allerdings fehlen mir weitergehende Ansätze. Der Satz "Was Malawi jetzt dringend braucht, ist humanitäre Hilfe und Wiederaufbau" ist mir zu wenig für ein Paper der ETH. Sieht die Forschung andere Ansätze wie Malawi geholfen werden kann mit möglichst geringem CO2 Einsatz. Mir fehlt auch ein Bezug zur aktuellen "Vision-for_clean-cooking-access-for-all" der IEA.Da müsste aus meiner Sicht noch etwas folgen...
Thank you both for your comments. I agree that the idea of projects responding to local needs and being driven by a scientific process sounds obvious-- indeed, I think that makes it even sadder that this often does not happen with climate projects, and if it does, is not transparent. I want to emphasise that the opinions here were informed by my empirical research which is partly out (see the references) or currently under review. Those works are less restricted by word counts and go much further in discussing practical ways forward. I'm looking forward to sharing that work as it comes out.
Mein Kommentar geht in die gleiche Richtung: Der Artikel sagt, was man NICHT tun soll. Das ist an und für sich auch schon eine wertvolle Aussage; NOCH wertvoller wären aber konkrete Alternativ-Vorschläge. Die Empfehlung, dass "sich Massnahmen an den Bedürfnissen vor Ort orientieren und von einem wissenschaftlichen Prozess begleitet werden" sollen, hätte ich als entwicklungspolitischer Laie auch geben können!