«Wir brauchen eine Zweiweg-Kommunikation mit den Unternehmen»
Vanessa Wood, ETH-Vizepräsidentin für Wissenstransfer und Wirtschaftsbeziehungen, will die Zusammenarbeit mit der Industrie, Verwaltungsstellen und Nonprofitorganisationenn weiter ausbauen. Mit Jeannine Pilloud hat sie für diese Aufgabe eine erfahrene Persönlichkeit an Bord geholt.
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Jedes Jahr lanciert die ETH Zürich mehr als 1000 neue Forschungskooperationen mit Industrie, Behörden, Spitälern, Non-Profit-Organisationen und anderen Institutionen in der Schweiz und im Ausland. Um den Dialog und die Interaktion mit Partnern aus dem öffentlichen und privaten Sektor zu stärken und auszubauen, bündelt Vanessa Wood, Vizepräsidentin für Wissenstransfer und Wirtschaftsbeziehungen, die Kräfte im Bereich Innovation an der Schnittstelle zur Hochschule. Die Gruppen für Forschungsverträge, Industriebeziehungen und Innovationspark Zürich werden zusammengeführt und von Jeannine Pilloud geleitet.
«Ich bin hocherfreut, dass Jeannine Pilloud zu uns stösst und diese neue Aufgabe übernimmt », sagt Vanessa Wood. «Ihre umfassende Erfahrung im öffentlichen und privaten Sektor und ihr Netzwerk sind für die ETH von grossem Wert.»
Jeannine Pilloud hat sich an der ETH bereits ein erstes Bild von ihrer künftigen Tätigkeit gemacht. Im Interview spricht sie über ihre Motivation, an der ETH eine Stelle anzutreten, und schildert ihre ersten Eindrücke.
ETH-News: Frau Pilloud, Sie blicken auf eine eindrückliche Karriere zurück. Sie waren die Leiterin Personenverkehr und Mitglied der Konzernleitung der SBB. Danach verantworteten Sie zweieinhalb Jahre als CEO die Geschicke von Ascom, und vor nicht allzu langer Zeit waren Sie auch als Präsidentin des Migros-Genossenschaftsbundes im Gespräch. Was reizt Sie an einer Verwaltungsstelle an der ETH?
Jeannine Pilloud: Das ist amüsant. Eine ähnliche Frage wurde mir bereits gestellt, als ich die SBB nach fast neun Jahren verliess. Viele konnten das nicht verstehen. Aber für mich war damals klar, dass ich das, was ich bei den SBB machen wollte, erreicht hatte. Mir waren Status oder ein hoher Lohn nie wichtig. Es ging und geht mir immer um die Inhalte. Die Stelle bei der ETH ist für mich vergleichbar mit der Arbeit einer Verwaltungsrätin, auch wenn sie zusätzlich operative Aufgaben mit sich bringt. Ich kann die Ärmel hochkrempeln und zusammen mit dem Team etwas auf die Beine stellen. Ich will definitiv nicht mehr CEO sein, das habe ich gemacht.
Und weshalb die ETH Zürich?
Die ETH ist eine Institution, die mir sehr viel bedeutet. Ich habe hier Architektur studiert und gelernt, was Kreativität bedeutet. Was immer die Herausforderung ist: Wie beschreibe ich die Aufgabe und wie setze ich sie so um, dass es funktioniert? Das nahm ich in meine Unternehmens-Karriere mit. Nun möchte ich das weitergeben, was ich in über 35 Jahren Corporate-Erfahrung mitgenommen habe.
«Wir müssen auf die Industrie zugehen und fragen, welche Erwartungen sie an die ETH hat und dann schauen, was wir leisten können.»Jeannine Pilloud
Wenn Sie die ETH mit drei Worten beschreiben müssten, was kommt Ihnen in den Sinn?
Brillant open minds. Mich hat schon im Studium die Breite des Denkens beeindruckt. Es gibt nichts, das nicht gedacht werden kann. Wenn man nach dem Studium in einem Unternehmen tätig ist, gibt es immer Gebiete, in denen es Denkverbote gibt. Das ist das Schwierigste, wenn man aus der ETH in die Arbeitswelt kommt. Das ist auch einer der Gründe, weshalb viele Leute nach einer Erfahrung in einem grossen Unternehmen den Weg zurück zu einem Start-up finden: Dort gibt es keine Denkverbote. Ich selbst hatte diesen Weg auch einmal eingeschlagen, als ich Le Shop aufbaute, den heutigen Online-Shop der Migros.
Dieser Kulturunterschied zwischen Akademie und Industrie wird Sie auch bei Ihrer neuen Aufgabe beschäftigen. Wo sehen Sie da Handlungsbedarf?
Ich habe in den vergangenen Wochen mit allen Teams diskutiert, was ansteht. Die Leute waren begeistert, dass es neuen Schwung gibt. Ich bringe die Aussensicht herein, und wir werden gemeinsam schauen, was das für die Teams bedeutet. Das macht Spass. Es löst aber auch einen gewissen Druck aus, weil wir nicht alle Ideen gleichzeitig umsetzen können. Denn das Tagesgeschäft geht weiter. Wir müssen zu Papier bringen, welche Möglichkeiten Firmen haben, mit der ETH in Kontakt zu treten. Wir müssen es aber auch schaffen, Innovationen aus der ETH schneller in die Industrie zu bringen. Da gibt es eine Art chinesische Mauer.
Was verstehen Sie darunter?
Wir sind eine Hochschule, die für Innovation steht. Doch Forschungsresultate kann man nicht bestellen. Forschung hat immer einen offenen Ausgang. Unternehmen sehen Innovation oft anders: Sie definieren die Innovation und beauftragen ein Team mit der Umsetzung. Hier entstehen Konflikte. Innovation kann man nicht in einen Mittelfristplan schreiben. Sie ist eine Ambition. Wenn ein Unternehmen in fünf Gebieten eine solche Ambition hat und es in zwei davon klappt, ist das bereits ein grosser Erfolg. Deshalb ist es wichtig, dass die Industrie versteht, dass sich Ergebnisse aus der Zusammenarbeit mit der ETH nicht «eins-zu-eins» umsetzen lassen.
Letztlich eine kommunikative Aufgabe…
Ja, Kommunikation ist ein wichtiges Stichwort. Zurzeit ist unser Ansatz im noch jungen Bereich der Vizepräsidentin für Wirtschaftsbeziehungen und Wissenstransfer eher reaktiv. Wir nehmen Anfragen aus der Industrie entgegen und leiten sie an die Professor:innen weiter. Das genügt aber nicht. Wir müssen auf die Industrie zugehen und fragen, welche Erwartungen sie an die ETH hat und dann schauen, was wir leisten können. Wir brauchen eine Zweiwegkommunikation, um unser Angebot zu entwickeln. Auf diese Aufgaben mit den Teams freue ich mich.
Jeannine Pilloud
Jeannine Pilloud studierte Germanistik, Geschichte und Publizistik an der Universität Zürich und absolvierte parallel dazu die Ringier-Journalistenschule. Im Anschluss daran schloss sie ein Architekturstudium an der ETH Zürich ab. Nach drei Jahren Tätigkeit als Architektin wechselte Pilloud die Branche und verantwortete sechs Jahre lang das IT-Projektgeschäft bei IBM Schweiz. Nach einem zweijährigen Abstecher als CIO bei der Bon-appétit-Gruppe ging sie 2003 als Senior Vice President Western Europe zur Deutschen Telekom. Von 2011 bis 2017 war Pilloud Leiterin Personenverkehr der SBB und nahm als erste Frau Einsitz in die Konzernleitung der Bundesbahnen, die sie 2019 verliess. Bereits ein Jahr zuvor übernahm sie erste Verwaltungsratsmandate. 2019 wurde Pilloud CEO des Telekommunikationsunternehmens Ascom. Seit 2022 konzentriert sie sich auf die Verwaltungsratsmandate. Im Mai 2023 wurde Jeannine Pilloud zur Präsidentin der ETH-Almuni-Vereinigung gewählt, und seit Mitte Juli ist sie im Bereich der Vizepräsidentin Wissenstransfer und Wirtschaftsbeziehungen der ETH Zürich zuständig für Partnerschaften mit der Industrie und Institutionen.