Wie ein ETH-Alumnus in Sambia Kaffee anbaut

Der ETH-Agrarwissenschaftler Fridolin Stocker arbeitete auf Schweizer Bauernhöfen, bevor er seine Faszination für Afrika entdeckte. Heute managt er eine Kaffeefarm in Sambia.

Porträtfoto von Fridolin Stocker auf seiner Plantage
ETH-Alumnus Fridolin Stocker: «Ich konnte nicht glauben, dass es in Sambia so viel ungenutztes und fruchtbares Land gibt. Und dies in einer Klimazone, in der ganzjährig Lebensmittel angebaut werden können.» (Bild: Claudio Sostizzo / ETH Zürich)

Als Fridolin Stocker an diesem Mittwochvormittag im Mai aus dem Büro seiner Kaffeefarm vom Alltag in Sambia erzählt, ist er bereits seit fünf Stunden auf den Beinen. Er hat um 5.30 Uhr gefrühstückt, online die NZZ gelesen und Nachrichten auf SRF gehört. Danach ging er mit seinem Assistenten die Arbeiten durch, die an diesem Tag auf den Feldern anfallen. «Ich bin etwa die Hälfte der Zeit draussen auf dem Feld und die andere Hälfte im Büro», erzählt Stocker. Er ist ein Allrounder; bestellt die Felder, organisiert Düngemittel, baut Häuser, plant die neue Kaffeeverarbeitungsanlage, repariert Landwirtschaftsmaschinen und kümmert sich um die Baumschule. Derzeit baut er auf 115 Hektaren Kaffee an. Während der Erntezeit zwischen Mai und August arbeiten bis zu 220 Angestellte auf der Farm. Diesen Sommer erntet er erstmals rund 70 Tonnen Arabica-Kaffee der Sorten Starmaya und Marsellesa, die er in die Schweiz exportieren wird. «Wir produzieren Spezialitätenkaffee für mittelgrosse Röstereien, die an guter Qualität interessiert sind und auf Nachhaltigkeit setzen», sagt Stocker. Bis 2025 will Mount Sunzu Coffee, so der Name des Unternehmens, bereits 200 Tonnen Kaffee in die Schweiz exportieren.

«Globe» Eine Welt ohne Barrieren

Globe 24/03 Titelblatt

Dieser Text ist in der Ausgabe 24/03 des ETH-​​​​Magazins Globe erschienen.

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Fasziniert vom Bauernleben

Fridolin Stocker wurde die Landwirtschaft nicht in die Wiege gelegt. Sein Vater studierte an der ETH Zürich Physik und arbeitete später als Patentanwalt, seine Mutter ist Ärztin. Er wuchs in Wil bei St. Gallen auf und verbrachte viele Sommerferien mit Wandern in Graubünden. «Ich war immer gerne draussen und habe mich früh für Bauernhöfe interessiert», erinnert er sich. Sein Vater bastelte ihm deshalb kleine Heugabeln, damit er Bauer spielen konnte. Während des Gymnasiums in Immensee half Stocker in den Schulferien bei Gelegenheit Landwirten in Graubünden aus und begann, sich das Bauernhandwerk selbst anzueignen. Als er in der Schule vom ETH-Studium in Agrarwissenschaften erfuhr, erkannte er eine Möglichkeit, seine Leidenschaft für die Arbeit auf dem Land und seine Stärke in Mathematik mit dem naheliegenden nächsten Schritt zu verbinden, dem Beginn eines Studiums. Bald erhielt er eine wegweisende Chance: Ein Bekannter vermittelte ihm einen dreimonatigen Landwirtschaftseinsatz in Sambia. «Damit begann meine Faszination für Afrika, die bis heute anhält», sagt Stocker. «Ich konnte nicht glauben, dass es dort so viel ungenutztes und fruchtbares Land gibt. Und dies in einer Klimazone, in der ganzjährig Lebensmittel angebaut werden können.»  Aus der Schweiz war er sich gewohnt, dass die Vegetationsperiode je nach Höhe zwischen fünf und acht Monate dauert. Der Zufall wollte es, dass sein Studienkollege Luca Costa gleichzeitig ein Praktikum auf einer Kakao- und Gummifarm an der Elfenbeinküste absolvierte. Stocker besuchte ihn, und gemeinsam schmiedeten sie erstmals Pläne für ihre eigene Farm.

Porträtfoto von Fridolin Stocker
«Ich konnte direkt an das anknüpfen, was ich während des ETH-Studiums gelernt hatte.»
Porträtfoto von Fridolin Stocker
Fridolin Stocker

Wichtiger Umweg über Laos

Nach Abschluss des Masterstudiums bewarb sich Stocker sogleich auf eine Stelle als Agronom für einen internationalen Kaffeeproduzenten in Sambia. Dieser wählte eine Mitbewerberin, bot dem ETH-Absolventen aber einen Job in Laos an. Er sagte zu und arbeitete zwei Jahre als «plantation agronomist» in Pakxong, im Süden des Landes. Dort erarbeitete er Düngungs- und Bewässerungspläne sowie Produktionsstandards für mehr als 1200 Hektaren Kaffee. «Ich arbeitete in einem Team mit Agronomen aus Asien, Afrika, Südamerika und Europa. Das war beruflich eine enorm lehrreiche und bereichernde Zeit», resümiert Stocker. Er vertiefte sich in Literaturrecherchen, um neue Ideen zu finden, wie die Effizienz im Kaffeeanbau in Laos gesteigert werden kann. Gleichzeitig verfolgte er statistisch, wie sich verschiedene landwirtschaftliche Massnahmen auf die Produktivität auswirkten. «Es waren Arbeiten, die direkt an das anknüpften, was ich während des ETH-Studiums gelernt hatte.»

Nach zwei Jahren wurde Stocker nach Tansania befördert, wo er auch für Kaffeefarmen in Sambia zuständig war. In Sambia hatten er und Luca Costa drei Jahre zuvor ein Stück Land entdeckt, auf dem sie ihren Traum von der eigenen Kaffeefarm realisieren wollten. «Es war Liebe auf den ersten Blick», erinnert sich Stocker. «Das Grundstück umfasst viel Trockenwald und einen Teil des Mount Sunzu, des höchsten Bergs von Sambia. Das hat mir als Schweizer sofort imponiert.» 2019 hatten sie das Startkapital zusammen. Ein Pachtvertrag über 99 Jahre für 780 Hektaren Land wurde unterzeichnet. Das Land war seit den 1990er-Jahren nicht mehr landwirtschaftlich genutzt worden und verbuschte zunehmend. Um das Land zugänglich und nutzbar zu machen, mussten zuerst eine Zugangsstrasse und eine Brücke gebaut sowie eine acht Kilometer lange Hochspannungsleitung gezogen werden.

Ende 2020 kündigte Stocker seinen Job beim internationalen Kaffeegrosshändler und zog aufs neu erworbene Land, in ein verfallenes Steinhaus, das er zuerst renovieren musste. Als Erstes eta­blierte er eine Baumschule mit 400 000 Kaffeesetzlingen. Mount Sunzu Coffee setzte von Beginn an unter anderem auf eine Hybridsorte eines französischen Züchters. «Sie hat das typische Aroma des autochthonen Arabica aus Äthiopien, ist aber gleichzeitig ertragreicher als die ursprüngliche Sorte.» Ein weiterer Vorteil sei die hohe Resistenz gegen Pilzkrankheiten und Schädlinge. Laut Stocker ist Mount Sunzu Coffee der erste Produzent, der die neue Sorte im grossen Massstab einsetzt. «Das birgt zwar ein Risiko, doch ich bin überzeugt, dass sich im Kaffeeanbau in den kommenden Jahren viel verändern wird, weil der Druck auf herkömmliche Sorten durch den Klimawandel zunimmt.»

Zur Person

Fridolin Stocker wurde 1990 in Zürich geboren und wuchs in Wil auf. Er studierte Agrarwissenschaften an der ETH Zürich und arbeitete danach während dreier Jahre für die Kaffeesparte des internationalen Konzerns Olam in Laos, Tansania und Sambia. 2020 gründete er mit zwei Kollegen Mount Sunzu Coffee. Heute ist er Betriebsleiter der dazugehörigen Kaffeefarm im Norden Sambias mit über 200 Mitarbeitenden.

Globales Wissen für lokale Farm

Seit dem Landkauf widmet sich Stocker täglich der Optimierung der Ressourceneffizienz auf seiner Farm. Dafür nutzt er all sein Wissen, das er sich in den vergangenen vierzehn Jahren Studium und Praxis angeeignet hat. Das zeigt sich im Wassermanagement, bei der Düngung und dem Einsatz von Pestiziden. «Bei der Bewässerung sparen wir dreissig Prozent Wasser durch Nutzung eines sparsamen Systems mit punktueller Bewässerung entlang der Pflanzreihen.» Das entsprechende System wurde in Brasilien entwickelt, Stocker betreibt es mit einer eigenen Photovoltaikanlage. Nährstoffe für die Pflanzen werden dem Wasser beigemischt und dadurch öfter, aber in geringeren Mengen ausgebracht. Dies führt zu einer erhöhten Düngemittelverwertung und reduzierten Stickstoffemissionen. Er ist überzeugt, dass sich Nachhaltigkeit auch finanziell rechnet: Während Kosten für synthetische Pestizide und Dünger eingespart werden, verbessert sich die Bodenqualität, was wiederum zu höheren Erträgen führt.

Stocker ist heute der einzige Gründer, der permanent auf der Farm in Sambia lebt. Luca Costa, der sich um Vermarktung und Verkauf kümmert, verbringt die Hälfte der Zeit in der Schweiz. Yanik Costa, dessen Bruder und dritter Geschäftsinhaber, managt Finanzen und Administration vollständig von der Schweiz aus. Obschon er oft allein ist, hat Stocker selten Heimweh. Zu viele Möglichkeiten biete ihm das Gastland. Wenn er manchmal etwas vermisse, dann sei es ein Stück Schweizer Alpkäse und der Austausch mit Berufskolleginnen und -kollegen. So wie damals bei seinem früheren Arbeitgeber oder während des Studiums in Zürich. Hin und wieder fliegt er deshalb an eine Konferenz, um sich dort mit Expertinnen und Experten aus aller Welt auszutauschen und sich im neusten Agrarwissen zu baden.

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