Der Pioneer Fellow Hao Liu stellt mit Laser faserige Mikrostrukturen her, um damit im Labor biologisches Gewebe für Forschung und Medizin zu züchten – vom Muskelgewebe bis zum Knorpel. Jetzt strebt er nach der Marktreife dieser Technologie.
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In Kürze
- Der ETH-Doktorand Hao Liu nutzt Laser, um aus einer speziellen Gelatine faserige Mikrostrukturen zu erzeugen. Sie dienen im Labor als Gerüst für das Wachstum von Zellen.
- Die Methode eröffnet neue Möglichkeiten für die Herstellung von lebensechten Gewebemodellen für die biomedizinische Forschung. Die Zahl von Tierversuchen in der Medikamentenentwicklung könnte damit reduziert werden.
- Auch für die Chirurgie, die Transplantationsmedizin oder die Produktion von Laborfleisch ist die von der ETH Zürich patentierte Technologie interessant.
In Japan kam Hao Liu zum ersten Mal mit der Herstellung von biologischem Gewebe in der Kulturschale in Berührung. «Während meines Masterstudiums an der Universität Osaka arbeitete ich an einem Projekt mit, in dem wir mit einem 3D-Drucker Muskelgewebe von Wagyu-Rindern herstellten», erzählt Liu. Das Fleisch von Wagyu-Rindern gilt als eines der zartesten, saftigsten und teuersten der Welt. Die Forschenden versuchten daher, es im Labor nachzuahmen. «Damals habe ich gelernt, dass man mit dem Züchten von Gewebe Relevantes entwickeln und etwas bewegen kann.»
Liu hatte sein Studium in China begonnen. Für den Master wechselte er nach Osaka, und seit 2020 ist er Doktorand an der ETH Zürich. In diesen Tagen hat er sein Doktorat abgeschlossen. Bereits hat er ein Pioneer Fellowship der ETH in der Tasche, mit dem er ein neues Gerät zur Herstellung von Gewebe mit einer faserigen Mikrostruktur zur Marktreife entwickeln will.
Gewebe ist mikrostrukturiert
Solche Mikrostrukturen finden sich überall in unserem Körper: Die Zellen in unseren Muskeln, Sehnen, im Bindegewebe und im Nervensystem sind nicht zufällig angeordnet, sondern folgen klaren Mustern. Diese geben dem Gewebe Stabilität und Flexibilität zugleich und helfen ihm, seine verschiedenen Funktionen zu erfüllen: Damit sich die Muskeln zusammenziehen können, sind die Zellen und Fasern der Muskeln parallel ausgerichtet. In Sehnen, die die Muskeln mit den Knochen verbinden, müssen die Zellen so gegliedert sein, dass die Sehnen enorme Zugkräfte aushalten können. Und auch das Nervengewebe braucht eine spezielle Mikrostruktur, damit es die Signale zwischen den Zellen übertragen kann.
Wenn Forschende solche Gewebe im Labor herstellen, dann müssen sie diese Parallelstrukturen nachbilden. In vielen Fällen erreichen sie dies, indem sie zunächst ein künstliches, aber biokompatibles Gerüst herstellen. Auf und in diesem lassen sie dann Zellen zu einem perfekt strukturierten Gewebe wachsen. Dieses könnte in Zukunft in der Chirurgie als Ersatzmaterial dienen – etwa bei der Nervenregeneration nach schweren Verletzungen. Ausserdem können an solchen Gewebekulturen Krankheiten erforscht und Medikamente getestet werden und somit Tierversuche reduziert werden. Oder es geht eben um die Herstellung von Fleisch im Labor, wie es Liu in Japan erforschte.
Werkstücke zum Glück behalten
An der ETH entdeckte Liu durch das Glück des Tüchtigen eine neue Methode zur Herstellung eines Gewebegerüsts mit extrem feinen Fasern. Er arbeitete mit einem bekannten Verfahren und nutzte eine chemisch modifizierte Gelatine, die auf Licht reagiert. Die Gelatine ist zunächst flüssig. «Dort, wo wir sie mit Laser bestrahlen, verfestigt sie sich zu einem Hydrogel. Wo der Laser nicht hinkommt, bleibt sie flüssig», erklärt der frischgekürte Pioneer Fellow. Durch die gezielte Beleuchtung mit dem Laser lassen sich so massgeschneiderte dreidimensionale Gelstrukturen herstellen.
Liu hat dieses Herstellungsverfahren getestet. Einzelne Hydrogel-Werkstücke hätte er fast weggeworfen, legte sie aber zur Seite und holte sie später wieder hervor. Da entdeckte er zunächst mit blossem Auge, was sich unter dem Mikroskop bestätigte: Die Gelstruktur war nicht gleichmässig, sondern bestand aus extrem feinen Fasern. «Marcy Zenobi-Wong, die Professorin, die meine Doktorarbeit betreute, und ich waren begeistert», erinnert sich Liu. Denn Liu hatte im Gel Mikrofasern erzeugt, die einen ähnlichen Durchmesser hatten wie die Fasern in vielen Körpergeweben. In dieser Gel-Struktur liess er dann Zellen wachsen, um damit Gewebe mit Faserstruktur herzustellen. «Hätte ich die Werkstücke damals weggeworfen, wäre ich heute nicht da, wo ich bin.»
Der Wissenschaftler begann, die physikalische Literatur zu studieren und erkannte, dass ein bekanntes optisches Phänomen die Mikrofasern in seinen Gel-Strukturen verursacht. Das Licht in einem Laserstrahl ist nämlich nicht überall gleich intensiv. Analysiert man den Querschnitt eines Laserstrahls mit mikroskopischer Auflösung, stellt man fest, dass die Lichtintensität einem Fleckenmuster gleicht: An einigen Stellen ist sie extrem hoch, an anderen recht niedrig. Verfestigt man das lichtempfindliche Material mit einem Laserstrahl, erstarrt es nicht gleichmässig, sondern es entsteht eine Struktur aus parallel angeordneten fadenförmigen Gel-Strukturen. Zwischen diesen Gel-Fasern befinden sich kanalartige Zwischenräume. Sowohl die Fasern als auch die Kanäle haben einen Durchmesser von etwa 2 bis 20 Mikrometern. Gibt man Zellen in die Gelatine, so können sie in den Kanälen wachsen. Es entsteht ein faseriges Gewebe, das der natürlichen Struktur vieler Körpergewebe sehr ähnlich ist.
«Das optische Phänomen, das die Faserstrukturen im Gel erzeugt, ist Physikerinnen und Materialwissenschaftlern schon lange bekannt», sagt Liu. «Aber in der Biologie wurde es bisher nicht genutzt; wir sind die Ersten.»
Zusammen mit Industriedesign-Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste entwickelte Lius Team das Design für einen Prototyp-Drucker, um solche faserigen Gel-Gerüststrukturen für die Gewebekultur herzustellen. Mithilfe des Pioneer Fellowships will Liu nun einen kompakten Bioprinter zur Marktreife zu bringen.
Medikamentenentwicklung und Nervenregeneration
«In einem ersten Schritt wollen wir die Technologie und den Drucker anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zugänglich machen, damit auch sie solche Gewebe herstellen und in ihrer Forschung einsetzen können», sagt Liu. «Mehrere Labors haben bereits Interesse bekundet.» Gleichzeitig will er verschiedene Gewebemodelle entwickeln, zum Beispiel Muskelgewebe oder Sehnen. «Unser Ziel ist es, Modelle von menschlichem Gewebe zu schaffen, die sich für das Hochdurchsatz-Screening von Medikamenten und für weitere Anwendungen eignen.» Als künftiges Geschäftsfeld sieht er daher nicht nur den Verkauf des Geräts, sondern auch die Entwicklung und den Verkauf von im Labor hergestelltem Gewebe für die Forschung und die Medizin.
Lius Labor ist es mit der Technologie bereits gelungen, Muskel-, Sehnen-, Nerven- und Knorpelgewebe herzustellen. Die ETH Zürich liess die Technologie patentieren. «Unsere Technologie eignet sich für eine Vielzahl von Anwendungen», sagt Liu. «Es ist sogar denkbar, damit in Zukunft Nervenkanäle herzustellen, die Patienten mit Nervenverletzungen transplantiert werden können.» Oder auch Fleisch aus dem Labor, wie er es in Japan kennengelernt hat.
In den nächsten Jahren will der weitgereiste Wissenschaftler auf jeden Fall in der Schweiz bleiben, um zu sehen, wie seine Technologie vorankommt. Ob es ihn später wieder woanders hinzieht? Möglich wäre es. Nach Amerika zum Beispiel. «Bisher habe ich in jedem Land andere Forschungsschwerpunkte und eine andere Forschungskultur kennengelernt. In ein neues Umfeld zu kommen, motiviert mich sehr. Es hilft einem, das Bisherige zu hinterfragen und sich persönlich weiterzuentwickeln», sagt er.
Japan sei bekannt für seine Stammzellforschung, erzählt Liu. Dort sah er auch, wie Forschungsprojekte von der Regierung in Auftrag gegeben und die Projekte in einer Forschungsgruppe nach Vorgabe umgesetzt werden. In der Schweiz erlebte er genau das Gegenteil: eine sehr grosse akademische Freiheit, die ihm seine Betreuerin Marcy Zenobi-Wong auch während seiner Doktorarbeit gewährte. So konnte er nach seiner Entdeckung problemlos den Fokus seiner Arbeit anpassen. Zudem schätzt er die europäische Wissenschaftskultur und die ETH im Besonderen für den Ingenieuransatz, der hier grossgeschrieben wird. Und die hier aus seiner Sicht sehr guten Voraussetzungen, zusammen mit Partnern eine Technologie zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, wie er es jetzt macht.