Auf direktem Weg in den Unruhestand
Marco Mazzotti wird Ende Januar 2025 emeritiert. Ein Grund, den engagierten Verfahrenstechniker, der eher unverhofft zu seinem Forschungsgebiet kam, zu portraitieren.
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«Ich kann nicht beruhigt in Ruhestand gehen», sagt Marco Mazzotti in Hinblick auf seine Emeritierung. Im Gegensatz zu jenen, die jetzt das Leben geniessen, bleibt tief in ihm eine Verunsicherung. «Ich bin ein Babyboomer und um ehrlich zu sein war es hauptsächlich unsere Generation, die den Planeten zerstört hat. Seit meiner Geburt im Jahr 1960 gelangten 83 Prozent des vom Menschen emittierten CO2 in die Umwelt und seit 1997, dem Jahr des Kyoto-Protokolls, an dem ich an die ETH Zürich kam, waren es 45 Prozent.» Daran misst sich der Professor für Verfahrenstechnik, der sich hauptsächlich mit Kristallisation sowie der Abscheidung und Speicherung von CO2 befasst hat. Forschungsbereiche, die es vorher kaum gab in der Schweiz, und in denen die ETH Zürich inzwischen zur Weltspitze gehört.
Gratwandern zwischen Wissenschaft und Gesellschaft
Den Klimawandel bestmöglich aufzuhalten, ist nach wie vor sein grösster Antrieb. «Mit Klimatechnologien haben wir ein Momentum geschaffen. Wir müssen sie aber schneller umsetzen, wenn wir noch möglichst viel bewirken und verhindern wollen, dass der Aufwand, unseren Lebensraum zu erhalten, noch grösser wird.» Dabei ist es für Marco Mazzotti nicht die Politik, die zu langsam ist, sondern wir als Gesellschaft. «Wie kann es sein, dass manche Leute immer noch denken, der Klimawandel sei kein Problem?», fragt er sich etwas fassungslos und stellt fest, dass die Beziehung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit Verbesserungspotenzial hat. «Das Modell, dass wir Wissenschaftler nur Erkenntnisse liefern und zu einer fundierten Entscheidungsfindung beitragen, funktioniert nicht mehr. Die Erkenntnisse sind seit Jahrzehnten da, aber ändern tut sich nicht genug», insistierte er und bringt seinen Handlungsdrang mit stark gestikulierenden Händen zum Ausdruck.
Mit Erkenntnissen die Welt verändern
Den Antrieb, etwas zu verändern, verlor Marco Mazzotti seine ganze Forschungskarriere nicht. Zuletzt entwickelte er mit Doktorierenden ein Verfahren zur Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS). Weil sie beweisen wollten, dass CCS in der Praxis funktioniert, haben sie das Projekt DemoUpCARMA initiiert. Mit Unterstützung des Bundes und in Zusammenarbeit mit der Industrie haben sie die Hürden über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg gemeistert und bewiesen, dass mit Hilfe von CCS tonnenweise CO2 gespeichert werden kann. «Eine solche Demonstration ist nicht die einzige Initiative, die Wissenschaftler ergreifen können, um Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels schneller zu realisieren, aber sie ist ein überzeugendes Beispiel für das, was heute möglich und notwendig ist.»
Was ist CCS?
Carbon Capture and Storage (CCS) ist eine Technologie zur Verringerung von Treibhausgasemissionen durch Abscheidung von Kohlendioxid (CO2) aus emittierenden Quellen wie Industrieprozessen, bevor es in die Atmosphäre gelangt. Nach der Abscheidung wird das CO2 zu Lagerstätten transportiert, oft tief unter der Erde, wo es sicher eingeschlossen wird. Indem CCS verhindert, dass CO2 in die Atmosphäre gelangt, trägt es dazu bei, die Menge an Treibhausgasen zu verringern und damit die globale Erwärmung zu bremsen. CCS kann eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, Netto-Null-Emissionen zu erreichen, insbesondere in Branchen, in denen es schwierig ist, Emissionen zu reduzieren, wie z. B. in der Zement- oder Stahlproduktion oder der Abfallverbrennung. Eine Ergänzung zu CCS ist die Entfernung von CO2 aus der Luft und die anschliessende Speicherung, um Treibhausgas-Emissionen der Landwirtschaft oder des Luftverkehrs zu kompensieren.
Nur Offenheit führt zu neuen Lösungen
Gerade aufgrund solcher Projekte ist Marco Mazzotti traurig, seine Arbeit als Professor aufgeben zu müssen. Nichts genoss er mehr als die Freiheit, in neuen Forschungsfeldern zu arbeiten und mit Problemen konfrontiert zu sein, die bisher noch kein anderer lösen konnte oder wollte. «Diese Freiheit, die gerade an der ETH Zürich so ausgeprägt ist, geht für mich mit einer grossen Verantwortung einher. Einer Verantwortung gegenüber der Wissenschaft und der Gesellschaft.» Genau diese Verantwortung will er jungen Menschen vermitteln und ihnen Impulse geben zur Bewältigung von Umweltproblemen. «Was ich Ihnen mitgeben möchte, ist, dass sie etwas machen sollen, das einen Impact hat. Einen Impact auf globaler Ebene, der auch in Zukunft noch eine Wirkung entfaltet.»
IPCC – what?
Er selbst wurde an der Politecnico di Milano am meisten von Massimo Morbidelli und Giuseppe Storti beeinflusst, beides spätere ETH-Professoren am Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften. Auf die Frage, was die wichtigste Anerkennung seiner Karriere war, geht er zielstrebig zur Tür, neben der eine Nobelpreisurkunde hängt. 2005 war er «Coordinating Lead Author» des IPCC-Reports und 2007 wurde der Weltklimarat dann mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Dabei kam Mazzotti eher unverhofft zu dieser Arbeit. «Als ich die Einladung 2002 erhalten habe, wusste ich erst gar nicht, was das IPCC ist. Ich habe lange nicht auf die Mail reagiert, bis sie nachgefragt haben und ich mit Christoph Schär, damals Professor am Departement Umweltsystemwissenschaften und bereits Mitautor beim IPCC, geredet habe. Er hat mich sofort überzeugt», sagt Mazzotti. «Damals hatte ich gerade erst begonnen, im Bereich CCS zu arbeiten und war selbst nur wegen eines Doktoranden auf das Thema gestossen. Er wollte unbedingt etwas mit Umwelt machen und wir kamen auf die Idee, Kristallisation zu nutzen, um CO2 zu speichern. Das war der Anfang der Forschung über Mineralisation von CO2.» Und am Ende steht mit Neustark eines der bekanntesten ETH Spin-offs im Umweltbereich, bei dem Marco Mazzotti immer noch wissenschaftlicher Beirat ist, und das von einem seiner über 60 Doktorand:innen gegründet wurde.
Abschied in familiärem Rahmen
Auf persönliche Art und Weise nimmt er nun am 22. November 2024 Abschied von der ETH Zürich, die für ihn immer mehr war als eine Arbeitgeberin. Auch seine Frau arbeitet an der ETH und seine Kinder haben hier promoviert, sodass man bei den Mazzottis von einer ETH-Familie durch und durch sprechen kann. Ein letztes Mal will er im Rahmen einer Vorlesung erklären, warum es Forschung braucht und welche Bedeutung sein Forschungsfeld für die Gesellschaft hat. «Vor 20 Jahren wollte niemand etwas von CCS wissen, obwohl das zu Grunde liegende Problem bekannt war. Hätten wir es damals gelöst, könnte ich guten Gewissens in den Ruhestand gehen. So aber bleibe ich etwas beunruhigt.»
Abschiedsvorlesung
Am Freitag, 22. November um 17.15 Uhr hält Professor Marco Mazzotti seine Abschiedsvorlesung mit dem Titel Interpolations, extrapolations im Audi Max.
Die Veranstaltung wird auch live gestreamt unter: externe Seite http://bit.ly/audimax-stream.