Startklar für den Space-Master

Kaum ein anderer Lehrgang der ETH Zürich hat so viel Aufmerksamkeit erregt wie der neue Space-Systems-Masterstudiengang. Diesen Herbst haben Dozierende und Studierende losgelegt.

Teammitglieder bei der Arbeit
Das ARIS-Team SAGE CubeSat setzt einen Prototyp des würfelförmigen Satelliten zusammen. (Bild: SAGE)

Der kleine Hörsaal E41 im ETH-Hauptgebäude ist gut gefüllt, und das lange bevor die Vorlesung beginnt. Fast dreissig Studierende warten gespannt auf den Dozenten, der gleich seine erste Vorlesung im Rahmen des neuen Masterstudiengangs Space Systems der ETH halten wird.

Thomas Zurbuchen erscheint pünktlich, hält einen Kaffeebecher in der Hand. Gleich zu Beginn macht er den Studierenden klar, was sie von ihm erwarten dürfen – weitreichende Verbindungen in die Raumfahrtbranche – und was er im Gegenzug von ihnen erwartet: dass sie nach ihrem Masterabschluss in dieser Industrie Fuss fassen – genau wie viele seiner früheren Studierenden, als Zurbuchen Wissenschaftsdirektor bei der NASA war. Mehrere seiner ehemaligen Schützlinge arbeiten bei SpaceX, jemand war Mission Systems Engineer der DART-Mission, die zeigen sollte, dass die NASA einen Asteroiden abfangen kann. «Das ist meine Erwartung an euch: Ihr tut es ihnen gleich oder macht es sogar besser.»

Dass die ETH Zürich nun den Space-Systems-Master anbieten kann, geht tatsächlich auf Zurbuchens Idee zurück. 2023 kam er an die ETH Zürich mit der Vision, einen solchen Lehrgang zu etablieren, um Nachwuchs für die Raumfahrtindustrie auszubilden. Die Idee stiess innerhalb der ETH und bei Studierenden auf Anklang, zum Beispiel bei der studentischen Space-Initiative ARIS, aber auch bei Studierenden der Astrophysik oder der Planetenwissenschaften. Mitte September 2024 hat der Lehrgang mit 28 Studierenden begonnen. Auf die ausgeschriebenen Studienplätze gingen 90 Bewerbungen ein. 35 Studierende erhielten den Zuschlag, 7 davon sagten wieder ab.

«Globe» Eine Reise ins All

Globe 24/04 Titelblatt

Dieser Text ist in der Ausgabe 24/04 des ETH-​​​​Magazins Globe erschienen.

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Wie die Vorstellungsrunde in Zurbuchens erster Vorlesung zeigt, haben die Studierenden unterschiedliche Vorbildungen: Da sitzt ein Materialwissenschaftler neben einem Maschinenbauer, die Erdwissenschaftlerin neben einer Physikerin, ein Biochemiker hat einen Computerwissenschaftler als Banknachbarn.

Die Zügel in der Hand hält Geophysiker Simon Stähler: Er ist Studiendirektor des Space-Masters. Seine Aufgabe war und ist es, Zurbuchens Vision umzusetzen, das Curriculum zu entwickeln, sich zu überlegen, welche Departemente mitmachen sollen oder welche neuen Vorlesungen dafür zu entwickeln sind.

Systeme planen lernen

Im Zentrum des Studiengangs steht das Systems-Engineering. Die Studierenden lernen, welches die wichtigen Subsysteme eines Raumschiffs sind und wie sie zusammenspielen. Aus diesem Verständnis heraus sollen sie ein wissenschaftliches Instrument integrieren und erfassen, wie man darauf basierend das gesamte Raumschiff auslegt. «Damit fördern wir das Systemdenken bei den Studierenden», sagt Stähler. Zudem sollen die angehenden Systemingenieur:innen lernen, was sie tun müssen, wenn das vorgesehene wissenschaftliche Instrument plötzlich grösser wird, weil die an einer Mission beteiligten Forschenden eine grössere Kamera haben möchten. «Sie müssen Kosten abschätzen können und verhindern, dass diese ausser Kontrolle geraten», erklärt Stähler den Lernansatz.

Dazu müssen die Dozierenden den Studierenden auch eine gemeinsame Sprache zwischen Ingenieur:innen und Wissenschaftler:innen vermitteln. «Wenn die Forschenden sagen, dass sie ein doppelt so grosses Instrument wollen, dann wünschen sie vielleicht nur eine bessere Auflösung, die sich anders erreichen lässt als mit einem doppelt so grossen Instrument», sagt Stähler aus eigener Erfahrung: Er war an der InSight-Mission der NASA beteiligt, mit der das Innere des Mars erforscht wurde.

Konkret statt abstrakt

Im Studiengang arbeiten die Studierenden vor allem anhand konkreter Projekte und werden zusammen mit Indus­triepartnern Geräte für Weltraummissionen entwickeln. Mitte September haben deshalb die Studiengangsleiter von Industriepartnern Vorschläge für Space-Missionen erhalten. Bereits im ersten Semester entwickeln die Studierenden dazu Konzepte, zum Beispiel wie sie mit Radar aus dem All die Schneehöhen in den Alpen messen können. Die Studierenden müssen auch berechnen, wie gross und teuer ein solcher Satellit wäre.

«Wir wollen keine Theoretiker ausbilden», sagt Florian Kehl, Dozent am Departement Erd- und Planetenwissenschaften, der ebenfalls im neuen Masterstudiengang unterrichtet. Der Master vermittle Theorie und Praxis. Die Nähe zur Wirtschaft und Industrie sei gewollt. «Wir haben bei Industrieunternehmen nachgefragt, welche Art von Absolventinnen und Absolventen sie brauchen, und darauf aufbauend haben wir den Lehrgang konzipiert», sagt Kehl.

Zudem sollen die Studierenden – auch das ist eine Neuerung in diesem Studiengang – in interdisziplinären Gruppen an diesen Projekten arbeiten. «Wir möchten nicht, dass am Ende Teams aus nur Maschinenbauern oder nur Erdwissenschaftlerinnen etwas entwickeln», so Kehl.

Wachsendes Interesse

Nicht nur Studierende von Schweizer Hochschulen spricht der neue Studiengang an, es besteht auch ein grosses internationales Interesse am Space-Master der ETH. «Wir haben bereits jetzt Dutzende von Interessenten aus dem Ausland», sagt Stähler. «Wir erhalten sogar Anfragen von Studierenden jener Hochschulen, die traditionell Luft- und Raumfahrttechnik anbieten, wie Mailand, Toulouse oder München.» Im November öffnete sich das Anmeldefenster international.

Stähler weist aber darauf hin, dass der ETH-Studiengang anders ausgerichtet ist als diejenigen in Toulouse, München oder Mailand. «Hier bilden wir niemanden aus, der sich ausschliesslich mit Raketentriebwerken beschäftigt. An der ETH gibt es keine entsprechenden Professuren.»

ARIS als Vorbereitung

Einer der ausgewählten Studierenden ist Maximilian Leeb. Er hat zwei Bachelorabschlüsse in Chemie und in Maschinenbau. Jetzt will er im Bereich Space Systems durchstarten. Am neuen Studiengang interessiert ihn vor allem der Systemgedanke. Er schätzt es, dass nicht nur Theorie, sondern viel praxisnahes Wissen vermittelt wird. Dem pflichtet seine Kommilitonin Chloé Pilloud bei: «Ich erhoffe mir, dass wir viele neue Dinge über den aktuellen Stand der Space-Branche lernen, jedoch auch ein Gefühl dafür bekommen, wie sie sich weltweit entwickelt.»

Ihre Passion für die Raumfahrt gelebt hat Pilloud im Verein ARIS, dessen Präsidentin sie derzeit ist. «Momentan lerne ich bei ARIS viel in meiner Funktion als Präsidentin. ARIS gibt mir die Möglichkeit, mich in dieser Rolle weiterzuentwickeln und mich dabei selbst kennenzulernen.» Sie könne hier ihren persönlichen Führungsstil entwickeln, was sie auch im Masterstudium anwenden könne. «Weil wir dort ebenfalls viele Projekte durchführen, teilweise bereits mit der Industrie, müssen wir den Überblick über die technischen Aspekte haben, aber auch die Führung eines Projekts dürfen wir nicht vergessen.»

Auch Maximilian Leeb hat ARIS-Erfahrung: Während seines Chemiestudiums hat er bei ARIS angefangen und ist bis zum Maschinenbau-Bachelor dabeigeblieben. In dieser Zeit hat er an der Entwicklung eines hybriden Raketentriebwerks und an mehreren Raketen mitgearbeitet. Raumfahrtinte­ressierten Studierenden kann er daher ein Engagement bei ARIS empfehlen. «Es ist nicht so wichtig, aus welcher Fachrichtung jemand kommt, um bei ARIS mitzumachen. Jeder, der sich für Raumfahrt begeistert, ist willkommen», betont er. «Dieses Engagement hat mir sehr viel gebracht, nicht nur im Hinblick auf das Space-Masterstudium.»

Allerdings dürfe man vor lauter Begeisterung für die Arbeit im Verein das Studium nicht vernachlässigen. «Viel Engagement bei einem Verein wie ARIS kann sich negativ auf die Noten auswirken. Dessen muss man sich bewusst sein», gibt Leeb zu bedenken.

Ein konkretes Berufsziel haben er und seine Studienkollegin Pilloud noch nicht. Wo er in fünf Jahren sein werde, kann Leeb noch nicht sagen: «Ich sehe mich in einem Bereich, der mit Aerospace zu tun hat, wo ich mein Wissen im Systems-Engineering anwenden kann. Das interessiert mich am meisten, und das vermittelt Thomas Zurbuchen grossartig.» Und Pilloud? «Ich träume davon, Astronautin zu werden – ich hoffe, dass mir dieses Studium dabei hilft, diesen Traum eines Tages wahr zu machen.»

Raketenbauer und Tiefseeroboter

externe Seite ARIS steht für Akademische Raumfahrt Initiative Schweiz. Gegründet wurde der Verein 2017 an der ETH Zürich von Studierenden verschiedener Hochschulen. Das Ziel war, eine funktionstüchtige Rakete zu bauen. Mittlerweile zählt der Verein 220 aktive Mitglieder und über 500 Alumni. Aktuell arbeiten die Studierenden nicht mehr nur an Raketen und Triebwerken, sondern auch an einem Satellitenwürfel, einem steuerbaren Bremsfallschirm und an einem Unterwasserroboter.

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