«Beste Adresse für Konjunkturforschung»
Die Konjunkturforschungsstelle der ETH feierte ihren 75. Geburtstag. Gratulanten aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung waren sich einig: Die KOF braucht es mehr denn je.
Gleich zu Beginn seines Gastreferates erwähnte Bundesrat Johann Schneider-Ammann das Bonmot «Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!». Dass dies nicht stimme, beweise die Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF), denn Statistiken seien besser als ihr Ruf, und ihre Notwendigkeit sei unbestritten. Der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung betonte, dass die KOF in ihrer 75-jährigen Geschichte eine herausragende Rolle gespielt habe: «Mit ihren Prognosen und Analysen hat sie die Konjunkturpolitik der Schweiz beeinflusst und so eine wichtige Rolle bei der wirtschaftspolitischen Entwicklung des Landes gespielt.» Die Relevanz der KOF sehe man auch darin, dass sie von ursprünglich 5 auf derzeit rund 70 Mitarbeitende gewachsen sei.
Die Gründe für ihren Erfolg sieht Johann Schneider-Ammann unter anderem in ihrer Unabhängigkeit von Politik und Interessengruppen: «Die KOF kann auch unbequem sein.» Ein weiterer Erfolgsfaktor sei ihre Bodenständigkeit: «Keine abgehobene Forschung im Elfenbeinturm, sondern praxisorientierte Prognosen sind ihr Markenzeichen.» Nicht zuletzt ihrer Qualität und der Relevanz ihrer wirtschaftlichen Aussagen verdanke sie ihren nationalen und internationalen Ruf. Hinzu komme, dass sie auch in der Lehre hervorragendes leiste. Als Kaderschmiede habe sie einige der besten Schweizer Ökonomen ausgebildet.
Die Politik und die Wirtschaft benötigten Prognosen, denn da die Ökonomie keine exakte Wissenschaft sei, gebe es auch keine absoluten Wahrheiten. Die Prognosen der KOF machten «Wirtschaft und Politik besser planbar.» Der Bundesrat richtete zum Jubiläum gleich drei Geburtstagswünsche an die KOF. Sie solle ihre unabhängige Haltung bewahren, weiterhin relevante Analysen in hoher Qualität liefern und damit andere Forschungsstellen zu Höchstleistungen herausfordern. «Der ökonomische Diskurs wäre ohne die KOF ärmer.» Für ihn sei die Forschungsstelle auch in Zukunft als Brückenbauer zwischen Wirtschaft und Öffentlichkeit unentbehrlich.
Wichtige Pionierarbeit
Thomas Jordan, Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), beleuchtete in seiner Rede die Gründung der KOF in den 1930er Jahren. Damals habe niemand gewusst, wie es zur Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre kommen konnte. «Es gab keine Daten – die KOF sollte diese besorgen. Mit ihrer Firmenbefragung leistete sie Pionierarbeit.» Wie wichtig ihre Arbeit noch heute sei, veranschaulichte er an der aktuellen Frankenentwicklung. Als im Sommer 2011 der Franken immer stärker wurde, galt es eine Wirtschaftskrise zu verhindern: «Die Parität zum Euro hätte eine hohe Arbeitslosigkeit bedeutet.»
Nach seinen Aussagen war man über die zu ergreifenden Massnahmen sehr verunsichert. Die SNB brauchte Entscheidungsgrundlagen, in die sie auch die Aussagen der KOF miteinbezogen habe, um dann im September 2011 einen Mindestwechselkurs des Franken zum Euro von 1.20 einzuführen. Für ihn seien die regelmässigen Umfragen und die daraus abgeleiteten Prognosen und Spezialanalysen ein Muss bei der Bewertung der Schweizer Wirtschaft. «Die KOF ist ohne Zweifel die beste Adresse für Konjunkturforschung.»
Risiken früh erkennen
In der anschliessenden Podiumsdiskussion im Audimax der ETH, kritisierte Josef Ackermann, ehemaliger CEO der Deutschen Bank, die bisherigen Modelle als unzureichend. Vor der Wirtschaftskrise wurden die politischen Rahmenbedingungen zu wenig beachtet. «Niemand konnte sich vorstellen, dass Produkte in den USA Banken in Deutschland zum Verhängnis werden.» Trotzdem könne keine Bank und kein Land auf Prognosen verzichten. Es sei jedoch wichtig, diese zu hinterfragen und schon früh mögliche Risiken zu sehen.
Die jetzige Wirtschaftssituation bezeichnete er als «gefährliche Phase der Zufriedenheit.» Obwohl die Zentralbanken durch ihr Eingreifen einen weltweiten Crash verhindert hätten, seien die fundamentalen Probleme nicht gelöst. Es gäbe Risiken, die man trotz der besten Modelle nicht vorhersehen könne. Als Beispiele nannte er Fukushima, die Afrikanische Revolution oder die aktuelle Entwicklung in Syrien.
Faktor Mensch
Für Hans Hess, Präsident der Swissmem, sind Prognosen zwar wichtig, bilden für ihn aber nur ein Teil der Realität ab: «Sie zeichnen ein Szenario mit Wahrscheinlichkeiten.» Ergänzend hierzu bilde er sich eine Meinung in Kundengesprächen. Aber selbst diese seien von Prognosen beeinflusst. Er sprach vom sogenannten «psychologischen Faktor». Denn wenn eine Vorhersage die wirtschaftliche Zukunft eher kritisch sehe, werden Investitionen verschoben oder vermieden. Für ihn als Unternehmer sei es wichtig zu entscheiden, was die Branche tun muss, um auf die aufgezeigte Prognose reagieren zu können. Eine Erhöhung der Eigenkapitalquote sei zum Beispiel eine Massnahme, um auch gut durch wirtschaftlich unsichere Zeiten zu kommen.
Für Christoph Schär, Professor am Institut für Atmosphäre und Klima, habe Krisenszenarien auch ihre positive Seite. «Ohne den Klimawandel hätten wir uns wissenschaftlich nicht so intensiv mit der Klimaveränderung beschäftigt.» Zum Beispiel haben die Wissenschaftler des am Freitag neu erscheinenden IPCC-Klimaberichts Methoden entwickelt, um die Unsicherheit zu quantifizieren.
Wie die aktuelle Diskussion zeige, neige der Mensch dazu die negative Seite überzubewerten, gab Jan-Egbert Sturm, Professor für Angewandte Wirtschaftsforschung und Leiter des KOF, zu bedenken. Aufgabe des KOF sei es, ein realistisches Bild zu zeigen. «Die Entwicklung kann auch besser werden. Unsere aktuelle Prognose haben wir daher nach oben korrigiert.» Um die Zukunft zu bewerten, schaue das KOF auch immer wieder in die Vergangenheit. Die aktuelle Befragung von 12‘000 Schweizer Unternehmen zeichne ein sehr realistisches Bild der wirtschaftlichen Entwicklung. Trotzdem hinterfragten er und sein Expertenteam immer wieder die aktuellen Daten.