Sensoren fahren Tram

Forschende der ETH Zürich messen seit fast zwei Jahren die Luftqualität entlang der Zürcher Tramlinien. Nun präsentieren sie erstmals Karten, die ganz genau zeigen, wann und wo die Luftverschmutzung in Zürich am grössten ist.

Vergrösserte Ansicht: Tram mit Sensor
Die Messstation fährt mit – die Boxen sind oben auf einem Tram befestigt. (Bild: ETH Zürich)

Rund 200 Millionen Fahrgäste lassen sich jedes Jahr mit dem Tram durch Zürich befördern. Einige Trams haben allerdings noch "Schwarzfahrer" im Dienste der Wissenschaft an Bord. Zehn Trams der VBZ transportieren nämlich nicht nur Passagiere, sondern sind auch als mobile Luftmessstationen unterwegs. Auf ihren Dächern sind kleine Boxen angebracht, die seit fast zwei Jahren unermüdlich Daten zur Luftqualität liefern. Die Messstationen werden von Wissenschaftlern um Lothar Thiele, Professor am Institut für Technische Informatik und Kommunikationsnetze, im Rahmen des Projekts Opensense betrieben. Jetzt stellt das Forschungsteam erstmals detaillierte Karten zur Luftqualität in Zürich vor, die mit Hilfe dieses Datenmaterials erstellt wurden.

Messstation in einer Schuhschachtel

Vergrösserte Ansicht: Messstation
Die Opensense-Boxen: Nur so gross wie eine Schuhschachtel, aber vollgepackt mit Sensoren. (Bild: ETH Zürich)

30 Millionen Messungen, auf diesen stolzen Datensatz können Olga Saukh, David Hasenfratz und Christoph Walser von Thieles Forschungsteam heute zurückgreifen. Die Daten sind einmalig, weil sie das ganze Stadtgebiet in einer nie dagewesenen Dichte abbilden. Die schuhschachtelgrossen Boxen ermitteln den Anteil von Ozon, Kohlenmonoxid und Feinstaub in der Luft. Im Schnitt machen die Boxen alle fünf Sekunden eine Messung. Wenn das Tram in Fahrt ist, messen die Forschenden die Luftqualität im Abstand von etwa 50 Metern. Um so viele Messungen überhaupt vornehmen zu können, musste das Team spezielle, auf den mobilen Einsatz ausgerichtete, Messboxen entwickeln. «Es war äusserst anspruchsvoll, die richtigen Sensoren zu finden, die klein und mobil einsetzbar sind», erklärt Saukh. Fündig wurde das Team unter anderem bei der Fachhochschule Nordwestschweiz. Die dort entwickelten Sensoren für Feinstaub sind ideal für das Opensense Projekt. Die hohe Qualität der Messungen und eine automatisierte Kalibrierung und Wartung der Sensoren wurden erst möglich, weil die ETH-Forschenden mit eigenen Strategien und Algorithmen arbeiteten.

Auf 100 Meter genau

Aus den Daten hat das Forschungsteam nun Verschmutzungskarten der Stadt Zürich erstellt, in einer bisher nicht erreichten zeitlichen und räumlichen Auflösung. Konkret heisst das: Die neuen Karten sind auf 100 m genau und die Forschenden können, Jahres- Monats-, und sogar Tageskarten erstellen. So ist zum Beispiel die erhöhte Konzentration von Feinstaubpartikeln entlang der Hauptverkehrsachsen im Frühling deutlich als gelbe Linie erkennbar. Im Winter können die Konzentrationen wetterbedingt so stark ansteigen, dass ganze Teile der Stadt gelb oder gar rot – was eine sehr hohe Konzentration bedeutet – eingefärbt sind.

Da die Messungen entlang der Tramstrecken stattfinden, müssen die Datenlücken zwischen den Tramlinien mit Hilfe von Modellierungen geschlossen werden. Hasenfratz erläutert, wie das funktioniert: «Wir haben unsere eigenen Daten noch mit anderen frei zugänglichen Daten wie Verkehrsaufkommen oder Häuserdichte kombiniert. So bekommen wir ein gutes Gesamtbild der Stadt.»

Vergrösserte Ansicht: Karten Luftqualität
Auf den detaillierten Karten erkennt man deutliche Unterschiede in der Feinstaubbelastung zwischen Frühling (links) und Winter (rechts). (Bild: ETH Zürich)

Detaillierter Blick auf die Luftqualität

Da viele Menschen bei zu hohen Ozon- oder Feinstaubkonzentrationen gesundheitliche Einschränkungen spüren, ist das Interesse, die Schadstoffbelastung im Raum Zürich möglichst exakt zu bestimmen, gross. Die Forschenden von Opensense sind deshalb nicht die einzigen, die Messungen zur Luftqualität durchführen. So betreibt das externe Seite Nationale Beobachtungsnetz für Luftfremdstoffe (NABEL) des Bafu und der Empa eine Messstation bei der Kaserne und das externe Seite Netz Ostluft, ein Verbund der Ostschweizer Kantone, ermittelt regelmässig Schadstoffwerte an vier Standorten. «Wir stehen in regelmässigen Kontakt mit diesen stationären Messstationen und es spricht für unsere Messungen, dass wir dort, wo wir vergleichbare Daten haben, zu denselben Resultaten kommen», sagt Saukh. Wenn es um eine Einschätzung der Zürcher Luftqualität geht, werden die Forschenden von Opensense von Christoph Hueglin, einem Luftqualitäts-Experten der Empa und Projektleiter von NABEL, unterstützt. Für Hueglin ist klar: «Die Resultate von Opensense erlauben einen detaillierten Blick auf die Verteilung der Luftschadstoffe im Raum Zürich, die gemessenen Konzentrationen liegen aber im erwarteten Bereich.»

Mobile Joggingempfehlung

Die Boxen von Opensense werden noch zwei weitere Jahre kreuz und quer durch Zürich fahren und Daten liefern. In Zukunft könnten die mobil gesammelten Daten auch mobil abrufbar sein. Es wäre vorstellbar, dass aktualisierte Karten per Smartphone jederzeit abgerufen werden können. Hasenfratz denkt über praktische Verwendungszwecke nach: «Jogger oder Radfahrer könnten beispielsweise so entscheiden, welche Strecke sie während einer bestimmten Zeit besser meiden sollten.»

Da die Auflösung der Karten so präzise ist, könnte man zudem genauer bestimmen, ob Massnahmen zur Verbesserung der Luftqualität auch wirklich greifen und wo sich ihr Einfluss bemerkbar macht. Die Forschenden hoffen anhand ihrer Daten Aussagen machen zu können, wie sich zum Beispiel verkehrstechnische Massnahmen wie die Westumfahrung oder der Einsatz von besseren Partikelfiltern bei Fahrzeugen auf die Luftqualität auswirken.

Ein weiterer Vorteil des Opensense-Projekts: Die relativ geringe Luftverschmutzung in Zürich hilft, die Genauigkeit und Sensitivität des Messsystems zu prüfen und zu verbessern. Die Boxen könnten deshalb auch gut in anderen Regionen eingesetzt werden, die regelmässig mit einer hohen Luftverschmutzung zu kämpfen haben.

Die Studie ist online auf der Website des Instituts verfügbar.

Ähnliche Themen

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert