Angespannte Klimadiskussion
Mit steigender politischer und wirtschaftlicher Relevanz gestaltet sich die Diskussion um die Klimaforschung in der Öffentlichkeit schwierig. Der Klimawandel ist für viele eine Glaubensfrage, und oft werden Fakten und Meinungen vermischt. Das erschwert eine sachliche Diskussion.
Vor einigen Wochen ist Lennart Bengtsson, ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts in Hamburg und Meteorologe, der Global Warming Policy Foundation (GWPF), einem rechtsstehenden Think Tank in England, beigetreten. Er äusserte sich kritisch zum Konsens des menschengemachten Klimawandels. Sein Interesse sei rein wissenschaftlich, und er bedaure die Politisierung der Klimaforschung, sagte er in einem Interview [1]. Gleichzeitig machte er in einem Meinungsbeitrag in der Neuen Zürcher Zeitung jedoch Aussagen, dass die Schweiz auf Kernenergie setzen solle, dass Anpassung wichtiger sei als Klimaschutz, und welche Rolle die Schweiz in den internationalen Klimaverhandlungen einnehmen soll [2]. Wochen später verliess Bengtsson die GWPF wieder: Er sei von Forscherkollegen massiv unter Druck gesetzt worden und fühle sich an die Kommunistenverfolgung in den Fünfzigerjahren in den USA erinnert [3].
Falls eine solche Hetzjagd wirklich stattgefunden hat, dann ist sie mit aller Deutlichkeit zu verurteilen. Persönliche Angriffe sind unangenehm: Einige E-Mails sind vielleicht noch amüsant, etwa die Aufforderung, die Klimawissenschaftler mögen im Winter doch einmal den nackten Hintern gegen den wolkenlosen Himmel strecken, um zu überprüfen, ob es die Rückstrahlung des Treibhauseffektes wirklich gibt. Andere sind weniger erheiternd. Keine Frage: Kritische Debatten sind ein wesentlicher Bestandteil der Wissenschaft, aber sie müssen fachlich begründet sein.
Politischer Druck auf Klimaforschung
Wie relevant die Klimaforschung für die Politik und Wirtschaft geworden ist, zeigt der jüngste Klimabericht von IPCC. Die Politik kann Aussagen und Zahlen in diesem Bericht nicht ändern, aber sie hat versucht, darauf Einfluss zu nehmen, welche Aussagen schliesslich in der Zusammenfassung für Entscheidungsträger stehen. Im ersten Teil des IPCC-Berichtes etwa wollten einige Länder gewisse Aussagen zur CO2-Reduktion für das Zwei-Grad-Klimaziel nicht akzeptieren [4]. Nach einer langen Verhandlungsnacht ohne Schlaf haben die Länder schliesslich doch eingelenkt. Beim dritten Teilbericht hingegen war der Druck der Politik so gross, dass die Zusammenfassung gekürzt wurde [5]. Ironischerweise waren es Angaben über die CO2-Emissionen der Vergangenheit, welche die Länder selber deklarieren. Die offensichtliche Aussage, dass der grösste Teil des Anstiegs der globalen CO2-Emissionen seit dem Jahr 2000 in Schwellenländern wie China stattgefunden hat, wurde samt entsprechender Abbildung gestrichen. Die Begründung: Das sei hinderlich für die politischen Klimaverhandlungen [6].
Glaubensfrage Klimawandel
Mitunter wird der Klimawandel fast zur Glaubensfrage. Die Gründe dafür sind vielfältig. So beeinflussen etwa aktuelle Ereignisse unsere Meinung. An heissen Tagen glauben mehr Menschen an den Klimawandel [7]. Gleiches tut unser Umfeld: Wir übernehmen, was andere glauben, die ähnliche Wertvorstellungen haben. Eine Studie hat vor kurzem gezeigt, dass es kaum einen Zusammenhang gibt zwischen Bildung und Informationsverfügbarkeit einerseits und der Besorgnis über den menschgemachten Klimawandel andererseits, jedoch klare Hinweise darauf, dass unsere Meinung von der Meinung in unserem nahen Umfeld dominiert ist [8]. In einer Zeit, wo jede Art von Information ohne Qualitätssicherung im Internet verbreitet werden kann, ist es einfach, eine Bestätigung für die eigene, vorgefasste Meinung zu finden. Zudem: Der Klimawandel ist kaum spürbar, sehr abstrakt, weit weg, und betrifft uns (noch) nicht.
Man würde meinen, dass die Beobachtungen der Temperatur und die Methoden der Klimamodelle nichts mit der Politik zu tun haben. Aber eine US-Studie zeigt, dass viele amerikanische Politiker im rechten Teil des Spektrums nicht der Ansicht sind, dass es den Klimawandel gibt. Interessanterweise sind diejenigen, die den Klimawandel am stärksten abstreiten, auch am wenigsten bereit, ihre Meinung zu überdenken [9]. Diese Polarisierung gibt es seit Jahren [10], und die oben diskutierten Ereignisse passen in dieses Bild.
Fakten und Meinungen trennen
Tatsache ist, dass je nach Land und Studie weniger als zwei Drittel der Bevölkerung denken, dass es den Klimawandel gibt. In den USA meint nur etwa ein Drittel, dass er weitgehend menschengemacht ist [11]. Angesichts der überwältigenden wissenschaftlichen Evidenz ist das erschreckend. Aber bei anderen Fakten findet man ähnliche Zahlen. Weniger als zwei Drittel der Amerikaner glauben an die Evolution, und dass das Universum mit dem Urknall begonnen hat, und diese Zahlen sind übrigens seit vielen Jahren konstant [12]. Man hat eine Meinung zu wissenschaftlichen Fakten wie man eine Meinung hat zur Einwanderung oder zur Abtreibung. Das macht die Diskussion nicht einfach.
Dabei steht viel auf dem Spiel. Eine komplett wertfreie Diskussion und Interpretation der Fakten ist zwar kaum möglich. Aber zumindest müssen wir alle versuchen, einander ernst zu nehmen, und Fakten von Meinungen zu trennen. Das gilt selbstverständlich auch für die Wissenschaftler [13]. Die Beobachtung und Voraussage des Klimawandels sollte objektiv möglich sein. Wie wir mit den Voraussagen umgehen, und welche Risiken wir in Kauf nehmen wollen, darüber können und werden sich die Geister scheiden. Denn wie wir den Vorteil von günstiger Energie heute gegenüber den potenziellen Nachteilen für die nächsten Generationen bewerten, ist eine ethische Frage. Wenn wir diese Werte und die damit verbundenen politischen Meinungen besser von den Fakten trennen könnten, wäre vielleicht eine konstruktivere Diskussion möglich.
Weiterführende Informationen
[1] externe Seite Interview Lennart Bengtsson
[2] externe Seite Interview Bengtsson Klimazwiebelexterne Seite Kommentar Bengtsson NZZ externe Seite Kommentar Knutti NZZ
[6] Tagesanzeiger
[7] externe Seite AMS Journals online
[8] externe Seite Nature Climate Change
[9] externe Seite Yale: Politics and Global Warming
[10] externe Seite The Guardian
[11] externe Seite Yale: Public Understanding vs. Scientific Consensus
[12] externe Seite The Atlantic
[13] Beitrag Zukunftsblog
Kommentare
Sehr geehrter Herr Prof. Knutti, Sie schreiben in Ihrem Bericht bezüglich anthropogenem Klimawandel:“Angesichts der überwältigenden, wissenschaftlichen Evidenz ist das erschreckend...“ Leider fehlt grad hier eine Quellenangabe. Könnten Sie mir wenigstens ein paar wissenschaftliche Fakten zeigen? Ich bin seit Wochen auf der Suche nach relevanten Daten die mir diese überwältigende wiss. Evidenz aufzeigen. Wenn ich im IPCC Report dann auch noch solch nicht wissenschaftliche Grafiken finde wie z.B. im IPCC Report 2007, chapter 3, page 253 über einen noch nie dagewesenen Temperaturanstieg wie 1979-1999 dann finde ich das einfach nur traurig wie Wissenschaftler heute scheinbar arbeiten und stützt nicht gerade die Pro Seite. Also worauf stützt sich denn diese Evidenz? Nur auf Klimamodelle? Nicht einmal eine Korrelation zwischen CO2 Anstieg und Temperaturanstieg ist zu erkennen (UAH Satellite Data und Hawaii CO2 Messung). Vielen Dank für ein paar Hinweise.
Was man nicht ändern kann - oder nur mit unverhältnissmässigem Einsatz - das leugnet man gern. Deshalb ist das Argument beliebt, die CO2-Reduktionen des eigenen Landes senkten die globale Temperatur bis 2050 nur im Bereich von Hundertselgraden. Aus ähnlichen Gründen neigen Klimaschuzaktivisten dazu , die Kosten ihrer Programme kleinzurechnen.
Lieber Herr Knutti, Sie erfassen es richtig: Bei Klimaforschung geht es nur um Meinungen, Hypothesen und einer Prise Dogmatik. Eine oft gestellte und von den Wissenschaftlern nicht beantwortete Frage betrifft die der Thermodynamik: Verletzt der Treibhausgaseffekt die Gesetze der Physik? "Das Klimadogma beruht auf der Behauptung, dass Treibhausgase aus der kalten Atmosphäre heraus den viel wärmeren Erdboden aufheizen. Dies verletzt aber den 2. Hauptsatz der Thermodynamik, nach dem Wärme niemals von allein von kalt nach warm fließen kann." Siehe http://www.ke-research.de/downloads/Treibhaus.pdfcall_made LG A. Volkart
Lieber Herr Volkart, Nach Ihrer Aussage würden alle Klimamodelle die Grundgesetze der Physik verletzen. Warum sollten Sie dann gleichzeitig die Temperaturverteilung an jedem Punkt der Oberfläche, den Verlauf der Jahreszeiten, die Wolkenbedeckung, die Niederschlagsmuster, den Temperaturverlauf über die Höhe, die kurz- und langwellige Strahlung an der Oberfläche, die Strahlung weit oben in der Atmosphäre, etc. korrekt wiedergeben? Mit dem Dokument, das Sie verlinken, bestätigen Sie genau meinen Punkt. Der Satz in der Einleitung ist typisch: "Politikern jedoch dient sie [die Lehrmeinung] als Vorwand, um den Bürgern Steuern und Abgaben aufzuerlegen." Weil man keine Steuern will, beweist man dass die Physik falsch ist. Darum mein letzter Satz im Blog Beitrag: "Wenn wir [...] politischen Meinungen besser von den Fakten trennen könnten, wäre vielleicht eine konstruktivere Diskussion möglich." Beste Grüsse, Reto Knutti
Es ist schon bemerkenswert wieso jemand der den Klimawandel bzw. den antropogenen Anteil daran abstreitet propagiert, man solle auf Kernenergie setzten. In diesem Fall wäre ja z.B. Kohlestrom die deutlich kostengünstigere Variante. Beim Thema Atomstrom ist die pro Haltung meist sehr einseitig: die Problematik des Abbaus und der "Entsorgung" aber auch die Auslandabhängigkeit werden oft einfach ausgeblendet. Überhaupt hat elektrische Energie gerade in der CH nur einen kleinen Anteil an den CO2 Emissionen; neben Wärmeenergie und Verkehr. Werden alle negativen Faktoren der nicht erneuerbaren berücksichtig, ist der Entscheid zukünftig deren Anteil zu verringern, meiner Ansicht nach, der Vernünftigste. Und nach meiner 20 jährigen Erfahrung im Energiebereich auch machbar. Aber natürlich nur, wenn die Bereitschaft da ist, unser Geld zukünftig anders zu investieren und unsere Lebensweise anzupassen. Und diese Nuss ist offensichtlich eine ganz harte.
@Hiller Peter 18. Juni 2014. danke für ihre Antwort Herr Hiller. Energieeffizienz kann die 33% Strom-"verluste" sicher reduzieren. Doch dieses Potenzial voll auszuschöpfen ist schwierig. Das ist genau so schwierig wie zu vermeiden , dass 33% aller Lebenmsittel weggeworfen werden - was ja in der Schweiz Tag für Tag passiert. Sie weisen selbst auf die Schwierigkeit hin. Alles aus folgender Liste "Direktheizung, Trinwassererwarmung, Kleider- und Geschirrwaschmaschinen, Niedertemperatur Industrieprozesse etc., zum Antrieb von ineffizienten WP Anlagen" entsteht praktisch von alleine durch Bequemlichkeit und Unachtsamkeit und es bedürfte täglicher Optimierung von Entscheidungen, Einkäufen und des Betriebs um das zu ändern.
Grüezi Herr Holzherr Das mit der Kohle sehe ich natürlich genauso. Bezüglich dem Strom jedoch nicht. Heute werden bei uns ca. 1/3 des Stromes schlicht verheitzt (Direktheizung, Trinwassererwarmung, Kleider- und Geschirrwaschmaschinen, Niedertemperatur Industrieprozesse etc.) Oder zum Antrieb von ineffizienten WP Anlagen verwendet (JAZ < 3). Überhaupt ist unser Umgang mit Strom, im Hauhalt, Gewerbe und Industrie, sehr ineffizient. Diesbist eine Folge der tiefen Strompreise und des Atom Nachtstromes. Das Potential für Effizienzsteigerung ist also sehr gross! Dazu gibt es auch diverse Studien. Es ist meiner Ansicht nach sehr fragwürdig, ob wir also weiterhin hochwertigen Strom verheizen wollen. Zumal heute schon einige EFH und MFH zu 80 bis 100% mit Solarthermie versorgt werden (Heizung und TWW). Ob Geothermie dereinst in grösserem Umgang genutzt werden kann ist keineswegs sicher. Bei PV und Wind ist, wenn deren Anteil zulegen das Speicherproblem noch nicht gelöst (Wirtschaftlichkeit, Lebensdauer, Entsorgung bzw. Wiederverwertung). Es ist und bleibt auf jeden Fall spannend!
Strom und lokal Erdwärme (Wärmepumpe, evtl Geothermie) sind in einer dekarbonisierten Welt die Hauptenergiequellen. Deshalb ist folgende Aussage nicht zukunftssicher (Zitat)"Überhaupt hat elektrische Energie gerade in der CH nur einen kleinen Anteil an den CO2 Emissionen", denn die Bedeutung von Strom nimmt zu. Meine Behauptung: Will man das 2°C-Ziel erreichen können die Braunkohlekraftwerke, die jetzt in Deutschland laufen und noch gebaut werden und die mehr Strom liefern als Wind+Sonne zusammen, nicht bis 2050 und darüber hinaus betrieben werden.
Welcher der folgenden "Klimatiker", die von der Klimagemeinde angefeindet werden, sind echte Klimawandelskeptier ?: Lennart Bengston (wohl ja), Hans von Storch (? "Die Klimafalle"), Myles Allen (eher nicht), Nick Lewis (??), Roger Pielke junior (??) Diese Klima-Thematiker sind nämlich alle von der Klimagemeinde angefeindet. Roger Pielke wurde gerade vom Ökonomen Paul Krugman abgekanzelt (Zitat: "Pielke is regarded among climate scientists as a concern troll"). Nick Lewis findet sich in der Climate Denier-Liste (Internet), Myles Allen glaubt an Carbon Capture and Storage (Zitat: <I>"Green levies may well be 'crap'. The way to deal with carbon is to bury it"</I>) als Lösung des Klimaproblems (viele Deutsche wären wohl versucht ihm die Einreise zu verweigern). Zur Klimagemeinde im engeren Sinn zähle ich Klimawissenschaftler, die 1) vor einem möglicherweise katastrophalen Klimawandel warnen 2) die auf Erneuerbare schwören und Atomenenergie+CCS ablehnen Für diese Klimagemeinde im engeren Sinn gehört sogar der Begründer des Faches, James Hansen zu den suspekten Personen, weil James Hansen immer wieder für die Atomenergie eintritt. Ein typischer Vertreter der Klimagemeinde im engeren Sinn hält dagegen viel von Mark Jacobsons Studie, die die USA bis 2050 mit Wind, Sonne + Gase 100% erneuerbar machen will. Zum Glück ist der letzte IPCC-Bericht (AR5) aber eher zu vorsichtigeren Aussagen - praktisch in den Schoss der Physik - zurückgekehrt.