Zellen in Mantelgestein gefunden
Eine internationale Meeresexpedition an den Mittelatlantischen Rücken, geleitet von ETH-Professorin Gretchen Bernasconi-Green, entdeckte in einem Bohrkern des Meeresbodens Lebensspuren. Die Geologin erklärt, was dies bedeutet.
Ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wisssenschaftlern ist im Dezember von einer Expedition zum Atlantis-Massif, einem unterseeischen Bergmassiv mitten im Atlantik, zurückgekehrt. Auf dieser Expedition des International Ocean Discovery Program (externe Seite IODP) ist es den Forschenden gelungen, eine Abfolge von Mantelgesteinen in Bohrkernen vom Meeresgrund beim berühmten Hydrothermal-Feld «Lost City» zu gewinnen. Bei der Analyse der Gesteinsproben entdeckten die Wissenschaftler Spuren von Leben. Co-Expeditionsleiterin, die ETH-Professorin Gretchen Bernasconi-Green, erklärt im Interview mit ETH-News, ob und weshalb der Fund eine wissenschaftliche Sensation ist.
ETH-News: Frau Bernasconi-Green, eine von Ihnen geleitete Expedition zu «Lost City» entlang des Mittelatlantischen Rückens hat im Mantelgestein Spuren von Leben entdeckt. Das klingt nach einer wissenschaftlichen Sensation. Ist es das?
Gretchen Bernasconi-Green: Ich möchte vorausschicken, dass wir nicht im Erdmantel Spuren von Leben gefunden haben, sondern in Gestein, das aus dem Erdmantel stammt. Bei «Lost City» ist dieses Gestein aufgrund tektonischer Vorgänge auf dem Meeresgrund vorhanden, da dort Platten auseinander driften und grosse Verwerfungen aktiv sind, sodass wie auf einem Förderband Mantelmaterial an die Oberfläche vordringt. Mit Bohrungen konnten wir Mantelgestein-Proben gewinnen. Aus einer dieser Proben isolierte ein Mikrobiologe an Bord des Forschungsschiffes Zellen.
Was für Zellen?
Bis jetzt wissen wir nur, dass wir Zellen gefunden haben. Es könnte sich um Bakterien oder um sogenannte Archaeen handeln, genau wissen wir das noch nicht. Die Zellen unterscheiden sich aber beträchtlich von denen, die wir aus dem Meeressediment kennen. Sie werden nun im Labor bestimmt und charakterisiert. Ungewöhnlich und aufregend für uns ist, dass diese Zellen im Mantelgestein vorkommen und wahrscheinlich nicht aus dem Meerwasser stammen.
Halten Sie Leben in einem Gestein überhaupt für möglich?
Ja, das ist durchaus möglich. Das Mantelgestein enthält das Mineral Olivin. Dieses wandelt sich bei Kontakt mit Wasser schon bei tiefen Temperaturen in Serpentinit um. Dabei entstehen Wasserstoff und Methan. Beide Gase dienen Mikrolebewesen, die ohne Sonnenlicht auskommen müssen, als Energiequelle. Möglicherweise sind die von uns gefundenen Zellen in der Lage, diese Gase, die auch im Innern des Gesteins vorhanden sind, für ihren Stoffwechsel zu nutzen. Aber das Leben im Gestein ist ein hartes Leben, und die Mikroben sind lebensfeindlichen Bedingungen ausgesetzt. Die Fluide, die aus den Schloten von Lost City austreten, sind mit einem pH-Wert von 11 extrem basisch. Damit sind sowohl die Schlote wie auch deren Umgebung selbst für zähe Mikroorganismen nur schwer besiedelbar.
Was bedeutet der Fund von Zellen in einem solchen Gestein?
Die Umwandlung von Olivin zu Serpentin läuft möglicherweise auch auf anderen Planeten ab, wie etwa dem Mars. Dort wurde ja auch schon Methan und Wasserstoff nachgewiesen. Manche Wissenschaftler glauben, das würde an sich genügen, um die Entstehung einfacher Lebensformen zu ermöglichen.
Welche weiteren Ziele hatten Sie sich für diese Expedition gesetzt?
Primär wollten wir herausfinden, wie Mantelgestein zum Meeresboden gelangt und wie dieses mit Meerwasser reagiert. Im Fokus stand der erwähnte Serpentinisierungsprozess. Auch wollten wir mehr über die Karbonisierung, die zur Bildung der Schlote von Lost City geführt hat, herausfinden. Die Türme bestehen ja aus Kalk, also Kalziumkarbonat, das aus den basischen Fluiden ausfällt. Das ist eine Form von natürlicher Kohlenstoff-Fixierung. Wir wollten das Potenzial dieser Fixierung ausloten, auch im Hinblick auf eine künstliche CO2-Sequestrierung auf dem Meeresboden mithilfe solcher Serpentinisierungsreaktionen.
Können Sie zu diesem Potenzial schon Aussagen machen?
Wir sind mit den Analysen der Bohrkerne noch nicht fertig. Aber ich schätze das Potenzial als eher gering ein. Machbar wäre es, aber der Aufwand, um nennenswerte Mengen CO2 an solchen Stellen zu binden, scheint sehr gross – zu gross, um erfolgreich zu sein.
Was sind weitere Erkenntnisse oder Erfolge der Expedition?
Bei dieser Expedition haben wir zum ersten Mal neuartige Bohrgeräte sogenannte «Seabed Rock Drills» verwendet, um Bohrkerne zu gewinnen. Diese Bohrgeräte liegen direkt auf dem Meeresboden und können 50 bis 70 Meter tief ins Gestein bohren. Der Vorteil gegenüber der herkömmlichen Methode, ist, dass der Wellengang die Bohrungen weniger stark stört. Auch sind die Bohrköpfe feiner. Dies schont das Gestein. Da Meerwasser durch die Bohrlöcher in den Untergrund dringen kann, haben wir vier Bohrlöcher mit einem neuen Verfahren verschlossen. Auch das ist eine Novität mit Meeresbohrgeräten. In einem Jahr können wir die Stöpsel entfernen und Messungen durchführen, da sich die Störungen im und um das Bohrloch bis dahin gelegt haben. Darüber hinaus hatten wir verschiedene Sensoren auf den Bohrgeräten montiert und konnten zum ersten Mal direkt vor, während und nach einer Bohrung die Wassertemperatur, das Redox-Potenzial, die Methan-Konzentration und den Säuregrad des Wassers messen.
Wie geht es weiter?
Die gewonnenen Bohrkerne wurden nach Bremen zum Zentrum für marine Umweltwissenschaften Marum gebracht und in den letzten zwei Wochen von den 30 beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – Frauen waren erstmals auf einer IOPD-Mission in der Mehrzahl! – untersucht. Sie werden nun kleinere Proben an ihre Heimuniveristäten nehmen und weiter analysieren. In etwa zwei Jahren werden alle wieder zusammenkommen und die Resultate diskutieren.
Werden Sie sich an den Analysen beteiligen?
Ja, ich werde Proben an die ETH Zürich bringen und zusammen mit meinen Mitarbeitern auf Karbonate, organischen Kohlenstoff und mineralische Reaktionen in Zusammenhang mit der Serpentinisierung analysieren.
Dieses Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds mitfinanziert, der auch die Schweizer Mitgliedschaft beim IODP sicherstellt.
Lost City
Im Jahr 2000 entdeckten Forscherinnen und Forscher während einer Expedition der US National Science Foundation im Atlantis-Massiv ein Feld von hydrothermalen Quellen mit skurrilen, bis zu 60 Meter hohen Schloten aus Kalk. Die Forschenden nannten das Gebiet in Anlehnung an die untergegangene mystische Stadt Atlantis externe Seite Lost City. Das Gebiet liegt seitlich eines Unterwassergebirges von 3800 Meter Höhe und ist Teil des 20'000 Kilometer langen Mittelatlantischen Rückens. Lost City unterscheidet sich stark von anderen hydrothermalen Gebieten, wie den «Black Smoker»-Schloten. Die Lost City-Schlote geben vor allem Methan und Wasserstoff in das umgebende Wasser ab. Diese Gase stammen aus hoch basischen, konzentrierten Lösungen mit einem pH-Wert von 9 bis 11 und Temperaturen zwischen 40 und 90°C. Diese Fluide entstehen dadurch, dass Meerwasser mit dem Gestein aus dem Erdmantel reagiert und dieses zu Serpentin umwandelt.