Smarte Technik braucht smarte Nutzer
Was bringen smarte Assistenten und intelligente Stromzähler, wenn sie der Mensch nicht richtig nutzt? Um etwa die Energiewende zu meistern, braucht es eine Kombination von digitalen Technologien und smartem Nutzerverhalten. Hier können die Sozialwissenschaften helfen.
Ein Viertel des weltweiten Energieverbrauchs entfällt auf Haushalte – Tendenz steigend, selbst in OECD-Ländern, trotz effizienter Kühlschränke und besserer Wärmedämmung [1]. Wie viel Energie ein Haushalt benötigt, hängt stark vom Verhalten der Bewohner und deren Kaufentscheidungen ab.
Beides erfolgt selten auf der Basis gut informierter Abwägungen. Zum einen investieren Haushalte deutlich weniger in sparsamere Geräte und Energieeffizienz, als für sie wirtschaftlich sinnvoll wäre. Zum anderen bemühen sich Energiesparer oft in wenig wirksamen Bereichen: So achten viele penibel darauf, das Licht beim Verlassen des Raumes auszuschalten, lassen aber das Fenster gekippt – und unterschätzen dabei die relevanten Verbraucher Heizung und Warmwasser, die über 80 Prozent der Energie im Haushalt für sich beanspruchen.
Heilsbringende Informationstechnologie?
Zahlreiche Firmen, Organisationen und Politiker hoffen deshalb auf den digitalen Fortschritt. Intelligente Stromzähler und schlaue Apps sollen den Bürgerinnen aufzeigen, wo sie wirksam Energie sparen können. Bislang sind die Resultate eher ernüchternd: In grossflächigen Studien mit intelligenten Stromzählern betragen die erzielten Einsparungen etwa zwei Prozent des Stromverbrauchs (oder 0.5 Prozent des Energieverbrauchs) eines Haushalts.
Dies überrascht nicht übermässig: Bei der Entwicklung solcher Systeme stehen meist technische und juristische Themen im Vordergrund, aber nicht die Frage, wie sie gestaltet sein müssen, damit sich die Menschen damit aktiv beschäftigen wollen. Viele Systementwickler gehen von einem Nutzer aus, der auf Basis rational-ökonomischer Aspekte Informationen wohlüberlegt abwägt und optimiert.
Smarte Technik kann von den Sozialwissenschaften profitieren
Unser Verhalten ist jedoch alles andere als rational. So unterliegt es zahlreichen kognitiven Verzerrungen und Fehlwahrnehmungen. Faktoren wie soziale Normen (was andere tun und denken) oder Defaults (vorgegebene Einstellungen) bestimmen unser Denken und Handeln stärker, als es den meisten von uns bewusst ist.
Ob wir uns beispielsweise für Grünstrom entscheiden, ist nicht nur eine Frage des Preises: So hat ein deutscher Energieversorger den Anteil an Grünstromkunden unter seinen Neukunden verzehnfacht, indem er einfach das Häkchen im Auswahlmenu beim Grünstrom platziert hat, statt wie zuvor beim «grauen» Strom. Haben die Kunden nun versehentlich einen Grünstromvertrag abgeschlossen? Nein – wie eine Begleitstudie zeigt: Den meisten Menschen ist die Umwelt wichtig; deshalb fällt es uns schwerer, sich aktiv für «grauen» Strom und gegen Grünstrom zu entscheiden, als Graustrom zu beziehen, wenn das Häkchen schon dort platziert ist [2].
Die Sozialwissenschaften haben über Jahrzehnte Erkenntnisse gewonnen, wie verschiedene Informationen unser Verhalten beeinflussen, und wie man diese darstellen muss, damit Menschen sie wahrnehmen und darauf reagieren. Auf dieser Basis lassen sich Informationssysteme zum Energieverbrauch viel wirksamer und kostengünstiger gestalten, als dies heute der Fall ist.
Die Energieversorger haben bereits jahrelange Erfahrung mit Datenanalysen und Kundensegmentierung. Sie können heute schon Massnahmen systematisch auf ihre Praxistauglichkeit testen. Um aber die Mehrheit der Kunden effektiv dazu zu bringen, sich mit ihrem Energieverbrauch auseinanderzusetzen, sind Erkenntnisse zum menschlichen Verhalten unabdingbar.
Sozialwissenschaften können von smarter Technik profitieren
Smartphones, intelligente Gadgets und ausgeklügelte Sensoren erfassen immer mehr Daten in vielen Lebensbereichen. Sie ermöglichen es, zeitnah und situativ relevante Informationen bereit zu stellen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist es heute möglich, kostengünstig Verhaltensdaten «aus der freien Wildbahn» und über längere Zeiträume zu erfassen. Dies bietet eine wertvolle Ergänzung zu den kontrollierten, jedoch meist künstlichen Bedingungen von Laborstudien, die oft mit hohen Kosten verbunden sind. Die digitale Technik gestattet es zudem, Massnahmen individuell anzupassen und kontinuierlich zu verbessern.
Den Menschen befähigen – nicht bevormunden
Selbstverständlich muss dabei das Ziel sein, Systeme zu entwickeln, die uns unterstützen, aber nicht manipulieren. Als Forschende müssen wir sicherstellen, dass der Datenschutz, die Privatsphäre des Einzelnen und die Integrität der Wissenschaft gewahrt bleiben. Wir alle sollten uns der Verantwortung beim Umgang mit persönlichen Daten bewusst sein. Dies vorausgesetzt, bietet die Kombination von digitalen Techniken und Sozialwissenschaften grosse Chancen für die Energiewende – und darüber hinaus.
Weiterführende Informationen
Tiefenbeck, Verena. "Bring behaviour into the digital transformation." externe Seite Nature Energy 2 (2017): 17085.
[1] Energy Efficiency Indicators: Essentials for Policy Making. (International Energy Agency, 2014).
[2] Ebeling, Felix, and Sebastian Lotz. "Domestic uptake of green energy promoted by opt-out tariffs." Nature Climate Change 5.9 (2015): 868-871.
Zur Autorin
Verena Tiefenbeck
Oberassistentin am Bits to Energy Lab, ETH Zürich
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