«Das ist, wie wenn man die A-Jugend von Barcelona spielen sieht»

An der ETH Zürich fördert die Forschungskommission junge Talente zu Beginn ihrer Laufbahn sowie Projekte, die wissenschaftliches Neuland erschliessen. Heute feiert diese Kommission ihr 75-jähriges Bestehen. Kommissionspräsident Uwe Sauer erklärt, wie es mit ihr weitergeht.

Vergrösserte Ansicht: Die Zukunft im Blick: Die Forschungskommission der ETH Zürich fördert unkonventionelle, originelle Forschung. Gegründet wurde sie im Zweiten Weltkrieg. (Bild: Computer Graphics Laboratory / ETH Zürich)
Die Zukunft im Blick: Die Forschungskommission der ETH Zürich fördert unkonventionelle, originelle Forschung. Gegründet wurde sie im Zweiten Weltkrieg. (Bild: Computer Graphics Laboratory / ETH Zürich)

ETH-News: Welche Art von Forschung fördert die Forschungskommission der ETH Zürich?
Uwe Sauer: Wir fördern grundlegende Forschung aus allen Disziplinen der ETH Zürich, und explizit auch die Zusammenarbeit innerhalb und zwischen Disziplinen. Unsere Förderung berücksichtigt die Naturwissenschaften genauso wie die Ingenieur- und Sozialwissenschaften, und sie umfasst die Anwendung ebenso wie Methodenentwicklung und Grundlagenforschung. Unser Anspruch ist: Wir wollen eine Tür öffnen für originelle Forschungsideen, die langfristig neue Forschungsgebiete erschliessen können.

Gibt es dazu ein Beispiel?
In der Nanotechnologie entstehen derzeit viele Anwendungen, die für Materialwissenschaften, Chemie und Biologie interessant sind. In diesem Bereich haben wir in letzter Zeit einige Projektanträge gefördert, die ausprobieren wollen, wie diese Technologie sinnvoll eingesetzt werden kann. Für eine solche Anschubfinanzierung haben wir die «ETH Grants».

Ausser der ETH Zürich kennt einzig die Max-Planck-Gesellschaft eine interne Forschungsförderung.
Das hat systematische und historische Gründe: Als finanzielle Einschnitte anstanden, traf die ETH Entscheidungen, die in die Zukunft wiesen. Schulleitung und Professoren teilten die Meinung, dass es besser sei für die Forschung an der ETH Zürich, wenn die Forschungskommission einen Teil der Mittel kompetitiv vergebe.

Welche Bedeutung hat die Forschungskommission für die ETH Zürich?
Die gute Grundausstattung ist eine Stärke der ETH Zürich. Sie erlaubt es den Professuren, autonom ihren Forschungsideen zu folgen. Ein Gutteil der Grundausstattung wird jedoch gebraucht, um die komplexen Forschungsgeräte und Technologien zu unterhalten und das kompetente wissenschaftliche und administrative Personal zu entlohnen. Unsere kompetitive Förderung gibt ergänzend dazu den Forschenden die Chance, neue Ideen zu testen und neue Forschungslinien zu entwickeln. Die Qualität der Forschung an der ETH Zürich steigt dadurch insgesamt.

Weshalb?
Wem die Forschungskommission zu einem frühen Zeitpunkt eine Startfinanzierung gewährt, hat später sehr gute Chancen, bei grossen Förderorganisationen wie dem Schweizerischen Nationalfonds SNF oder dem Europäischen Forschungsrat ERC zu reüssieren. Das ist speziell für Assistenzprofessorinnen und -professoren und für den Mittelbau wichtig.

Uwe Sauer
Wir beurteilen alle Anträge nach dem gleichen Massstab der Qualität und der Originalität.Uwe Sauer, Präsident der Forschungskommission der ETH Zürich

Wie unterstützt die Forschungskommision junge Forschende am Anfang einer wissenschaftlichen Karriere?
Für junge Forschende ist es eine grosse Herausforderung, als selbständige Wissenschaftler wahrgenommen zu werden. Die ETH Zürich möchte das Innovationspotenzial auf allen Stufen nutzen. Entsprechend können Forschende aus dem Mittelbau, die keine Professur haben, bei uns kompetitive Fördermittel für eigene Forschung einwerben. Diese Chance haben sie zu Beginn ihrer Karriere fast nur bei uns. Damit trägt die Forschungskommission zur Karriereentwicklung und zum Erfolg von wissenschaftlichen Talenten bei.

Wieso ist Selbständigkeit für Jungforschende wichtig?
Weil sie ihr eigenes Forschungsgebiet wissenschaftlich entwickeln und dazu auch publizieren müssen – und zwar in eigenem Namen. Natürlich können junge Forschende innerhalb einer Professur ihre Karriere starten. Oft leiten sie eine Gruppe, die eine für die Professur wichtige, neue Technologie entwickelt oder ein Thema untersucht. Die Finanzierung der Forschungskommission ermöglicht es ihnen jedoch, ihre Forschungsidee völlig selbständig umzusetzen.

Fördern Sie den Mittelbau in die Breite oder in die Spitze?
Wir fördern Spitzenforschung. Also immer in die Spitze. Wir beurteilen alle Anträge nach dem gleichen Massstab der Qualität und der Originalität – für eine gezielte Anschubfinanzierung von neuen Ideen. Unser Juwel sind dabei die «ETH Fellowships». Das sind Stipendien, für die sich herausragende, überwiegend ausländische Postdoktorierende bewerben, um ihre Idee an der ETH umzusetzen. Das ist, wie wenn man die A-Jugend des FC Barcelona spielen sieht und entscheiden kann, wer zu uns in die erste Mannschaft kommt.

Wie stellt die Forschungskommission sicher, dass sie wirklich die qualitativ besten und originellsten Ideen fördert?
Alle Anträge durchlaufen ein mehrstufiges Evaluationsverfahren. Bei den «ETH Grants» diskutieren wir die Projekte und die dazu eingeholten externen Fachgutachten sowohl in den fachnahen Subkommissionen als auch im Plenum, um die originellsten zu identifizieren. Im Plenum sind die verschiedenen Forschungsbereiche der ETH Zürich ausgewogen vertreten, und es zählen die Argumente. Dieses System funktioniert gut. Bei den «ETH Fellows» treten die Kandidierenden zum Interview an. Dabei trennt sich die Spreu vom Weizen, weil wir sehen, wer mit uns auf Augenhöhe argumentiert und wessen Idee wirklich kreativ und exzellent ist.

Zum Schluss: In der Forschungskommission sitzen Sie sozusagen wie vor einem Fenster mit Ausblick auf die kommenden Forschungstrends. Sehen Sie einen solchen Trend?
Tatsächlich sind wir sehr nah an den aktuellen «Brennpunkten» der Forschung. Einer von diversen Trends betrifft die Drohnentechnologie. Wir sehen bei den Anträgen, dass die ETH Zürich in der Robotik und bei Drohnen extrem stark ist. Die Drohnentechnologie ist jetzt soweit, dass man sie für vielfältigste Aufgaben in der Forschung entwickeln kann. Zum Beispiel lassen sich Drohnen einsetzen, um die Qualität von Infrastrukturen wie Brücken zu überprüfen – oder um Gletscher in Polarregionen zu überwachen.

75 Jahre Forschungskommission ETH Zürich

Die Geschichte der Forschungskommission beginnt am 12. Dezember 1942: Damals beschloss der Schulrat, das oberste Leitungsgremium der Hochschule, die «Kommission für wissenschaftliche Forschung der E.T.H.» zu bilden. Die erste Aufgabe war abzuklären, «welche Institute der E.T.H. in der Lage sind, wertvolle Forschungsarbeiten im Interesse der Volkswirtschaft durchzuführen.» Während der Wirtschaftskrise der 1970-er Jahre entschied sich die ETH Zürich, die Kommission aufzuwerten und mehr Mittel in vielversprechende, befristete Forschungsprojekte zu stecken.

Quellen:

Aus der Geschichte der Forschungskommission

Am 12. Dezember 1942 beschloss der damalige Schulrat, die «Kommission für wissenschaftliche Forschung der E.T.H.» zu bilden (Bild: ETH-Bibliothek, Archive, SR2: Schulratsprotokolle 1942, Sitzung Nr. 8 vom 18.12.1942, Traktandum 137, Seite 359). Die Gründungsmitglieder der «Kommission für wissenschaftliche Forschung der E.T.H.».
Walter Saxer war ETH-Rektor und Gründungsmitglied der Forschungskommission. (Bild: Franz Schmelhaus / ETH-Bibliothek, Bildarchiv) Chemie-Nobelpreisträger Richard Ernst war langjähriges Mitglied der Forschungskommission und von 1990 bis 1994 auch deren Präsident. (Bild: ETH-Bibliothek, Bildarchiv) Seit September 2015 ist der Systembiologe Uwe Sauer Präsident der ETH-Forschungskommission. (Bild: Giulia Marthaler / ETH Zürich) Ein «Stück DNA der ETH Zürich» ist die Forschungskommission für den ETH-Vizepräsidenten für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen, Detlef Günther. Ihm ist die Kommission zugeordnet. (Bild: ETH Zürich) Die Forschungskommission entscheidet seit 1985 über den Latsis-Preisträger der ETH Zürich und das ETH Zürich Latsis Symposium – 2016 zur personalisierten Medizin, eröffnet von Detlef Günther. (Bild: Nik Chavannes / ITIS Foundation) «blue-c» war ein «Polyprojekt», ein frühes, ETH-eigenes Förderprojekt von Markus Gross, heute Direktor von Disney Research, das 3D-Abbildungen von Personen in Echtzeit erzeugte. (Bild: Computer Graphics Laboratory / ETH Zürich) Simone Schürle ist Assistenzprofessorin am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie. Sie war von 2014 bis 2015 eine SNF-Stipendiatin am MIT. Diese Stipendien evaluiert die Forschungskommission seit den 1950er-Jahren. (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich) Drohnen können künftig Gletscher in Polarregionen überwachen. Weil ihre Anwendbarkeit noch zu beweisen ist, unterstützte die Forschungskommission dieses Projekt. (Bild: Sun2Ice / ETH Zürich)

Die wichtigsten Förderinstrumente

Die Forschungskommission der ETH Zürich verfügt über ein Gesamtbudget von rund 20 Mio. Schweizer Franken. Dieses verteilt sich auf verschiedene Förderinstrumente, wobei sie einen Teil der Förderung im Auftrag des Schweizerischen Nationalfonds ausführt, zum Beispiel vergibt sie seit den 1950er-Jahren die SNF-Mobilitätsstipendien. Allein in den letzten 20 Jahren vergab sie rund 1100 SNF-Förderstipendien für einen wissenschaftlichen Auslandaufenthalt nach dem Doktorat. Nicht wenige dieser Stipendiaten wurden später an die ETH Zürich berufen.

Die wichtigsten ETH-eigenen Förderinstrumente sind:

  1. ETH Zurich Research Grants («ETH Grants») fördern innovative und unkonventionelle Forschungsprojekte an der ETH Zürich.
  2. ETH Zurich Postdoctoral Fellowships («ETH Fellows») fördern exzellente, internationale Postdoktorierende mit einem zweijährigen Stipendium an der ETH Zürich.
  3. ETH Zurich Career Seed Grants for Postdoctoral Researchers ermöglichen es Postdoktorierenden der ETH Zürich, kleine, unabhängige Forschungsprojekte umzusetzen.
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