Forschen in Zeiten von Fake News

Falschmeldungen gehen alle an. Doch Klimaforschende sind besonders betroffen. Reto Knutti über seine Erfahrungen mit Fake News und Verleumdungen.

Reto Knutti

Eine russische Webseite zitiert mich mit Bild, die Menschheit habe nur noch drei ruhige Jahre. Als Klimaforscher hätte ich für alle Regierungen einen Bericht dazu verfasst, der aber unter Verschluss sei1. Oder: Pilzsporen verursachten Wirbelstürme, Erdbeben und Tsunamis, sagte ich angeblich in einem anderen Beitrag2. Natürlich alles frei erfunden, vom ersten bis zum letzten Wort. Dennoch dauerte es nicht lange, bis mich russische Fernsehstationen interviewen wollten.

Kommunikation zum Klimawandel ist nichts für zartbesaitete Seelen: Das Spektrum der Reaktionen auf öffentliche Aussagen von mir reicht von Vorwürfen des Betrugs über Macht- und Geldgier bis hin zu handgeschriebenen «Beweisen», die vermeintlich zeigen, dass die Energieerhaltung in der Physik doch anders funktioniert als alle meinen. Ich habe mich daran gewöhnt – schwierig wird es, wenn es um Verleumdung geht.  

Fake News Symbolbild
Wer den Klimawandel leugnet oder falsche Fakten verbreitet, tut dies meistens, weil die vorgeschlagenen Lösungen mit dem persönlichen Weltbild kollidieren. (Bild: marchmeena29 / iStock)

Bekannte Symptome

Die Probleme in einem postfaktischen Zeitalter sind zumindest oberflächlich bekannt: Demokratie erfordert informierte Menschen, die trotz verschiedenen Ansichten gemeinsam Lösungen finden. Aber die Demokratisierung des Wissens über die sozialen Medien führt dazu, dass jede und jeder immer einfacher und schneller zu allem etwas sagen kann. Alle reden, niemand hört zu, und als Experte ist man dabei oft eher verdächtig als vertrauenswürdig.

In den sozialen Medien bewegen wir uns in Blasen, Qualitätskontrollen gibt es keine, und Katzenfilme oder kontroverse Aussagen erhalten am meisten «Likes». Fake News verbreiten sich auf Twitter schneller und weiter als Fakten3.

Es gibt Gründe, warum man es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Manchmal geht es schlicht um Aufmerksamkeit oder Werbeeinnahmen. Beim Klima sind es oft politische oder wirtschaftliche Interessen. Shell dokumentierte in einem internen Bericht schon 1988 die Gefahren des menschgemachten Klimawandels und mögliche Auswirkungen auf die Ölindustrie. Dennoch versuchte der Konzern jahrelang, den wissenschaftlichen Konsens öffentlich in Frage zu stellen4.

Heute glaubt in den USA immer noch jeder vierte registrierte Wähler, dass es die Erwärmung überhaupt nicht gibt5. Stärker als in anderen Ländern sind dort die Ansichten zum Klimawandel von der politischen Ideologie geprägt: Man «glaubt» nicht an den Klimawandel, weil mögliche Antworten darauf (höhere Energiepreise, staatliche Regeln) der persönlichen neoliberalen Überzeugung von ungebremstem Wachstum und minimalem Staat widersprechen.

Händeringend bei den Antworten

Viele dieser Diagnosen sind nicht neu. Die unterliegenden Probleme werden aber durch schwindenden Qualitätsjournalismus, sozial-mediales Geschrei und in der Folge durch eine immer stärker polarisierte Gesellschaft weiter akzentuiert. Wie geht man mit Fake News am besten um?

Ich habe keine abschliessende Antwort. Bei einigen auf den ersten Blick plausiblen Reaktionen ist mittlerweile aber (nicht nur mir) klar: Sie funktionieren nicht. Mehr Fakten in noch mehr Berichten sind zwar relevant für Entscheidungen und technische Lösungen, aber sie ändern die Meinung der schon Überzeugten kaum. Im Gegenteil: Fake News klarzustellen, erhöht oft nur deren Sichtbarkeit.

Die allermeisten meiner Versuche, auf Anfeindungen oder willkürliche Behauptungen zu reagieren und online mitzudiskutieren, sind nicht fruchtbar. Sie erwecken vielmehr den Eindruck, dass die Sachlage ungeklärt ist und alles zur Debatte steht. Erstaunlich ist, dass auch ein Öffnen der Blase offenbar nicht hilft: Menschen, die freiwillig zustimmten, täglich auf Twitter mit anderen Sichtweisen konfrontiert zu werden, waren danach noch fester von ihren Ansichten überzeugt6.

Sich dennoch einbringen

Es gibt aber auch Lichtblicke: Neuere Arbeiten zeigen, dass Leser besser mit Falschinformation umgehen können, wenn sie vorher gewarnt werden, dass solche bei einem Thema vorkommen7. Ich bin immer noch überzeugt: Wir müssen – trotz allem Informationsüberfluss und knapper Zeit – über relevante Fragen nachdenken und öffentlich darüber diskutieren.

«Für echten Diskurs sind mir eine solide Synthese einer Qualitätszeitung und ein informierter Leser lieber als propagandistische Tweets von Trollen im Web.»Reto Knutti

Ein Dialog auf Augenhöhe gelingt nach meiner Erfahrung am besten, wenn wir versuchen, Fakten von Meinungen zu trennen. Ein Thermometer ist nicht politisch rechts oder links, genauso wie es nicht zwei Seiten der Gravitation gibt. Über die Physik stimmen wir nicht ab. Wir können uns über die Fakten einig sein und trotzdem eine Debatte führen, wie man darauf reagieren soll. Als Wissenschaftler schreibe ich der Gesellschaft nicht vor, was zu tun ist. Ich erachte es aber für meine Aufgabe, nicht nur Zahlen zu produzieren, sondern diese auch kritisch einzuordnen und verständlich aufzubereiten, ohne PR zu betreiben – ein Seiltanz in einer Zeit, in der Forschende um Geld und Stellen kämpfen8.

Neben einem gemeinsamen (faktenbasierten) Nenner versuche ich auch immer, in Gesprächen gemeinsame Werte und Ziele zu finden. Die Art und Weise wie ein Problem formuliert wird, das sogenannte Framing, ist dabei extrem wichtig. Respekt für andere Meinungen und die Fähigkeit zuzuhören sind vertrauensbildende Elemente, die Brücken bauen helfen. Zudem sind Geschichten entscheidend, und wer die Botschaft überbringt. Das alles braucht Zeit, aber für mich führt kein Weg daran vorbei.

Manchmal braucht es ein paar Buchstaben mehr

Kontroversen ergeben zwar gute Schlagzeilen, aber kaum konstruktive Diskussionen. Bei allem Enthusiasmus für neue Medien und Big Data: Für echten Diskurs sind mir eine solide Synthese einer Qualitätszeitung und ein informierter Leser lieber als propagandistische Tweets von Trollen im Web. Ganz zu schweigen von Algorithmen, die auf sozialen Plattformen dereinst entscheiden, was richtig ist oder falsch. Jack Dorsey, Mitgründer von Twitter, sagte einst: «Man kann die Welt mit einhundertvierzig Zeichen verändern». Da hat er wohl recht. Aber um die Welt zu verstehen und sie für die nächste Generation zu gestalten, braucht es ein paar Zeichen mehr.

Dieser Text erscheint ebenfalls als Autorenbeitrag in der Schweiz am Wochenende.

Referenzen

1 Die ETH verlinkt bewusst nicht auf diese Seiten. Eine Google Suche «knutti "the impending weather and climate catastrophe"» findet diverse Varianten
2 Die ETH verlinkt bewusst nicht auf diese Seiten. Eine Google Suche «"knutti" Monica Gagliano» findet diverse Varianten
3 externe Seite Artikel in Science
4 Center for international and environmental law: externe Seite Internal Documents Shed New Light on Shell’s Role in the Climate Crisis (April 2018)
5 Yale Program on Climate Change Communication: externe Seite Politics & Global Warming (März 2018)
6 externe Seite Artikel im Tagesanzeiger, basierend auf einem externe Seite Preprint einer wissenschaftlichen Arbeit
7 externe Seite Artikel in BigThink
8 PNAS: externe Seite Science in the age of selfies

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert